SPD-Vorschlag Was zu einem vernünftigen Einwanderungsgesetz fehlt

Eine umfassende Regelung der Einwanderung wäre überfällig. Aber sie wird nicht kommen, weil sie deutsche Illusionen zerstören würde, an die man sich weiter klammert.

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Thomas Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD. Quelle: dpa

Eigentlich wäre die Initiative der SPD zu begrüßen: Das de-facto-Einwanderungsland Deutschland bräuchte längst ein klares und umfassendes Einwanderungsgesetz. Doch was die SPD vorschlägt, ist nicht nur im Detail zu kritisieren, sondern auch grundsätzlich unglaubwürdig. Und dass sie damit  gegenüber dem Koalitionspartner CDU/CSU durchkommt, ist mehr als unwahrscheinlich.

Zunächst zu den inhaltlichen, technischen Schwächen: Nach dem Vorschlag der SPD soll man auch ohne ein Arbeitsplatzangebot legal nach Deutschland einwandern dürfen – unter der Bedingung der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen, die in einem Punktesystem geregelt werden sollen.

Von einem solchen Punktesystem – Punkte gibt es zum Beispiel für Sprachkenntnisse und berufliche Qualifikationen – hat sich das immer wieder genannte Vorbild Kanada mit gutem Grund verabschiedet. Es funktioniert nämlich nicht, sondern schafft Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme. Aber das zu vermeiden ist Grundlage vernünftiger Einwanderungspolitik.

Asylanträge nach Bundesländern 2017

Die Jobsuche sollte der Einwanderung grundsätzlich vorangehen. Für Bewerbungsgespräche kurzfristig nach Deutschland zu kommen, ist heute in aller Regel ohnehin schon möglich.

Wichtiger ist ein anderer, grundsätzlicher Aspekt: Eine vernünftige, an deutschen Interessen orientierte und durch konsequente Gesetze geregelte Einwanderungspolitik hätte zur Voraussetzung, dass zunächst der Wildwuchs der Asyl- und Flüchtlingszuwanderung beendet würde. Ein Einwanderungsgesetz, das auf dem Papier Tore öffnet, die ohnehin sperrangelweit offen stehen, braucht niemand. Warum sollte sich zum Beispiel ein Architekturstudent wie Nadim aus dem iranischen Isfahan um seine gesetzlichen Einwanderungspunkte kümmern, wenn er mit dem Wort „Asyl“ auf den Lippen weitgehend ungehindert nach Deutschland einreisen und hier leben und möglicherweise auch arbeiten kann – bei verschwindend geringem Risiko abgeschoben zu werden?

Vernünftige Einwanderungspolitik beginnt wie jede vernünftige Politik mit dem von Sentimentalitäten ungetrübten Blick auf die Wirklichkeit. Den hat die amtierende Bundesregierung, die SPD inbegriffen, leider in diesem wichtigen Politikfeld vermissen lassen. Erfolgreiche Einwanderungsländer haben mit einer moralisch aufgeladenen „Willkommenskultur“ nichts zu tun. Vernünftige Einwanderungspolitik ist sogar ihr Gegenteil, denn sie erfordert eine konsequente Verweigerung gegenüber jenen, die die gestellten Bedingungen nicht erfüllen. Wenn ein derart attraktives Land wie Deutschland in einer Welt mit Hunderten Millionen Migrationswilliger ein Einwanderungsgesetz erlässt, muss es de facto vor allem ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz sein, das ein starker Staat konsequent durchsetzt. Was passiert, wenn ein attraktives Land glaubt, Einwanderungspolitik bestehe darin, die Tore auf zu machen, hat das Jahr 2015 gezeigt. Niemand, der noch über einen Rest an politischer Verantwortungsethik verfügt, kann wollen, dass sich solch ein selbst verschuldeter Kontrollverlust wiederholt.

Vereitelte Anschläge

Der grundsätzlich richtige Vorschlag der SPD, endlich ein Einwanderungsgesetz einzuführen, wird an der Ablehnung der Union scheitern, weil diese befürchtet, dass es nur zu noch höheren Gesamteinwanderungszahlen führen würde. Diese will man der ohnehin schon extrem verunsicherten und auf Kosten der AfD zusammengeschmolzenen Wählerschaft im Wahljahr 2017 kaum zumuten. Vor allem aber: Die oben genannte Konsequenz und Härte, die ein vernünftiges Einwanderungsgesetz für die Flüchtlings- und Asylpraxis erfordern würde, traut man sich in allen Parteien selbst nicht zu. Daher wurschtelt man weiter, verwischt in einem moralisierenden politischen Diskurs die Unterschiede zwischen Flüchtlingen, Asylbewerbern und Einwanderern – und hofft, dass außerhalb Deutschlands jemand die unangenehme Arbeit der Begrenzung übernimmt.

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