SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel „Die Würde der schwarzen Null ist nicht unantastbar“

Am Sonntag treffen sich die Genossen zu einem Zukunftskongress. Das klingt nach Aufbruch und Optimismus. Aber wie soll die SPD die Bundestagswahl 2017 gewinnen? Fragen an SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel.

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Thorsten-Schäfer-Gümbel Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Schäfer-Gümbel, am Sonntag trifft sich die SPD zum Zukunftskongress in Berlin. Beginnt jetzt der Wahlkampf?

Thorsten Schäfer-Gümbel: Vor allem beginnt ein Klärungsprozess: Es gibt zwei Volksparteien, die um die Meinungsführerschaft in diesem Land ringen – und die nicht deckungsgleich sind. Wir koalieren, aber wir stehen für unterschiedliche Haltungen und Grundüberzeugungen. Die SPD will Deutschland modernisieren und zukunftsfähig machen. Und dafür brauchen wir gesellschaftlichen Zusammenhalt, weil er nach unserer Überzeugung die Grundlage ist. Die Union hingegen ist die Ich-Partei des gelebten Egoismus.

Aber ist dies nicht auch ein Eingeständnis, dass in der großen Koalition aus SPD-Sicht zu wenig gelungen ist?

Auch im digitalen Zeitalter ist der Kompromiss das Wesen demokratischer Rechtsstaaten. Koalitionen sind eine Form davon. Alleine wären wir sicher weiter: Wir hätten zum Beispiel eine vernünftigere Erbschaftsteuer und keine unsolidarische Abgeltungssteuer mehr. In Sachen Steuergerechtigkeit war mit der Union nichts zu machen. Die Renteneinheit zwischen Ost und West wäre längst unter Dach und Fach. Und die Integration von Flüchtlingen hätte viel früher begonnen.

Zum Kongress sollten die ersten wichtigen Pfeiler des Wahlprogramms stehen. Was bedeutet Steuergerechtigkeit für die SPD dann ganz konkret?

Es geht zunächst einmal um die Grundlinien, die geklärt sein müssen. Erstens: Das Kaffeehaus an der Ecke soll nicht mehr Steuern bezahlen als Starbucks. Also müssen wir Steueroptimierungsmodelle globaler Konzerne einschränken, national und international. Da ist von Seiten Wolfgang Schäubles viel zu wenig passiert. Zweitens wollen wir kleine und mittlere Einkommen, die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die keine Vermögen zusammentragen, entlasten.

Zur Person

Wie soll das genau funktionieren?

Eine Entlastung von mindestens fünf Milliarden Euro pro Jahr ist möglich, also 20 Milliarden in der gesamten Wahlperiode. Aber das muss gegenfinanziert werden. Höchste Einkommen und Vermögen müssen deshalb in Zukunft einen größeren Beitrag leisten. Auch hier geht es um Zusammenhalt. Die Balance zwischen oben und unten stimmt nicht mehr.

Soll das heißen, dass die SPD die höchst problematische Vermögensteuer wiederbeleben will? Oder sollen die Mehreinnahmen aus einer neuen Erbschaftsteuerreform fließen?

Unsere Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Es gibt drei Argumente gegen die Vermögenssteuer: Sie sei verfassungsrechtlich unmöglich – stimmt nicht. Aufwand und Ertrag stünden in keinem akzeptablen Verhältnis – auch falsch. Sie beschneide die Substanz von Unternehmen – das ist meines Erachtens der einzig offene Punkt. Selbstverständlich müssen die Substanz der Unternehmen und die Arbeitsplätze geschützt sein. Eines ist für mich klar: Wir sollten eine Vermögensteuer nicht ins Programm aufnehmen, ohne genau zu wissen, wie sie im Detail funktionieren kann.

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Klingt aber eher, als käme dieser Aufreger ins Programm.

Es ist noch offen. Aber der aktuelle Kompromiss zur Erbschaftsteuer reicht definitiv nicht aus, um Reichtum am Gemeinwesen angemessen zu beteiligen.

Das hieße also mehr Belastung für einige. Was aber ist mit der angekündigten Entlastung – wie genau soll sie realisiert werden: über sinkende  Einkommensteuer oder geringere Sozialabgaben?

Über Sozialabgaben würden wir gerade Kleinverdiener entlasten, die keine oder kaum Steuern zahlen. Aber zur Wahrheit gehört: Wenn wir das Konzept der Steuerfreibeträge eins zu eins auf die Sozialversicherung übertrügen, würde das sehr teuer. Deshalb denken wir verschiedene Modelle durch.

"Rente muss weiter Sicherheit garantieren"

Zumal in diesem Herbst ohnehin noch milliardenschwere Rentenreformen diskutiert werden, die den Spielraum noch weiter einschränken würden…

…ja, dieses Problem darf man nicht ignorieren. Rente muss weiter Sicherheit garantieren. Das ist ein entscheidender Punkt. Wir spüren alle, dass wir vor Veränderungen stehen, und das verunsichert Menschen. Angst ist aber ein schlechter Ratgeber, deshalb muss sich gerade sozialdemokratische Politik auf mehr soziale und öffentliche Sicherheit ausrichten.

Die CSU will die Mütterente noch ein weiteres Mal erhöhen. Schließen Sie das aus?

Warten wir  den Bericht der Bundesarbeitsministerin ab – und ihr angekündigtes Rentenkonzept. Was wir jetzt nicht brauchen ist ein populistischer Wettbewerb, in dem jeder mehr bietet als der andere.

Und wie steht es um die umstrittene Angleichung der Renten in Ost und West? Es gibt die Forderung der ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten, die bisherige Höherwertung der Ostlöhne in jedem Fall zu retten.

Die Union versucht offenkundig, hinter die Regelung des Koalitionsvertrags zurückzufallen. Das geht nicht. Ich erwarte Treue zum Koalitionsvertrag.

Wovor die Deutschen Angst haben
Zusammenbruch des StromnetzesSechs Prozent der Deutschen machen sich große Sorgen um Stromausfälle. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Institut für Demoskopie Allensbach und das Centrum für Strategie und Höhere Führung für die Deutsche Telekom durchgeführt hat. Generell ist die Bevölkerung demnach derzeit so besorgt um ihre Sicherheit wie in keinem der vorangegangen fünf Jahre. Quelle: DPA
Verkehrsunfälle Der Umfrage zufolge machen sich 14 Prozent der Befragten Gedanken, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden. Befragt wurden rund 1.500 Personen aus einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahre im August dieses Jahres. Quelle: DPA
Spionage15 Prozent der Befragten gaben an, sich Sorgen darüber zu machen, dass andere Staaten wie die USA oder China die deutschen Bürger zu sehr überwachen, indem sie etwa ihr Telefon oder die Internetverbindung ausspionieren. Quelle: DPA
DigitalisierungNoch mehr beunruhigt die Deutschen, dass man durch die Digitalisierung von Computern abhängig ist. 16 Prozent gaben an, sich darüber große Sorgen zu machen. Quelle: DPA
ÜberwachungMehr als vor Spionage im Ausland fürchten sich die Befragten davor, dass der deutsche Staat seine Bürger zu sehr überwacht. 16 Prozent legten bei den persönlichen Interviews diese Karte auf den Stapel: große Sorgen. Quelle: DPA
Radioaktive VerstrahlungOffenbar nimmt die Energiewende den Deutschen die Angst: Auch wenn immer noch 17 Prozent Sorgen vor einem Unfall in einem Kernkraftwerk haben, gehen doch immerhin 45 Prozent davon aus, dass dieses Risiko in Zukunft weniger wird. Nur 23 Prozent glauben, es steigt. Quelle: DAPD
ArbeitslosigkeitDass nur 19 Prozent der Bevölkerung sich Gedanken darum macht, in Zukunft den Arbeitsplatz zu verlieren, führen die Autoren der Studie auf die robuste Konjunkturlage in Deutschland zurück. Vor drei Jahren waren es noch 25 Prozent. Quelle: DPA

Lassen wir die Steuer- und Rentenpolitik mal beiseite: Was soll die SPD-Wirtschaftspolitik ab 2018 darüber hinaus auszeichnen?

Wir brauchen mehr Investitionen in Straße und Schiene, aber nicht nur in neue Autobahnkilometer, sondern auch in Ladesäulen für Elektroautos oder neue Verkehrskonzepte. Die Verkehrswende ist aus sozialen, ökologischen und industriepolitischen Gründen eine der größten Baustellen für die kommenden zehn Jahre!

Konkreter, bitte.

Die Energiewende ist die kleine Schwester der Verkehrswende. Wir müssen höllisch aufpassen, dass dabei der Wettlauf um die Schlagzeilen nicht am Ende dem Rückgrat der Industrie irreparabel schadet. Alle - Politik, Industrie, Gewerkschaften und Umweltverbände - müssen an einen Tisch und eine zukunftsfähige Strategie abstimmen. Wir werden zudem mehr Geld in Schulen und Universitäten stecken, das bedeutet Sanieren ebenso wie Investieren in technische Ausstattung und Weiterbildung von Lehrern.

Letzteres kommt uns aber sehr bekannt vor.

Es bleibt aber richtig – und nötig. Das sehen nur leider nicht alle so. Haushaltskonsolidierung muss sein, aber der Finanzminister will die schwarze Null zum neuen Artikel 1 des Grundgesetzes erklären. Aber in unserer Verfassung steht nun mal nicht: „Die Würde der schwarzen Null ist unantastbar“. Wir hingegen wollen Fortschritt, Innovation und Mut belohnen – auch wenn das Geld kostet.

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Wie genau?

Ich finde, dass wir Forschung deutscher Unternehmen künftig steuerlich prämieren sollten. Und wir werden Gründer und Start-ups viel intensiver unterstützen. Mit finanzieller Förderung, aber auch mit weniger Bürokratie. Und apropos Digitalisierung: 50-Mbit-Netze können nur ein Zwischenschritt sein. Wir brauchen die modernste IT-Infrastruktur. Wenn ich da die Arbeit von Herrn Dobrindt sehe, weiß ich nicht, ob ich heulen oder lachen soll. Da kommt einfach nichts.

Kein Programm ist am Ende ohne Kanzlerkandidat denkbar. Wird sich Sigmar Gabriel auch endlich erklären, wenn Angela Merkel Anfang Dezember auf dem CDU-Parteitag ihre Kandidatur bekannt gegeben hat?

Auch wenn Sie das jetzt langweilt: Wir haben unseren eigenen Fahrplan. Und an den halten wir uns.

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Daran glauben Sie wirklich?

Natürlich, ich liebe es, wenn ein Plan gelingt.

Und in der Zwischenzeit wird Sigmar Gabriel von der allerorten in der eigenen Partei artikulierten Ablehnung weiter beschädigt?

Keine Sorge: Der Vorsitzende hat eine harte Rüstung.

Also: Hat die SPD an Neujahrstag einen Kanzlerkandidaten Gabriel?

(lacht) Guter Versuch. Seien Sie sicher: Eine SPD ohne Kandidat ist wie die Kieler Woche ohne Schiffe. 

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