Staatsrechtler Die AfD kollidiert mit dem Grundgesetz

Der Verfassungsschutz sieht nach dem AfD-Programmparteitag weiter keinen Anlass, die Partei als Ganzes zu beobachten. Dabei sind deren Anti-Islam-Beschlüsse teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, sagen Juristen.

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Die Bundesvorsitzende der AfD, Frauke Petry, sowie ihre Partei-Kollegen sind in diesem Jahr nicht zum Bundespresseball eingeladen. Quelle: AFP

Berlin Nach Einschätzung von Staatsrechtlern ist die von der rechtspopulistischen AfD in ihrem Grundsatzprogramm verankerte Ablehnung des Islam verfassungsrechtlich problematisch. „Die Beschlüsse der AfD sind nicht mit der im Grundgesetz gewährleisteten Religionsfreiheit vereinbar. Diese Freiheit umfasst nicht nur das Haben einer religiösen Überzeugung, sondern auch deren Betätigung, auch in der Öffentlichkeit“, sagte der der Direktor der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, Joachim Wieland, dem Handelsblatt.

Die AfD hatte am Wochenende ihr erstes Grundsatzprogramm beschlossen. Darin enthalten ist der umstrittene Satz: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Die AfD wendet sich unter anderem gegen die Vollverschleierung von Frauen, sogenannte Burkas, den Bau von Minaretten und das Schächten von Tieren, die von Juden und Muslimen praktizierte Schlachtung.

Wieland betonte, dass jede Religionsgemeinschaft selbst bestimme, welche Handlungen Ausdruck ihres Glaubens seien. „Der Ruf des Muezzins und der Bau von Minaretten fallen deshalb genauso in den Schutzbereich der Religionsfreiheit wie das Läuten von Kirchenglocken und der Bau von Kirchtürmen.“ Beachtet werden müssten das Immissionsschutzrecht und das Baurecht, für den Ruf des Muezzins und den Bau von Minaretten gelte aber „weder anderes noch strengeres Recht“.

Auch das Schächten sei, wie Wieland weiter sagte, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom Grundrecht der Religionsfreiheit geschützt, wenn es von einer entsprechenden Glaubensüberzeugung getragen werde.

Ähnlich äußerte sich der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart. „Man mag über einzelne der Programmpunkte durchaus diskutieren – in ihrer Gesamtheit offenbaren sie doch eine deutlich gegen den Islam gerichtete Grundtendenz, die meines Erachtens mit dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates nicht vereinbar ist“, sagte Degenhart dem Handelsblatt. „Selbstverständlich haben islamische Glaubensgemeinschaften das Recht, Moscheen mit oder ohne Minarett zu bauen und zum Gebet zu rufen, dies ist Bestandteil ihrer Religionsfreiheit. Generelle Verbote wären daher verfassungswidrig.“

Konkrete Konflikte im Einzelfall ließen sich nach Ansicht Degenharts im Rahmen etwa des Baurechts grundrechtskonform lösen. Weniger eindeutig sei hingegen die Rechtslage beim Burka-Verbot, das immerhin für Frankreich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für zulässig erklärt worden sei. Ein generelles Schächtverbot, ohne Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung wäre indes mit Artikel 4 Grundgesetz nicht vereinbar. „Aber auch dies wird zum Teil unterschiedlich gesehen, wie auch die Frage der Beschneidung“, sagte Degenhart.


AfD-Beschlüsse alarmieren Kirchen und Verbände

Dessen ungeachtet hält Degenhart die Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, ebenso für problematisch wie die Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland. „Die Frage, ob der Islam zu Deutschland „gehört“, sollte in dieser Form nicht gestellt werden“, sagte der Jurist. Fakt sei, dass in Deutschland islamische Glaubensgemeinschaften existierten. „Ob deren Angehörige sich der deutschen Gesellschaft zugehörig empfinden, kann ihnen weder vorgegeben noch verboten werden“, so Degenhart.

Zuvor hatten schon Politiker von SPD und Grünen der AfD vorgeworfen, mit ihrem Grundsatzprogramm den Boden des Grundgesetzes zu verlassen.  „Im Programm der AfD gibt es gleich mehrere Eingriffe in die Religionsfreiheit“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). „Es wird ein Rechtsverständnis der Partei deutlich, bei dem die Grundrechte nicht allen, sondern nur einer der AfD genehmen Gruppe zugestanden werden sollen.“

Die Religionsfreiheit werde von zwei Seiten bedroht: Von denen, die eine Religion fundamentalistisch okkupierten und zu Gewalt aufriefen. „Außerdem von denen, die - wie die AfD - eine Religion pauschal und fundamentalistisch attackieren“, sagte auch SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem Handelsblatt. „Beides widerspricht der Religionsfreiheit und den anderen in unserer Verfassung geschützten Grundrechten.“ Die AfD, so Stegner weiter, stehe mit ihren Beschlüssen für Intoleranz - „und ihre Propaganda ist geprägt von Ressentiments und Hetze gegen Minderheiten“.

Ähnlich äußerten sich die Grünen. „Die AfD ignoriert bei ihren Islam-Beschlüssen die Regelungen und die Rechtsprechung zur Religionsfreiheit aus Artikel 4 des Grundgesetzes und das deutsche Religionsverfassungsrecht, beides auch Ausfluss der leidvollen Erfahrungen unserer Geschichte“, sagte Fraktionsvize Konstantin von Notz dem Handelsblatt.

Mit ihren umstrittenen Beschlüssen vom Stuttgarter Parteitag hat die AfD auch Kirchen und Verbände alarmiert: „Teile der AfD stellen das Recht auf freie Religionsausübung in Frage“, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm am Montag. Besorgt über die AfD zeigte sich auch der Verband europäischer Juden.

Die AfD wolle „ganze Gruppen von Menschen vom öffentlichen Leben Deutschlands ausgrenzen“, sagte Bedford-Strohm dem Sender NDR Info. Das sei mit dem Grundgesetz und den christlichen Werten nicht zu vereinbaren. „Wir müssen gegen Stimmungen vorgehen, die eine andere Religion pauschal abwerten und für grundgesetzwidrig erklären“, sagte der EKD-Vorsitzende. „Religion muss eine Kraft der Versöhnung des Friedens sein und deswegen brauchen wir den Dialog der Religionen.“


Rechtsextremistische Bürgerbewegung Pro NRW lobt AfD

Das AfD-Programm sei durchzogen von „Demagogie und Populismus“, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Ein solch islamfeindliches Programm hilft kein Deut, Probleme zu lösen, sondern spaltet nur unser Land.“ Die Haltung der AfD sei „ausgrenzend“, sagte auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber. „Die AfD hat noch einmal unter Beweis gestellt, dass sie eine rückwärtsgewandte Partei ist“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley.

Die European Jewish Association (EJA) forderte die Bundesregierung auf, gegen die AfD vorzugehen. Die Partei sei eine „Bedrohung für die europäischen jüdischen Gemeinden, die Religionsfreiheit und den sozialen Frieden“, erklärte der EJA-Vorsitzende Menachem Margolin. Die AfD sei eine „Warnung an die jüdische Gemeinde“. Der Verband verwies auf die Forderung der AfD, Praktiken aus dem Judentum und dem Islam wie die Beschneidung von Jungen und das Schlachten von Tieren ohne Betäubung zu verbieten.

Maas zeigte sich überzeugt, dass die AfD ein „komplett anderes Land“ wolle, „ein Land in dem die Mehrheit der Deutschen sicher nicht leben will“. Die Partei vertrete „fremdenfeindliche Positionen“. „Sie schürt Ängste, bietet aber keine Lösungen. Mit einem Minarettverbot wird noch keine einzige Rente sicherer“, sagte er der FAZ.

Eine Überwachung durch den Verfassungsschutz hält der Minister aber trotzdem nicht für angezeigt. „Die primäre Auseinandersetzung muss politisch erfolgen, nicht mit den Mitteln des Verfassungsschutzes“, sagte er.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sieht ohnehin keinen Anlass, die Partei als Ganzes zu beobachten. „Es gibt keine neue Lage“, sagte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen am Montag am Rande eines Symposiums in Berlin. „Wenn es Einzelpersonen geben sollte, bei denen man Extremismus vermuten würde, schauen wir uns die aber natürlich an“, ergänzte er.

Die Bürgerbewegung Pro NRW, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird, erklärte indessen, die AfD habe bei ihrem Bundesparteitag „die wesentlichen islamkritischen Forderungen von Pro NRW übernommen und diese in einigen Bereichen gar noch zugespitzt“.

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