SPD-Vize Olaf Scholz "Merkel ist schlagbar - auch 2017"

Kanzlerkandidat will er nicht werden. Aber als liberales Gewissen der SPD gilt Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz dennoch. Ein Gespräch über wirtschaftlichen Sachverstand und sozialdemokratische Schnapsideen.

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Olaf Scholz, Hamburgs erster Bürgermeister ist das liberale Gewissen der SPD. Quelle: dpa Picture-Alliance

Herr Scholz, Sie haben das Wort vom „ordentlichen Regieren“ geprägt. Ist eine Kaufprämie für E-Autos ordentliches Regieren?
Wir brauchen einen Durchbruch bei den Elektroautos, deshalb ist die Prämie strategisch erforderlich. Als Bürgermeister einer großen Metropole ist mir bewusst, dass wir in unseren Städten ohne E-Antriebe die EU-Vorschriften zur Luftreinheit kaum erfüllen können.
Die Kaufprämie honoriert Gutverdienende, die Auto fahren, aber nicht Geringverdiener, die mit Bus und Fahrrad unterwegs sind.
Elektromobilität geht alle an. Die Kaufprämie und der Ausbau der Ladeinfrastruktur helfen ein wenig in dieser Angelegenheit von nationaler wirtschaftlicher Bedeutung.
Das Wohl und Wehe der stärksten deutschen Industrie hängt ernsthaft davon ab, dass der Bund 600 Millionen Euro verschenkt?
Sicher nicht. Aber wir müssen alles dafür tun, dass sich die Erfolgsgeschichte des deutschen Automobilbaus fortsetzt. Da sind industriepolitische Impulse wichtig.

Wie sieht es denn bei den sozialpolitischen Impulsen aus: Regiert ordentlich, wer ein höheres Rentenniveau verspricht?
Unsere Rentenversicherung ist stabil, auch langfristig. Dennoch muss über eine so wichtige Sozialversicherung immer wieder neu nachgedacht werden. Die meisten Bürgerinnen und Bürger zahlen jahrzehntelang Beiträge und beziehen auch über Jahrzehnte Rente. Es ist natürlich, dass sie darauf bestehen, dass Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Sie wecken Begehrlichkeiten, die unfinanzierbar sind.
Lassen Sie uns diese Diskussion sachbezogen führen: Welcher Beitragssatz für Arbeitnehmer ist langfristig vertretbar? Welchen Bundeszuschuss über Steuern halten wir für vertretbar, ohne andere Staatsaufgaben zu vernachlässigen? Wer sich mit diesen Fragen in Ruhe auseinandersetzt, erhält auch kluge Antworten über das künftige Rentenniveau. Ich bin dafür, diese Debatte offen und ehrlich zu führen, aber nicht populistisch.
Kluge Antworten sind das eine. Kann die SPD auch Visionen?
Die Deutschen verstehen seit der Romantik unter Visionen etwas Verklärtes, Ideale, die nie und nimmer erreicht werden können. Ich verstehe unter Visionen langfristige Ziele, die man erreichen kann. Solche pragmatischen Zukunftsvorstellungen brauchen wir.

Wo wir gerade bei Unerreichbarkeiten sind: das Kanzleramt. Warum eigentlich soll die SPD noch einen Kandidaten aufstellen?
Weil wir eine von nur zwei Parteien sind, die unser Land führen können. Die SPD hat mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder bewiesen, dass sie das auch mehr als passabel zu tun vermag. Es gehört zum Wesenskern der ältesten demokratischen Partei Deutschlands, dass sie das Kanzleramt im Blick hat. Immer.
Mit 19 Prozent wirkt dieser Anspruch sehr kraftlos.
Zugegeben: Die Umfragen sind nicht so gut. Fakt ist aber auch: Wir regieren in 13 von 16 Ländern und stellen in neun Ländern den Regierungschef, die CDU gerade mal in vier. Wir erringen dort also Mehrheiten, mit denen im Bund die Kanzlerschaft greifbar wäre. Grundlage für den Erfolg ist Vertrauen. Vertrauen entsteht nur, wenn wir sehr lange das Richtige tun.

"Ich bin für eine Steuerpolitik mit Augenmaß"

Die Wahrheit ist doch: Die Kanzlerin ist unschlagbar.
Gut steht sie ja gerade nicht da. Natürlich ist die Kanzlerin zu schlagen; auch 2017. Denn nur die SPD ist in der Lage, wirtschaftlichen Sachverstand, Gerechtigkeitsanforderungen und Liberalität in einem Konzept klug miteinander zu vereinen.
Seit der Wahl 2013 predigt SPD-Chef Sigmar Gabriel: Wir müssen das Versprochene umsetzen – dann kehren die Wähler zurück. Die SPD hat geliefert – die Wähler kehren ihr den Rücken.
Ich empfehle strategische Geduld. Wir müssen das Richtige tun, ohne darauf zu schielen, wann sich das auszahlt.

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Der griechische Premierminister Alexis Tsipras während einer Parlamentsdebatte Quelle: REUTERS
Frankfurter Skyline Quelle: dpa


Warum aber erklärt Gabriel nicht sofort seine Kandidatur?
Weil die SPD und ihr Vorsitzender klug beraten sind, sich in dieser Frage nicht treiben zu lassen.
Gabriel hat vorgeschlagen, die Parteibasis über einen Kandidaten abstimmen zu lassen. War das eine Schnapsidee?
Eine solche Abstimmung machte nur Sinn, wenn es mehrere Kandidaten gäbe, die gegeneinander antreten wollen.
Bleibt der Eindruck: Es gibt einen Parteichef, der nicht Kanzlerkandidat sein will. Und es gibt andere Spitzengenossen, die sich in die Büsche schlagen.
Das ist Ihre Unterstellung, und sie ist grundfalsch. Ich gebe gerne zu, es wäre unterhaltsamer für Sie, wenn wir uns öffentlich stritten. Wir sind aber nicht für Ihre Unterhaltung zuständig, sondern dafür, im Land zu regieren.


Welche Botschaft sollte denn das Wahlprogramm transportieren?
Ein Programm mit nur einer Botschaft wäre in der heutigen Zeit, sehr höflich formuliert, unterkomplex. Wir machen – frei nach Bill Clinton – Politik für Menschen, die sich anstrengen und an die Regeln halten.
Und was heißt das konkret?
Erst einmal: Deutschland geht es gut, wir erleben wirtschaftlich sehr erfolgreiche Jahre und verzeichnen einen Rekordbeschäftigungsstand. Und dennoch machen sich viele, die sich zur Mittelschicht zählen, Gedanken über ihre Zukunft. Das ist kein rein deutsches Phänomen, das lässt sich in fast allen Industriestaaten beobachten, sei es in Europa, Nordamerika oder anderswo. Das nehmen wir ernst. Und nehmen Sie den Mindestlohn: Wer 40 Stunden die Woche arbeitet, erhält am Ende des Monats rund 1470 Euro brutto. Nicht viel für ein Arbeiten in Würde. Auch diese Beschäftigten gehören zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Hier liegt die größte moralisch-ökonomische Herausforderung, die sich unserer Volkswirtschaft überhaupt stellt: dass so viele, die sich anstrengen und vieles richtig machen, trotzdem nicht weit kommen. Da müssen wir ran.

Die Union will mit Steuersenkungen Wahlkampf machen. Und die SPD?
Ich bin für eine Steuerpolitik mit Augenmaß. Das Verschuldungsverbot unserer Verfassung sorgt für eine ganz neue Klarheit. Uns steht es nicht mehr frei, politisch gewollte Mehrausgaben oder Steuersenkungen über Schulden zu finanzieren. Das ist ein Fortschritt. Und es ist so schnell klar, dass der Spielraum begrenzt ist – in die eine Richtung wie in die andere.
Haben Sie eigentlich SMS von Parteifreunden bekommen, die Ihr Nein zu einer Kanzlerkandidatur bedauert haben?
Ich erhalte viele SMS von meinen Parteifreunden, aber darüber rede ich nie öffentlich, auch nicht mit der WirtschaftsWoche.

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