Das Kasino Duisburg hat zwei Eingänge: Durch den einen kommen die Gäste, die sich zurechtgemacht haben für einen besonderen Abend mit Champagner und Roulette. Durch den anderen kommt das Geld.
Die Spielbank in der Fußgängerzone ist die ertragreichste in Europa. Von außen ist das nicht zu erahnen, der fensterlose Zweckbau schmiegt sich so unauffällig an das angrenzende Einkaufszentrum, dass er auch als Parkhaus durchgehen könnte. Doch drinnen eröffnet sich eine eigene Welt.
Über den 30 Spieltischen im Obergeschoss schweben elliptisch verdrehte Leuchtkörper, Croupiers und Kellner schwirren in unaufdringlicher Eleganz durch den Raum. Alles leuchtet, nichts blinkt. Eine Etage tiefer wird der Automatenbereich von einem weißen VW Golf beherrscht, der als Hauptgewinn lockt. Um ihn gruppieren sich in dichten Reihen die Spielautomaten, insgesamt 354. Von Glamour keine Spur. Doch von den 40 Millionen Euro Jahresumsatz der Spielbank wird ein Großteil hier unten verdient.
Mittwoch vergangener Woche hat Westspiel, landeseigener Mutterkonzern des Duisburger Kasinos, in New York beim Auktionshaus Christie’s zwei Bilder von Andy Warhol versteigern lassen. Nach zehn Minuten war das Geschäft gemacht: 150 Millionen Dollar, wirtschaftlich ein voller Erfolg.
Mit dem Geld sollen Etatlöcher gestopft und ein neues Kasino in Köln errichtet werden. Als das bekannt wurde, quollen die Feuilletons der Republik über vor Ärger ob so viel Kulturvergessenheit. Roulettetische für Weltkunst, was für ein barbarischer Deal! Doch dahinter steht eine grundsätzliche Frage: Wozu braucht der Staat seine Spielbanken überhaupt, wenn er nicht mal mehr Geld damit verdient?
Umsatz halbiert
So unmöglich es klingt: Das vermeintlich todsichere Geschäft mit dem ruinösen, aber allzu menschlichen Spieltrieb läuft nicht mehr. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Umsatz der deutschen Spielbanken von knapp einer Milliarde Euro auf gut 550 Millionen Euro halbiert.
Beispiel Bayern: Von den neun landeseigenen Spielbanken erwirtschaftet nur die in Bad Wiessee Gewinne, die Spielbank Feuchtwangen schafft gerade so die schwarze Null. In Thüringen macht die einzige Spielbank zum Jahresende dicht. Für drei Kasinos an der Ostsee fand sich schon im Sommer kein Interessent mehr.
Bernhard Stracke hat die goldenen Jahre im Kasinogeschäft noch gut vor Augen. „Ich erinnere mich an Zeiten, da hat allein das Trinkgeld locker für die Gehälter der Angestellten gereicht.“ Stracke ist seit 30 Jahren Gewerkschaftssekretär für den Bereich Spielbanken bei Verdi.
Heute sieht er sich mit unerfreulicheren Fragen konfrontiert. „Die Spielbanken versuchen, Kosten zu drücken“, sagt Stracke. Vom französischen Roulette steigen viele Kasinos auf die halb automatische amerikanische Variante um. Statt mit 15 Mitarbeitern kommt jeder Tisch mit drei Angestellten aus.
Der Niedergang der Spielbanken lässt sich am besten dort nachvollziehen, wo der Glanz einst am größten war. In Bad Neuenahr südlich von Bonn, eröffnete 1948 die Spielbank – und begründete den Aufschwung einer ganzen Region. In Zeiten des Wirtschaftswunders verbrachten die Größen der Bonner Republik ihre freien Tage an der Ahr, in den Fünfzigerjahren fand der Bundespresseball in der Spielbank statt. Dem Bürgermeister wurde bei der Premiere der Eintritt verwehrt, weil er keinen Frack in der Garderobe hatte.
Es entstand die typische Mischung aus staatlichem und privatwirtschaftlichem Geschäftsmodell: Die Spielbank wurde von einem privaten Konsortium betrieben, die Erträge landeten über die Spielbankabgabe beim Land, ein bisschen erhielt die Gemeinde. Die finanzierte damit den stetigen Ausbau des Kurbetriebs. Seit 1948 flossen allein aus der Spielbankabgabe über 800 Millionen Euro in öffentliche Kassen.
Währenddessen aber änderte sich das Freizeitverhalten der Deutschen. Zur Kur ging man bald nur noch, weil es die Krankenkasse bezahlte, und als auch das in den Neunzigerjahren abgeschafft wurde, fielen mit einem Schlag die Besucherzahlen in den Keller. Zugleich mussten die Spielbanken erdulden, was ihr Geschäftsmodell nicht vorsah: Konkurrenz. Erst waren es nur ein paar Automaten in den Eckkneipen der Republik, später ganze Spielhallen, von der Online-Daddelei gar nicht anzufangen. Die Spielbank aber war immer noch auf die Frackträger ausgerichtet.
Seit die Spielbank in Bad Neuenahr keine Gewinne mehr abliefert, wackelt das Geschäftsmodell der gesamten Stadt. Die Therme musste gerade erst mit Steuergeldern vor dem Ruin gerettet werden. Bad Neuenahr steht für die Probleme vieler Kasinos, doch nicht alle leiden darunter in gleichem Maße.
Grundsätzlich sind die Länder stärker vom Niedergang der Spielbanken betroffen, die in der Vergangenheit am stärksten von ihnen profitiert haben: Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg müssen nicht nur mit sinkenden Spielbankabgaben leben, sondern auch mögliche Lücken im Betriebsergebnis füllen.
Vier neue Kasinos
Gerade in Bayern könnten sich die Probleme in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen. Um alle Regierungsbezirke gleichmäßig mit Spielbanken zu versorgen, baute die Landesregierung vor knapp 15 Jahren, auf dem Höhepunkt der Spielbankenumsätze, vier neue Kasinos.
Da in Bayern die – bundesweit Anfang der Achtzigerjahre abgeschaffte – Regel fortgilt, dass Spielbanken nur in anerkannten Kurorten untergebracht sind, gibt es heute in Orten wie Bad Füssing oder Lindau ein Kasino, nicht aber in Nürnberg oder München. Von den vier jüngst gegründeten Spielbanken des Landes war zuletzt keine einzige profitabel, Bad Steben und Bad Kötzting haben in ihrer Geschichte noch nie schwarze Zahlen geschrieben. Selbst am Premiumstandort Bad Wiessee am Tegernsee streiten sich die am Kasino beteiligten Kommunen derzeit, wer die Kosten für den Umbau vor ein paar Jahren tragen soll.
Die deutsche Kasino-Realität ist ein komischer Zwitter. Die Regulierung stammt noch aus einer Zeit, als Glücksspiel de facto nur in Spielbanken möglich war und sein sollte. Hier verdienen die Länder mit oft drastisch hohen Spielbankabgaben mit, während Spielhallen nur Vergnügungsteuer bezahlen müssen.
Es gäbe zwei Auswege aus diesem Dilemma: Liberalisierung oder strikte Regulierung. Ersteres hieße, dass der Staat sich ganz aus dem Glücksspiel zurückzöge und nur noch durch Steuereinnahmen partizipieren würde. Die andere Lösung wären so scharfe Gesetze, dass sich das Spiel zurück in die Spielbanken verlagern müsste.
Mit besserem Spielerschutz ließe sich das begründen. So sieht es beispielsweise Ingo Fiedler: „Ich bin ein Freund der Schweizer Lösung“, sagt der Glücksspielforscher von der Universität Hamburg. „Da ist das Glücksspiel per Gesetz auf die Spielbanken beschränkt.“
Diese marktferne Lösung hat nicht nur den Vorteil, dass die Gewinne der gesamten Gesellschaft zugutekommen, sie diene vor allem der Suchtprävention. „Auch in den Spielbanken liegt einiges im Argen“, sagt Fiedler. „Spielerschutz wird hier aber wenigstens versucht – anders als in den meisten Spielhallen.“ Jüngst hat eine Studie der Universität Bremen gezeigt, dass viele Spielhallen sogar aktiv um süchtige Spieler werben.
Doch die Bundesländer haben wenig Sinn für die eine oder andere klare Lösung. Stattdessen investieren viele in einen perspektivisch ruinösen Markt. „Wir können uns doch nicht hinsetzen und zuschauen, wie all diese Traditionsbetriebe langsam den Bach runtergehen“, sagt Matthias Hein.
Er ist Geschäftsführer der landeseigenen Spielbanken Schleswig-Holstein. Um den Betrieb zu retten, hat er ein Konzept entworfen: „Clubsino“ – wie es eben klingt, wenn Bürokraten Visionen haben. Eine Mischung aus Kasino und Lounge soll es sein, zehn Millionen Euro hat der Umbau in Lübeck gekostet.
Doch statt zu steigen, sind die Besucherzahlen im laufenden Jahr erneut gesunken. Die Gesellschafter ficht das nicht an, gerade wird das Konzept flächendeckend umgesetzt, weitere Millionenausgaben stehen an. Anderswo suchen die Spielbanken ganz offen den Wettbewerb zu kommerziellen Spielhallen.
So hat Sachsen das Angebot in seinen drei Spielbanken in Dresden, Leipzig und Chemnitz auf Automatenspiele begrenzt. Seitdem liefern sie zuverlässig Erträge, doch der staatliche Auftrag wird so ad absurdum geführt: „Die Quote der Abhängigen ist unter Automatenspielern deutlich höher“, sagt Glücksspielforscher Fiedler.
Auch wirtschaftlich könnte die Strategie sich bald erschöpft haben. Gerade hat der Automatenbetreiber Gauselmann („Merkur Spielothek“) eine Kasinolizenz in Sachsen-Anhalt erworben. Die private Spielbank entsteht in Günthersdorf, direkt am Autobahnring Leipzig.
Auch in Sachsen droht damit ein Warhol-Szenario. Und es dürfte noch viele Warhols dauern, bis in den Spielbanken die eigentliche Botschaft ankommt: In ihrer aktuellen Form sind sie weder konkurrenzfähig – noch nützlich.