Staatsdiener Beamtenpensionen sprengen die Haushalte

Die Pensionsansprüche von Beamten explodieren. Droht den Staatsdienern eine schmerzhafte Reform? Wahrscheinlicher sind steigende Steuern und höhere Schulden.

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Torsten Ulrich sah den ersten Kollegen gehen. Dann den zweiten, dann immer mehr. Der 35-Jährige arbeitet als Lehrer an einem Berliner Gymnasium in Neukölln. Es gibt lieblichere Pflaster in der Hauptstadt, aber er unterrichtet gerne hier. Ulrich will nicht weg. Anders als seine Kollegen, die der Stadt den Rücken kehren, weil sie nicht mehr den geschützten Status des Beamten bekommen. Ulrich hat sich für einen anderen Weg entschieden: öffentlichen Druck. Er gründete die Initiative „Verbeamtung jetzt!“, der sich mittlerweile mehr als 400 Gleichgesinnte angeschlossen haben. Auf einer eigenen Internet-Seite sammelt er Argumente. Es gäbe in Berlin zwischen Beamtensold und Angestelltenlohn „einen Nettounterschied von 500 bis 700 Euro“, klagt Ulrich. Für die gleiche Arbeit. „Das ist ein Motivationskiller.“ Er könnte streiken, lacht er. Theoretisch.

Während Torsten Ulrich über zu wenig Geld klagt, gehen dem Land Berlin die Lehrer aus. Die Abschaffung der Verbeamtung 2004 macht sich erst jetzt richtig bemerkbar: Der Lehrermangel wird immer schlimmer. Für offene Stellen hatte die Senatsverwaltung im Februar schon nicht mehr genügend Bewerber. Und mehr als 100 Lehrer, die derzeit noch in Berlin unterrichten, haben Anfang des Jahres ihre Freistellung beantragt. Es hat sich herumgesprochen, dass in Brandenburg oder in Hamburg freie Stellen locken. Beamtenstellen.

Berlin wird abgestraft für den Mut, den Beamtenstatus an den Schulen abzuschaffen. Die Beharrungskräfte sind groß, wenn es darum geht, die öffentliche Verwaltung moderner und flexibler zu machen. Dabei wäre Handlungsbedarf dringend geboten. Die Staatsdiener werden zur Gefahr für die Etats. Für die Verwaltungsexpertin Gisela Färber ist die Lage der Beamtenversorgung „so alarmierend wie die Finanzkrise“. In einer noch unveröffentlichten Studie für die Hans-Böckler-Stiftung hat Färber die kommenden Belastungen berechnet. Ihr Ergebnis: Würde der Staat jetzt schon ernsthaft Vorsorge bis 2050 treffen, müsste er rund 970 Milliarden Euro zurücklegen – und das, so Färber, sei noch konservativ gerechnet.

Gut für Pensionäre, schlecht für die Allgemeinheit

Müssen Deutschlands Beamte deshalb um ihre Altersbezüge zittern? Oder können sie darauf bauen, dass ihr oberster Dienstherr seine im Grundgesetz verankerte Fürsorgepflicht wahrnimmt? Was gut wäre für Pensionäre, wäre schlecht für die Allgemeinheit. Denn hält der Staat sein Versorgungsversprechen, würde das vor allem eines bedeuten: Notfalls greifen öffentliche Kassen den Beamten im Ruhestand auf Pump unter die Arme – mit der Folge steigender Steuern und wachsender Schulden. Reformen hingegen würden auf starken Widerstand treffen, denn das deutsche Beamtentum hat eine mächtige Lobby. Legendär die Frotzelei Otto Graf Lambsdorffs (FDP), der Bundestag sei „mal voller und mal leerer, aber immer voller Lehrer“. Tatsächlich gehören 114 der insgesamt 622 Abgeordneten zum Berufsbeamtentum. Und wer wollte schon Reformen gegen die eigenen Interessen verabschieden?

Schon heute zahlt der Bund die Pensionen von mehr als 83 000 verbeamteten Ruheständlern, was über zwei Milliarden Euro im Jahr kostet. Und die Altersverbindlichkeiten explodieren. In den kommenden 30 Jahren wächst das Pensionärsheer um knapp 38 Prozent auf etwa 115 000. Obwohl die Zahl der Empfänger danach leicht abschmilzt, steigen die Ansprüche weiter: Bei einer jährlichen Erhöhung der Bezüge um drei Prozent würde der Bundeshaushalt im Jahr 2050 unter der gut dreifachen Pensionslast von 8,7 Milliarden Euro ächzen.

„Entscheidend für die Tragfähigkeit des Versorgungssystems ist das Verhältnis der Ausgaben zum Bruttoinlandsprodukt und den Steuereinnahmen“, schreibt die Bundesregierung dazu sperrig in ihrem aktuellen Versorgungsbericht. Soll heißen: Der Staat baut darauf, dass Wirtschaftsleistung und Steuereinnahmen steigen, um den Finanzbedarf zu decken.

Nachhaltige Vorsorge existiert nur in Ansätzen. Ab 2017 sollen jährlich 500 Millionen Euro aus einer Rücklage fließen – ein Tropfen auf den heißen Stein, angesichts von Versorgungsansprüchen, die bereits im Jahr 2020 über die Drei-Milliarden-Euro-Grenze klettern. Seit 2007 gibt es einen zusätzlichen Fonds. Der kommt allerdings nur für künftige Pensionäre auf, die fast ihre gesamte Dienstzeit noch vor sich haben. Für den Belastungsbuckel in den nächsten drei Jahrzehnten ist das keine Lösung.

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Noch schlimmer sieht es in den Ländern aus. Sie beschäftigen mit etwa 1,2 Millionen Staatsdienern den Großteil des deutschen Beamtenheers. „Glaubt einer, dass wir das Pensionsniveau halten werden?“, fragt ketzerisch Baden-Württembergs Finanzminister Willi Stächele (CDU). Eine besonders hohe Beamtenquote haben die alten Bundesländer. Was das für die Budgets bedeutet, liegt erst seit Kurzem offen auf dem Tisch – auch dank kaufmännischer Rechnungslegung, die der öffentliche Sektor endlich immer öfter anwendet.

Ein Paukenschlag weckte den hessischen Finanzminister Karlheinz Weimar und Ministerpräsident Roland Koch (beide CDU), als das Bundesland Ende vergangenen Jahres seine Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 2009 vorlegte. Die erste Staatsbilanz eines Flächenlandes gemäß Handelsgesetzbuch enthüllte: Die Ansprüche aktueller und künftiger Pensionäre bilden den mit Abstand größten Passivposten von 38 Milliarden Euro. Der ist um acht Milliarden Euro größer als Hessens gesamtes Landesvermögen. Für ein Unternehmen wäre das der Weg in die Pleite.

Die Misere liegt zum Teil daran, dass die Ministerien die Personalkosten von Lehrern oder Polizisten tragen, während sich mehr oder weniger wertvolle Immobilien in der Hand der Städte und Gemeinden befinden. „Die Länder zahlen die Pensionen und Gehälter der Lehrer, während den Kommunen die Schulen gehören“, verteidigt Finanzminister Weimar die hessische Haushaltsschieflage. Das Argument mag stimmen, beantwortet aber eine Frage nicht: Woher soll das Geld für die Alterslast kommen?

Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) haben die Hessenbilanz im Auftrag der Landesregierung unter die Lupe genommen. Sehen die Bilanzprofis die Pensionen in Gefahr? „Die Finanzierung ist so lange sicher, wie der Staat über hohe Bonität und ausreichende Einnahmen verfügt“, sagt PwC-Vorstand Wolfgang Wagner. Was bedeutet: Fehlt Geld für die Beamtenversorgung, steigen Schulden und Steuern.

Größter Passivposten

Es ist also Zeit für ein neues Konzept – nicht nur in Hessen. „Kaufmännische Rechnungslegung macht wie kein anderes buchhalterisches Instrument transparent, welche Lasten auf den Staatshaushalt zukommen“, sagt Wagner. Noch wichtiger sei aber, dass die Haushälter daraus Konsequenzen ziehen. Denn die bei Kämmerern und Finanzministern traditionell übliche Kameralistik lässt in der Zukunft liegende Pensionslasten schnell unter den Tisch fallen. Doppelte Buchführung nach Kaufmannsart macht Schluss mit dieser Verzerrung. Sie verbucht die späteren Altersbezüge verbeamteter Staatsdiener schon während des Berufslebens als Aufwand. Und in der Bilanz warnt zusätzlich eine Pensionsrückstellung vor der künftigen Zahllast.

Das ist ein Vorbild für Bundesländer mit den gleichen Problemen wie Hessen. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) sieht etwa auf Niedersachsen eine noch größere Lawine zukommen. Der jährliche Versorgungsaufwand des Landes dürfte sich demnach bis zum Jahr 2033 auf mehr als sechs Milliarden Euro verdreifachen. Würden die Niedersachsen ebenfalls bilanzieren, müssten sie für die künftigen Pensionsansprüche ihrer Beamten auf einen Schlag 78 Milliarden Euro zurückstellen. Eine neue Erkenntnis für die Haushälter, die sich viel zu lange in dem Glauben wogen, Beamte seien günstig. Noch Mitte der Neunzigerjahre teilte der damalige niedersächsische Finanzminister Hinrich Swieter (SPD) einer erstaunten Öffentlichkeit mit: „Angestellte sind durchschnittlich bis 15 Prozent teurer.“

Irrtum. „Langfristig sind Angestellte kostengünstiger für den Steuerzahler“, sagt BdSt-Präsident Karl Heinz Däke. Ministerien rechneten die kommenden Pensionslasten gern per Abzinsung auf die Gegenwart klein. Das scheint kaufmännisch korrekt, bringt aber nichts, wenn die gesparten Rentenversicherungsbeiträge nicht verzinslich angelegt werden.

ARCHIV - ILLUSTRATION - Ein Quelle: dpa

Wie das korrekt funktioniert, zeigt etwa Rheinland-Pfalz. Mit einem Pensionsfonds für ab 1996 neu eingestellte Beamte und Richter ist das Land Vorreiter bei seriöser Altersfinanzierung. Die übrigen Länder bauen erst nach und nach Fonds und Rücklagen auf. Dafür ist es höchste Zeit. Rentenexperten der Universität Freiburg haben die Flächenländer Niedersachsen und Baden-Württemberg einem Stresstest unterzogen. Aktuell untersuchen sie auch andere Bundesländer. Diese müssen, wie sich abzeichnet, im Jahr 2040 bis zu einem Viertel ihrer Steuereinnahmen für die Beamtenversorgung aufwenden.

Die ohnehin schon desolate Lage der Haushalte zwingt die Politik zum Umdenken. Als Vorbild könnten die Rentner dienen, mit denen der Staat nicht gerade zimperlich umgehen will: Künftig müssen normale Arbeitnehmer stärker privat vorsorgen, während ihre persönliche Altersrücklage über den Riester-Faktor gleichzeitig die gesetzliche Altersversorgung drückt. Allerdings stocken auch hier die Reformen. Der Schutzschirm von Ex-Arbeits- und Sozialminister Olaf Scholz (SPD) bewahrte Rentner zuletzt vor Kürzungen. Doch auf lange Sicht wird das Rentenniveau durch den Nachhaltigkeitsfaktor rasant sinken. Und länger arbeiten müssen die Beschäftigten wegen der Rente mit 67 künftig auch. Das gilt ebenso für Bundesbeamte, aber das Gros ihrer Kollegen in den Ländern blieb bisher davon verschont. Dabei sieht auch Finanzwissenschaftlerin Färber „die größten Effizienzreserven in der Lebensarbeitszeit“.

Stresstest in Niedersachsen

Viele schmerzhafte Reformen hat Vater Staat seinen unkündbaren Dienern allerdings erspart. Der Ökonom Bernd Raffelhüschen staunt über so viel Trägheit, denn: „Das demografische Problem ist bei der Beamtenversorgung deutlich größer als in der gesetzlichen Rentenversicherung, und vor allem kommt es schneller“. An der Pension mit 68 führe kein Weg vorbei.

Noch sind die Staatsdiener bei der Altersversorgung privilegiert. Während der Durchschnitts-Pensionär sich laut Universität Freiburg über monatlich 2570 Euro freut, muss der Normal-Rentner mit 984 Euro im Monat auskommen. Zwar hat der Vergleich Schwächen. So sind Pensionen zu versteuern oder profitieren viele gesetzlich Versicherte von Betriebsrenten, die nicht in der Statistik auftauchen. Trotzdem bleibt zahlreichen Beamten im Alter netto mehr übrig. Sogar der Finanzmathematiker Werner Siepe – selbst Pensionär – sagt, dass die Nettopensionen um bis zu 20 Prozent über den Nettogesamtrenten ehemaliger Tarifbeschäftigter im öffentlichen Dienst liegen.

Ein Radikalumbau ist trotz Widerständen möglich. Das beweist der Blick über die Grenze. Im Jahr 2000 machten die Schweizer nach langer Vorbereitung einen tiefen Schnitt. Fast alle der zuvor rund 120 000 eidgenössischen Beamten arbeiten nun als öffentliche Angestellte. Nur rund 300 behielten den alten Status, vor allem bei der Bundesanwaltschaft oder dem Bundesverwaltungsgericht. Selbst Polizisten und Finanzbeamte sind nun Angestellte – aus deutscher Sicht undenkbar. Doch die Schweiz funktioniert immer noch.

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