SPD-Linke „Wollen wir Kriegsteilnehmer werden?“

Die Vorbehalte der Bundesregierung gegen Waffenlieferungen an die Kurden im Irak schwinden. Selbst SPD-Chef Gabriel zeigte sich offen für diesen Schritt. Doch einer seiner Stellvertreter stellt sich quer.

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SPD-Bundesvize Ralf Stegner warnt die Bundesregierung davor, Waffen in den Nordirak zu liefern. Quelle: dpa

Berlin Mit eindringlichen Worten hat der SPD-Bundesvize Ralf Stegner die Bundesregierung davor gewarnt, im Nordirak auch militärische Hilfe zu leisten. „Ich wundere mich darüber, wie leicht sich manche das mit deutschen Waffenlieferungen machen“, schreibt Stegner auf seiner Facebook-Pinnwand. „Heute liefern wir Waffen, morgen sind wir ganz erstaunt, dass damit unschuldige Menschen getötet werden - welche Moral ist das? Proliferation, schon mal gehört? Wollen wir Kriegsteilnehmer werden? Sind wir jetzt für einen Kurdenstaat - gilt diese Logik dann auch für die Ostukraine? Was sagt dazu die Türkei? Die hören wir ja schon ab und treiben sie in die Arme anderer, weit weg von der europäischen Wertegemeinschaft.“

Dessen ungeachtet nennt Stegner es „richtig und notwendig, bedrohten Menschen zu helfen, die sich gegen Völkermord verteidigen müssen und in einer Notwehrsituation sind“. Insofern korrigiere Präsident Barack Obama mit dem militärischen Eingreifen der USA im Nordirak das Tun seines Amtsvorgängers. „Die USA haben mit ihrem unseligen Bush-Krieg die Strukturen im Irak erst mal gründlich zerstört, die jetzt vielleicht der grausamen islamistischen IS-Miliz hätte Einhalt gebieten können.“

Der Krieg gegen jenen Saddam Hussein übrigens, so Stegner weiter, den der Westen vorher gegen die iranischen Ayatollahs „militärisch bis auf die Zähne bewaffnet hatte“. Und das sei nicht die erste Geschichte dieser Art.

Ihn erschrecke daher aktuell „dieses um sich greifende leichtfertige Enttabuisieren der militärischen Logik, dieser Neointerventionismus, dieses deutsche Think big“ einer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Deutschland sollte aus Stegners Sicht vielmehr den Verfolgten humanitär helfen.

„Verantwortung ja, deutscher Biedermeier nein“, schreibt der Koordinator der Linken im SPD-Bundesvorstand. Als „Weltmeister der Entwicklungszusammenarbeit und der unermüdlichen Diplomatie“ könne Deutschland international viel Gutes tun – „ganz ohne Sonderwege, demokratische Überheblichkeit gegenüber großen Teilen der Welt, die unsere Demokratievorstellung so gar nicht teilen mögen (…) und ganz ohne Rücksicht auf die Belange international erfolgreicher deutscher Rüstungskonzerne“.

„Nein“, bekräftigt Stegner am Ende seines Facebook-Eintrags, „mich überzeugt die lemminghafte Eigendynamik dieser Rüstungsexportdiskussion nicht“. Er bleibe daher dabei: „Wir brauchen einen Politikwechsel in Deutschland: Keine Waffenexporte in Spannungsgebiete und Diktaturen, ob Russland oder Katar, Saudi-Arabien oder Irak.“


Die Bereitschaft zur Waffenlieferung wächst

Der „Spiegel“ hatte berichtet, dass Berichte über immer neue Gräueltaten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien auch in Deutschland die Bereitschaft wachsen ließen, den Kurden im Nordirak Waffen zu liefern und auch eine internationale Mission in der Krisenregion zu unterstützen. Bedingung hierfür sei ein entsprechender Beschluss des Uno-Sicherheitsrates, schrieb das Magazin unter Berufung auf Regierungskreise.

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte dem Magazin mit Blick auf mögliche Waffenlieferungen: „Wir können nicht zusehen, wie bis an die Zähne bewaffnete Fanatiker tausende unschuldige Menschen umbringen und deren Verteidiger keine wirksamen Mittel zum Schutz haben.“ Es sei ein „Dilemma“, aber „am Ende dürfen wir bei einem Völkermord vor unseren Augen nicht tatenlos zuschauen“, fügte der SPD-Chef hinzu.

Die Bundesregierung erörtere am Montag mit Fachpolitikern des Bundestages die Frage, ob die Gegner der Dschihadisten mit Waffen beliefert werden sollten. Hierzu fanden auf Antrag der Grünen Sondersitzungen der Ausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung statt. Dabei informierten die zuständigen Minister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und von der Leyen die Abgeordneten über den Stand der Dinge.

Die Grünen-Obfrau im Verteidigungsausschuss, Agnieszka Brugger, warnte davor Waffen zu liefern und erklärte, es bestehe die Gefahr, dass sie in die falschen Hände gerieten. Die Linksfraktion kritisierte, Steinmeier und von der Leyen hätten in den Ausschüssen klare Aussagen vermieden.

Die Minister erklärten später übereinstimmend, dass sie keine Option ausschließen wollen. Von der Leyen sagte, erste Entscheidungen könnten noch in dieser Woche fallen.

Die Bundeswehr soll zunächst ab Mitte der Woche noch einmal 100 Tonnen Lebensmittel, Medikamente und Decken in das Krisengebiet bringen. Nächste Woche könnten dann defensive Rüstungsgüter folgen, zum Beispiel Helme, Schutzwesten, Nachtsichtgeräte und gepanzerte Fahrzeuge.

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