SPD-Wahltrend im Sinkflug "Eierlikörgate" bringt Steinbrück Hohn und Spott

Seit Wochen jagt eine Hiobsbotschaft die andere, die SPD sinkt immer weiter in der Wählergunst. Wohl nicht zuletzt wegen zahlreicher Fettnäpfchen, in die Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stolperte. Jetzt macht ihm auch noch das "Eierlikörgate" zu schaffen.

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Für die SPD und ihren Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheint es kein Halten mehr zu geben: beide rutschen in der Wählergunst immer weiter ab. In dem am Mittwoch veröffentlichten Wahltrend des Magazins "Stern" und des Fernsehsenders RTL verliert die Partei zwei Punkte und kommt nur noch auf 23 Prozent. Die Union erzielt dagegen mit 43 Prozent ihren besten Wert unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überhaupt.

Die 23 Prozent der SPD sind der niedrigste Wert in dieser Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa seit Juli 2011. Damit wäre die SPD auch bei ihrem schlechtesten, jemals bei einer Bundestagswahl erzielten Ergebnis angekommen: Im Jahr 2009 hatten nur 23 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten gemacht. Anfang Oktober, direkt nach der Nominierung Steinbrücks, hatte die SPD in der Forsa-Umfrage noch 30 Prozent erzielt.

Wenn Peer Steinbrück Klartext spricht
Die Grünen stoßen mit ihrer Idee eines fleischlosen Tags in den Kantinen auf Widerspruch. Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte sich im Zuge eines Wahlkampfauftritts im BR-Fernsehen von seinem Wunschpartner Grüne mit dem ironischen Satz distanziert: "Die haben noch nicht mitgekriegt, dass es jetzt um die Wurst geht." Quelle: dpa
Zurück aus dem Urlaub gab Steinbrück der „Süddeutschen Zeitung“ Mitte August 2012 ein ausführliches Interview. Thema Nummer 1 war selbstverständlich die Euro-Krise. Zu dem Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass die Euro-Länder auf längere Sicht gemeinsam für ihre Schulden haften sollten, sagte Steinbrück: „Wenn Europa die richtige Antwort auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts ist, und wenn Europa die richtige Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist, dann wird sich dieses Europa einig aufstellen müssen.“ Quelle: rtr
Wenig später greift Steinbrück in dem Interview die Regierungskoalition an: „Wir sind im Zeitalter der Rettungsschirme längst in einer Haftungsgemeinschaft, an der die verbalen Kraftprotze von Union und Liberalen mitgewirkt haben. Umso dümmlicher sind die Vorwürfe von FDP und CSU, die SPD plädiere für einen ,Schuldensozialismus’.“ Quelle: dapd
Mit seinen 65 Lenzen sieht Peer Steinbrück in seinem Alter kein Hindernis für eine Kanzlerkandidatur. „Erfahrung und ein gutes Rüstzeug sind vielleicht mehr denn je nachgefragte Qualitäten. Offensichtlich erscheine ich vielen noch nicht als politisches Auslaufmodell“, sagte er Ende Juli der Zeitung „Bild am Sonntag“. Quelle: rtr
Auf dem SPD-Parteitag in Berlin Äußerte sich Peer Steinbrück zu den Steuersenkungsplänen der schwarz-gelben Regierung: „Diese sind nichts anderes als ein Pausentee für die FDP auf der Wegstrecke zur nächsten Wahl – manche sagen Abführtee. Ich nehme an, dass sich Wolfgang Schäuble jeden Tag in der Adventszeit eine, vielleicht zwei Kerzen ins Fenster stellt, damit die SPD im Bundesrat diesen Schwachsinn verhindert“. Quelle: rtr
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach Steinbrück ab, die europäische Geschichte zu verstehen. Sie habe keinen Zugang zur „europäischen Story“, sagte er auf dem Parteitag im Dezember 2011 in Berlin. Mit Blick auf Merkels Studium ätzte er: „Europa ist nicht Physik“. Quelle: rtr
Steinbrück über die FDP und ihren neuen Vorsitzenden Philipp Rösler ("Bild" vom 26.09.2011): "Eine Primanerriege, Leichtgewichte wohin man blickt. Bei manchem Interview von FDP-Chef Rösler denke ich: Das ist eine alte Loriot-Aufnahme. Diese Unbedarftheit und Naivität – Entschuldigung, wir reden hier vom deutschen Wirtschaftsminister und Vizekanzler." Quelle: rtr

Nur noch 18 Prozent für Steinbrück

Auch der Kanzlerkandidat selbst verliert trotz der Bemühungen der SPD, nach dem Holperstart ins Wahljahr mit inhaltlichen Themen zu punkten, in der Bevölkerung weiter an Ansehen. Wenn die Deutschen ihren Regierungschef direkt wählen könnten, würden sich nach dem Wahltrend nur noch 18 Prozent für Steinbrück entscheiden - das waren 4 Punkte weniger als in der Woche zuvor. Für Angela Merkel würden 59 Prozent stimmen, ein Punkt mehr als vor Wochenfrist. Die Kanzlerin hat rund acht Monate vor der Bundestagswahl damit einen Vorsprung von 41 Prozentpunkten vor ihrem Herausforderer.

Steinbrücks Positionen im WiWo-Check

Die erneuten Stimmenverluste der SPD führt Forsa-Chef Manfred Güllner unter anderem darauf zurück, dass viele ihrer potenziellen Wähler durch die Debatte um ihren Kanzlerkandidaten frustriert und irritiert seien. Dem "Stern" sagte er: "Die ducken sich weg und mögen sich nicht zu ihrer Partei bekennen." Die Reihen der Unions-Anhänger dagegen seien geschlossen. Güllner: "Die stehen frohgemut hinter ihrer Partei und der Kanzlerin." Der Eindruck sei, Merkel mache es doch gut, ihr könne man vertrauen. Bei Steinbrück seien sich viele nicht sicher.

Am Dienstag war eine peinliche Panne zum Auftakt der Reihe "Wohnzimmergespräche" in Braunschweig bekannt geworden. Bei der Aktion will Steinbrück mit normalen Bürgern ins direkte Gespräch kommen. Doch am Montag besuchte der Ex-Finanzminister ausgerechnet die Eltern einer ehemaligen Mitarbeiterin von SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. Seit 2008 arbeitete die Frau in Heils Wahlkreisbüro in Gifhorn, zudem war sie Stadtbezirksverordnete im Braunschweiger Stadtteil Nordstadt.

Das Netz lacht über Steinbrück

Die politischen Gewinner und Verlierer 2012
Die GewinnerPeter Altmaier, 54, CDU: Er ist nicht nur körperlich das neue Schwergewicht im Kabinett von Angela Merkel. Der 54-Jährige („Ich esse gern“) ist nach der Entlassung von Norbert Röttgen im Mai zum „Mister Energiewende“ aufgestiegen. Wie zuvor als Fraktionsgeschäftsführer der Union setzt er auf Dialog und Moderation. Kritiker werfen ihm vor, das Entscheiden komme zu kurz. Aber mit seiner geselligen Art kommt er beim Bundesverband der Deutschen Industrie wie beim Naturschutzbund an. Ob sein Stern weiter leuchten wird, hängt davon ab, ob ihm bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und bei der Atommüll-Endlagersuche ein Durchbruch gelingt. Quelle: dpa
Hannelore Kraft, 51, SPD: Spätestens seit dem fulminanten Sieg bei der NRW-Wahl im Mai kommt niemand in der SPD an Hannelore Kraft vorbei. Die Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes ist die mächtigste Frau, die die SPD in ihrer fast 150-jährigen Geschichte hatte. Die 51-Jährige Ökonomin hat das entscheidende Wort, wenn es um wichtige Weichenstellungen wie zuletzt bei der Rente geht. Regelmäßig bekommt die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende auf Parteitagen Traumergebnisse. Auch außerhalb der SPD ist die bodenständige Politikerin populär. Für viele Sozialdemokraten wäre Kraft die ideale Kanzlerkandidatin für 2013 gewesen. Doch sie will lieber erst einmal in Düsseldorf bleiben. Quelle: dpa
Katrin Göring-Eckardt, 46, Grüne: 2006 flog die 46-Jährige aus dem Parteirat der Grünen, nun befeuert ihre überraschende Kür zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl Spekulationen über eine schwarz-grüne Koalition. Bis zu ihrer Wahl als Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland, repräsentiert die Frau aus Thüringen die „neue Bürgerlichkeit“ der Grünen. Die Christin war 1989 Gründungsmitglied der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und von „Bündnis 90“ - bisher steht sie noch im Schatten des anderen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin. Die Bundestagsvizepräsidentin könnte im Falle einer Regierungsbeteiligung der Grünen im kommenden Jahr ein Bundesministeramt bekleiden. Quelle: dpa
Christian Lindner, 33, FDP: Zu Beginn des Jahres sah es für den FDP-Mann gar nicht gut aus: als Generalsekretär der Bundespartei zurückgetreten, im Bundestag nur noch Hinterbänkler, ohne große Perspektive. Jetzt ist er der „neue Held der Liberalen“. Möglich wurde dies durch die vorzeitige Wahl in Nordrhein-Westfalen im Mai, wo Lindner als Spitzenkandidat volles Risiko ging. Mit Erfolg: 8,6 Prozent bedeuteten für die vielfach schon totgesagte Partei einen Triumph. Kaum jemand zweifelt heute noch daran, dass der NRW-Landeschef an die Spitze der Bundes-FDP rücken wird. Entscheidende Frage: Wann? Quelle: dpa
Katja Kipping, 34, Linke: Eigentlich hatte die Dresdnerin gar keine Ambitionen, bis an die Spitze der Linken aufzusteigen. Statt um die Vermittlung zwischen den zerstrittenen Parteiflügeln wollte sie sich um ihre erst wenige Monate alte Tochter kümmern. Als sich die Fronten im Machtkampf um die Führungsposten immer weiter verhärteten, warf sie ihren Hut dann doch noch in den Ring - und wurde Anfang Juni auf dem Göttinger Parteitag schließlich zusammen mit dem baden-württembergischen Gewerkschafter Bernd Riexinger gewählt. Die beiden haben es geschafft, den Absturz der Linken in den Umfragen zu stoppen und wieder einen leichten Aufwärtstrend herbeizuführen. Und sie haben wieder Ruhe in die Partei gebracht. Quelle: dapd
Andreas Schockenhoff, 55, CDU: Ein Vorfall im Sommer 2011 hätte die politische Karriere des Russland-Koordinators im Auswärtigen Amt beenden können: Nach einem Volksfest fuhr er betrunken nach Hause, beschädigte ein parkendes Auto und beging Fahrerflucht. Nach anfänglichen Vertuschungsversuchen trat er die Flucht nach vorn an, bekannte sich zu seiner Alkoholsucht und begab sich erfolgreich in Therapie. Nach vier Wochen kam der Baden-Württemberger in den Bundestag zurück. Jüngst initiierte er eine Bundestagsresolution mit außergewöhnlich scharfer Kritik an der russischen Führung und beklagte die Straflagerhaft für die Punkband Pussy Riot. Moskau reagierte empört, Bürgerrechtlicher dankten es ihm und Bundeskanzlerin Angela Merkel nahm die Resolution bei ihrem Besuch in Moskau im November auf. Quelle: dapd
Die VerliererChristian Wulff, 53, CDU: Es war ein steiler Absturz: Am 17. Februar musste Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten. Die Staatsanwaltschaft hatte die Aufhebung seiner Immunität beantragt. Am Ende ging es um die Frage, wer einen Urlaub auf Sylt bezahlt hat. Doch der Rücktritt vom höchsten Staatsamt war noch nicht der Tiefpunkt: Es folgte ein demütigender Großer Zapfenstreich mit ohrenbetäubenden Protesten. Dann das Gerangel um den Ehrensold und die Buchveröffentlichung seiner Frau Bettina, von vielen als peinlich empfunden. Dann im November ein Lichtblick: Wulff hielt wieder eine öffentliche Rede in Deutschland. Das Echo war verhalten. Quelle: dapd

Heil will davon nichts geahnt haben. Er schrieb am Dienstag bei Twitter: "Ich wusste nicht, dass sich Eltern einer früheren Mitarbeiterin auf Zeitungsanzeige für Wohnzimmergespräch beworben haben und ausgewählt wurden." Auch Steinbrück habe nicht gewusst, dass er quasi zu Gast bei (Partei-) Freunden war, beteuerte Heil. Auch Steinbrücks Sprecher Michael Donnermeyer betonte, beworben habe sich schließlich die Mutter der ehemaligen Mitarbeiterin, und man könne die Leute nicht bis in die zweite Generation checken. Es habe sich nicht um eine SPD-Veranstaltung gehandelt.

Die Steinbrück-Boys

Nichtsdestotrotz ergießen sich Kübel voll Hohn und Spott über Steinbrück und sein neuestes Fettnäpfchen. Im sozialen Netzwerk Facebook wurde bereits das Schlagwort "Eierlikörgate" geprägt, und bei Twitter fliegt Steinbrück unter dem Hashtag "#Eierlikörgate" einiges um die Ohren. Mit schnippischen Bemerkungen wie "(Das) war ein genialer Trick der Eierlikörindustrie! Was die Peer Steinbrück wohl zahlen mussten?", "Erst hatten sie kein Glück, und dann kam auch noch dazu" oder "Wenn man Vorwerk, die Zeugen Jehovas und den Bofrost-Mann endlich los ist, kommt er: Der ProblemPeer!" macht sich das Netz über den SPD-Mann lustig. Eine andere Nutzerin twittert schadenfroh: "Noch so 'n #Eierlikörgate und die SPD ist unter 20%".

Die SPD hatte vor Weihnachten in niedersächsischen Regionalzeitungen per Anzeige nach Interessenten gesucht. Mehr als 150 private Gastgeber hatten - laut SPD - den 66-jährigen Steinbrück eingeladen. Die "Wohnzimmergespräche" sollen in den nächsten Monaten in ganz Deutschland fortgeführt werden. "Wir schicken ihn auf die Ochsentour, das kommt sehr gut an", sagte der Berliner SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier ist davon überzeugt, dass Peer Steinbrück trotz der miserablen Umfragewerte Kanzlerkandidat bleiben wird. „Peer Steinbrück ist Kanzlerkandidat vor und nach der Niedersachsen-Wahl“, sagte Steinmeier zu „Spiegel online“ mit Blick auf die Landtagswahl am Sonntag. Falls es dort für Rot-Grün nicht reichen sollte, dürfte die Debatte über Steinbrück in der Partei in Fahrt kommen - allerdings hat die SPD kaum Alternativen.

Auch der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte am Mittwoch in Berlin: "Peer Steinbrück ist unser Kanzlerkandidat und er bleibt unser Kanzlerkandidat." Der frühere Finanzminister sei "ein Zugpferd". "Der wird nicht versteckt, der wird vorgezeigt." Den erneut gesunkenen Umfragewerten begegnete Oppermann mit demonstrativer Gelassenheit. "Das beeindruckt uns überhaupt nicht", sagte er. Manfred Güllner arbeite im Übrigen gerade vor Wahlen "mit extremen Zahlen".

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