Spitzenkandidaten Grüne entscheiden sich für Regierungsfähigkeit

Die zwei frisch gekürten Spitzenkandidaten der Grünen für die Bundestagswahl stehen für einen Kurs in Richtung Mitte. Mit Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sind mehrere Koalitionen denkbar. Regieren wollen beide.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt Quelle: dpa

Drei Dinge sind an der Kür des grünen Spitzenduos zur Bundestagswahl bemerkenswert.

Erstens: Die Entscheidung um den Männer-Platz war extrem knapp. Parteichef Cem Özdemir lag nur um einige Promille vor seinem Konkurrenten, dem Kieler Vize-Regierungschef Robert Habeck. Beide Männer, die zusammen rund 70 Prozent der Stimmen erreichten, stehen für den pragmatischen Flügel der Öko-Partei. Das gilt auch für die gesetzte Spitzenfrau Katrin Göring-Eckardt, die keine Mitbewerberin hatte. Es bedeutet, dass die Basis der Grünen gemäßigter tickt als viele Parteivordere. Wahrscheinlich stehen die potenziellen Wählerinnen und Wähler noch mehr in der Mitte als die Mitglieder. Das Urwahl-Ergebnis öffnet die Grünen für eine Reihe von Koalitionen – wenn es denn überhaupt zu einem Bündnis jenseits von Schwarz-Rot reichen sollte.

Zweitens führt kein ausgewiesener Öko-Politiker die Partei ins Wahljahr 2017. Weder der anatolische Schwabe Özdemir noch die Thüringerin Göring-Eckardt haben sich bei der Energiewende oder dem Atomausstieg, bei Verpackungsmüll oder in der Verkehrspolitik  besonders hervorgetan. Göring-Eckardt hat sich vor allem soziale Themen gesucht und sich in der Flüchtlingspolitik positioniert. Özdemir gilt bei den Grünen traditionell als der Wirtschaftsversteher. Er hielt über Jahre Kontakt zu Unternehmen und Verbänden. Profiliert hat er sich in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Nur 75 Stimmen machen den Unterschied. Nach wochenlanger Wahlkampf-Tour der Kandidaten steht fest, wer die Grünen in die Bundestagswahl führt. Ein Zittersieg für den Parteichef Cem Özdemir

Ob diese Leerstelle beim grünen Kernthema Ökologie im Wahlkampf auffällt, ist noch offen. Auffällig ist auch, dass sich die ostdeutsche Theologin und der Einwanderersohn mit Erzieher-Diplom auf dem zweiten Bildungsweg von der Herkunft typischer Grün-Wähler unterscheiden. Die stammen eher aus der Mittelschicht und wohnen in westdeutschen Städten.

Drittens standen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir bereits bei der letzten, für die Grünen so verhagelten Bundestagswahl 2013 in der ersten Reihe. Nur 8,4 Prozent und der vierte Platz unter den Fraktionen im Bundestag kam heraus. Göring-Eckardt war eine der beiden Spitzenkandidaten damals und Özdemir bereits Parteichef. Man hat den Eindruck, dass sie schon immer dabei sind. Dabei gelten sie eher als die netten Milden statt grünen Wilden. 

Das schützt sie vielleicht vor allzu wählerverschreckenden Positionen. Im lauten, kakophonen Wahlkampf mit potenziell sechs Parteien im nächsten Bundestag reicht das aber nicht, um zu zeigen, wofür die Grünen stehen, welchen Aufbruch sie verkörpern, und was sie wie keine andere Partei durchsetzen können. Je mehr Parteien im Reichstag vertreten sind, desto mehr schwindet auch die Machtperspektive der Grünen. Da braucht es klare Ideen und mutige Führungsleute.

Deshalb schadet es dem Duo nicht, wenn sie den nur hauchdünn mit 75 Stimmen unterlegenen Kieler Vizeregierungschef Robert Habeck prominent einbinden. Der Grüne von der Förde hat schon gezeigt, dass er als Umweltminister regieren kann und weder unpopuläre Entscheidungen noch große Ideen scheut.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%