Spezial Niedersachsen Lakritz für Kernreaktoren

Trotz des geplanten Atomausstiegs in Deutschland boomt an der Ems die Produktion von Brennelementen.

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Blick in das Kühlbecken im Quelle: dpa-dpaweb

Dampfschwaden steigen aus dem Kühlturm und zeigen das Kernkraftwerk Emsland schon in weiter Ferne an. Das KKW kennt fast jeder, aber nur Experten wissen, dass es seinen Brennstoff aus der unmittelbaren Nachbarschaft bezieht: von der zum französisch-deutschen Konzern Areva NP gehörenden Advanced Nuclear Fuels (ANF), die in Lingen Uran zu Brennelementen verarbeitet. Die ANF ist eines der erfolgreichsten deutschen Nuklearunternehmen und das einzige seiner Art im Lande.

Die Stadt an der Ems mit ihren 52.000 Einwohnen hat eine lange Tradition als Kernenergie-Standort. 1968 ging hier eines der ersten kommerziellen Kernkraftwerke Deutschlands in Betrieb. Es wurde 1977 abgeschaltet. In der Nachbarschaft entstand 1988 das heutige KKW. Mit einer Kapazität von 1400 Megawatt brutto ist es mehr als fünfmal so leistungsfähig wie der Vorgänger. Gleich daneben befindet sich die ANF. Und anders als die der drei niedersächsischen Kernkraftwerke ist ihre Zukunft sicher. Der Betrieb kann weitergehen, sollten die Kraftwerke Unterweser, Grohnde und Emsland zwischen 2011 und 2020 abgeschaltet werden, wie es der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland vorsieht.

„Unsere Kapazität reicht zur Versorgung von 25 Kernkraftwerken aus“, sagt Peter Reimann, Geschäftsführer des Unternehmens. 650 Tonnen Uran dürfen am Standort Lingen jährlich verarbeitet werden. Weil aber mit der weltweiten Renaissance der Kernenergie auch die Nachfrage steigt, haben die Lingener eine Erhöhung der erlaubten Produktionsmenge auf 800 Tonnen beantragt. „Technisch sind wir dazu schon heute in der Lage“, sagt Jürgen Krämer, Leiter des ANF-Segments Brennstoff. Und Reimann zeigt sich „zuversichtlich, dass wir die Genehmigung noch in diesem Jahr bekommen“. Mit einem Umsatz von 120 Millionen Euro im Jahr und 150 Mitarbeitern ist ANF schon heute eines der größten Unternehmen am Ort.

Insgesamt produziert Areva Brennelemente an fünf Standorten – außer in Lingen sind es je zwei in Frankreich und in den USA. Die Gesamtkapazität von 4150 Tonnen pro Jahr entspricht einem Weltmarktanteil von rund 40 Prozent. Lingen, so Reimann, ist aber der einzige Areva-Standort, „an dem sowohl Brennelemente für Siede- als auch für Druckwasserreaktoren hergestellt werden“. Diese beiden Reaktortypen haben weltweit einen Anteil von mehr als 80 Prozent.

Täglich fertigt das Unternehmen bis zu 400.000 sogenannte Pellets aus Uran, zylinderförmige Gebilde so groß wie das Endglied eines kleinen Fingers. Sie ähneln Lakritzstangen, sind jedoch eher bräunlich als schwarz. Jede dieser Tabletten ist, ehe sie in den bis zu vier Meter langen Brennstabhüllen verschwinden, in einem hoch präzisen Prozess hergestellt worden. Das Rohmaterial ist die chemische Verbindung Uranhexafluorid, dessen Anteil an spaltbarem Material, von Natur aus 0,7 Prozent, in einer Anreicherungsanlage auf bis zu 4,9 Prozent erhöht worden ist.

Die Produktion in Lingen beginnt mit der Erwärmung des Uranhexafluorid, das in massiven Fässern angeliefert wird. Dabei wird es gasförmig. Wasserdampf, Wasserstoff und Stickstoff verwandeln es in pulverförmiges Urandioxid. Dann wird aus unterschiedlich angereichertem Uran das gewünschte Gemisch hergestellt, weil jeder Reaktor einen spezifischen Bedarf hat. Aus dem Gemisch werden Pellets gepresst, die bei fast 1800 Grad fast so fest werden wie ein Stein. Jede einzelne Tablette wird danach geschliffen, bis sie den gewünschten Durchmesser hat. Die Abweichung darf allenfalls vier Tausendstel Millimeter betragen. „Sonst kann es später im Reaktorbetrieb zu Wärmespannungen kommen, die den Brennstab im Extremfall zerstören“, sagt Reimann.

In jeder Sekunde ermittelt ein Scanner den Durchmesser von bis zu zehn Pellets, und zwar an 20 verschiedenen Stellen. Ebenso schnell erstellt eine Kamera ein Oberflächenbild. Nicht einmal der kleinste Kratzer bleibt unentdeckt. „Diese Messanlage haben wir selbst entwickelt“, berichtet Reimann, „danach wurde sie an allen Areva-Standorten eingeführt.“ Endprodukt sind maximal 750 Kilogramm schwere Brennelemente, die aus bis zu 324 dünnen Brennstäben bestehen. Im Kern eines großen Reaktors wie Emsland stecken rund 200 dieser Brennelemente.

Besucher müssen Schutzkleidung tragen und dürfen den Produktionsbereich erst nach ausgeklügelten Kontrollen betreten, dürfen sich aber bis auf ein paar Zentimeter den frisch produzierten Urantabletten nähern. „Frisches Uran ist praktisch nicht radioaktiv“, sagt Krämer. Schon Plexiglas, hinter dem die Transportkisten mit den Pellets meist verschwinden, schirmt diese Art von Strahlung zuverlässig ab.

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