Der amerikanische IT-Experte und Obama-Berater James Andrew Lewis ist davon überzeugt, dass nicht nur die USA, sondern auch die Geheimdienste anderer Länder das Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel abhören. „Die USA können es abhören, also können es auch Russland, China und vielleicht auf einige EU-Länder“, sagte Lewis im Interview mit der WirtschaftsWoche. Lewis ist Direktor am Washingtoner „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS), einem der weltweit renommiertesten Think Tanks. Er berät unter anderem die Regierung Barack Obamas in Fragen der Informationssicherheit.
Lewis hat kein Verständnis für die Aufregung der Bundeskanzlerin. „Wenn es etwas gibt, worüber Angela Merkel entsetzt sein sollte, dann darüber, dass ihr Geheimdienst ihr kein sichereres Telefon gegeben hat.“ Der Politikberater glaubt vielmehr, dass Merkel informiert war, dass sie abgehört wurde. „Ich gehe davon aus, dass Frau Merkel und ihre Regierung wusste, wie stark sie abgehört werden.“ Wahrscheinlich sei die Kanzlerin auch nicht permanent abgehört worden, sondern nur punktuell, „zum Beispiel vor einer Reise nach China oder einem G20-Gipfel“.
Der Vorwurf, dass die USA flächendeckend die Staatsoberhäupter Europas abhören, stimme jedoch nicht. „Nicht flächendeckend, denn die Geheimdienste haben nur begrenzte Kapazitäten“, erklärt Lewis. „Sie konzentrieren sich auf Staaten, die im Zusammenhang mit Terrorismus relevant sind, oder auch China, Russland, Nordkorea. Wer mit diesen Staaten irgendwie in eine wichtige Verbindung gebracht werden kann, wird zum Ziel von Ermittlungen. Andere meist nicht.“
Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche deutete der Obama-Berater an, dass die US-Geheimdienste auch schon Merkels Vorgänger überwacht haben könnte: „Gerhard Schröder war ein ganz anderer Charakter. Seine starken Bande zu Russland geben aus US-Sicht Anlass zur Sorge.“
Der IT-Experte und Regierungsberater erwartet nicht, dass die USA ihre Praktiken in Zukunft ändern wird. „Wir müssen vielleicht neue Grenzen beim Sammeln von Daten akzeptieren und auf Forderungen aus Europa eingehen.“ Aber einstellen könne das Land die permanente Datensammlung nicht.
Lewis sieht hinter den jüngsten Enthüllungen allerdings auch eine bewusste Kampagne gegen die USA. „Die Menschen, die die Snowden-Informationen haben, nutzen sie sehr geschickt für eine antiamerikanische Propaganda. Bislang mit Erfolg, denn die Empörung der europäischen Öffentlichkeit ist groß.“ Dabei habe Snowden auch Informationen über die Aktionen anderer Geheimdienste. „Nichts davon haben die Snowden-Verbündeten bislang an die Öffentlichkeit gegeben. Warum? Weil es die These konterkariert, dass die USA die Bösen sind. Es sind nicht die bösen USA. Es ist jeder.“
Zur Person
James Andrew Lewis ist Direktor am Washingtoner „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS), einem der weltweit renommiertesten Think Tanks. Der Geheimdienstexperte war zuvor in leitenden Positionen für US-Ministerien tätig und in zahlreiche militärische Programme der amerikanischen Regierung involviert. In Fragen der IT-Sicherheit berät der Bestsellerautor und Hochschullehrer unter anderem das Verteidigungs- und das Außenministerium der USA.