Im Ruhrgebiet wollen sie vom Strukturwandel schon lange nichts mehr hören; zu oft schon wurden mit diesem Begriff Hoffnungen geweckt, die sich zerschlugen. Die Menschen schätzen hier das neue Wechselspiel von Natur und städtischem Raum, mögen sich und ihre Mentalität, hat das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) zuletzt in einer Umfrage herausgefunden, doch beim Wort „Strukturwandel“ stöhnen alle auf: An eine gute Zukunft mit gut bezahlter Arbeit, hohen Steuereinnahmen und schönen Schulen glaubt hier kaum noch einer.
Stark überzeichnet
Für Peter Greulich klingt das alles nach Verschwörung. Der schlanke Mittfünfziger ist seit über zehn Jahren Stadtdirektor in Duisburg und strahlt das lässige Selbstbewusstsein eines Chefarztes aus. Natürlich gebe es Probleme, sagt Greulich, im Ruhrgebiet und auch in Duisburg, aber in der aktuellen Diskussion werde doch alles stark überzeichnet: „Insgesamt sehe ich die Zukunft der Stadt sehr positiv.“ Dass Duisburg selbst im Ruhrgebiets-Vergleich eine der höchsten Arbeitslosenquoten aufweist? „Der Strukturwandel ist hier halt noch im vollem Gange.“ Die Leerstandsquote, die in manchen Vierteln bei über zehn Prozent liegt? „Es gibt in einzelnen Vierteln sicher noch einigen Nachholbedarf.“ Die anhaltende Abwanderung, obwohl die Stadt doch in den vergangenen 30 Jahren schon mehr als 100.000 Einwohner verloren hat? „Wir müssen mehr attraktiven Wohnraum für junge Familien schaffen.“
Rund ums Rathaus hat sich Duisburg bereits fein gemacht. Der Binnenhafen zählt architektonisch und wirtschaftlich zum Spannendsten, was die Gegend zu bieten hat. Die Einkaufsmeilen der Stadt füllen sich langsam wieder mit Menschen, seit der Neuigkeitswert einer Einkaufswelt im benachbarten Oberhausen sinkt. Und die unsägliche Autobahn A 59, die das Stadtzentrum in zwei Teile schneidet, wird gerade unter die Erde verbannt. Wenn jetzt noch das neue Outlet-Center und der Rheinpark im Problemviertel Hochfeld fertig werden, meint Greulich, dann stehe es um Duisburgs Zukunft gar nicht so schlecht.
Stolz und Heimat
Duisburgs Gegenwart abseits der Großprojekte liegt sechs Kilometer von Greulichs Büro entfernt, auf der nördlichen Seite der Ruhr, von der Innenstadt getrennt durch den Hafen, im Stadtteil Beeck, im Viertel von Ahmet Boztepe: eine bröckelnde Häuserreihe, an den Fassaden eine Reihe türkischsprachiger Schilder, dahinter ein Koloss aus Eisen, Backstein und Beton – das Stahlwerk Bruckhausen, Stolz und Heimat des Thyssen-Konzerns, bis heute das größte Stahlwerk im ThyssenKrupp-Verbund. Boztepe ist ein türkischstämmiger Duisburger; er berät Existenzgründer, die sich hier niederlassen wollen, aber so richtig begeistert ist er von seiner Heimat selbst nicht mehr.
„Stadtteile wie Hochfeld oder Laar“, sagt Boztepe, „werden von Jahr zu Jahr trostloser, ohne dass die Stadt mit ihren wirtschaftlichen Beschränkungen etwas tut.“ Denn Duisburg ist mindestens so pleite wie seine Nachbarn. Die Stadt steht unter Haushaltssicherung, jede Ausgabe muss von der Bezirksregierung in Düsseldorf genehmigt werden. Gerade scheitert die Einschulung von ein paar Dutzend Kindern zugewanderter Bulgaren und Rumänen daran, dass die Stadt das Bahnticket nicht bezuschussen kann. Es ist schon kurios: Boztepes Vorfahren sind nach Deutschland gekommen, weil die Wirtschaft hier brummte; heute brummt die Wirtschaft in der Türkei, und die Wanderungsbewegung dreht sich um: „In Istanbul“, sagt Boztepe, „ist es für gut ausgebildete Deutschtürken viel leichter, einen guten Job zu bekommen, als in Duisburg.“