Wachstum – daran ist in vielen Städten des Ostens seit 22 Jahren nicht zu denken. Eisenhüttenstadt zum Beispiel, das war einmal ein sozialistischer Traum, eine Planstadt und ein Stahlkombinat, 1950 erdacht, erbaut und stetig gewachsen. Im letzten Jahr der DDR-Geschichte lebten hier 53.000 Menschen in sieben Wohnkomplexen. Vier davon bilden bis heute das Zentrum südlich des Werkes, drei weitere fraßen sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren südlich und östlich ins Umland – und verbanden sich mit dem historischen Fürstenberg an der Oder.
Nach der Wende stellte sich in Eisenhüttenstadt die Existenz- und Zukunftsfrage. Das Kombinat beschäftigte damals 16.000 Menschen; es war nicht wettbewerbsfähig, ganz Eisenhüttenstadt wusste und bangte: Ohne Werk keine Stadt. Die Politik entschied sich, Eisenhüttenstadt zu retten – und ihre notfallmedizinischen Maßnahmen glückten: Die Treuhand verkaufte das Werk an einen belgischen Investor. Brüssel bezahlte einen großen Teil der 1,3 Milliarden Mark teuren Investitionen.
Seither befindet sich Eisenhüttenstadt auf der Intensivstation. Die Stadt schrumpft und schrumpft, weshalb die proportionalen Kosten zur Aufrechterhaltung ihrer Vitalfunktionen steigen und steigen – mit jedem Einwohner, den die Stadt verliert: die laufenden Kosten, also der Betrieb von Bücherei, Schwimmbad, Sporthalle und Kulturzentrum – Einrichtungen, die von zunehmend weniger Menschen genutzt werden. Aber natürlich auch die Kosten der Rettung von damals, als man noch meinte, mit der Rettung des Werkes 50.000 Menschen helfen zu können. Man muss wissen, um die Lage des Ostens wirklich zu verstehen: dass aus einem heute investierten Euro in Eisenhüttenstadt durch kein Wachstum der Welt morgen zwei werden können, sondern dass hier seit 20 Jahren jeder Euro, den man für Eisenhüttenstadt aufwendet, eigentlich mit zwei Euro zu Buche schlägt, weil die Hälfte der Leute, die man ursprünglich fördern wollte, längst woanders ist.
Sinkende Einwohnerzahl
Vor elf Jahren, kurz vor dem Start von „Stadtumbau Ost”, war Christiane Nowak noch optimistisch. Damals sah sie Eisenhüttenstadt im Jahre 2015 bei 35.150 Einwohnern stehen. Weitere 15 Prozent weniger in 15 Jahren, das war zwar keine erbauliche Perspektive, aber immerhin: eine Perspektive. Und mit so einer Perspektive lässt sich arbeiten, dachte Christiane Nowak – bis sie zwei Jahre später (2003) die nächste Prognose las: Danach landete Eisenhüttenstadt in 2015 bei 32.830 Einwohnern.
Seither regiert die Bereichsleiterin Stadtentwicklung und Stadtumbau im Zwei-Jahres-Rhythmus sinkenden Prognosen und Einwohnerzahlen hinterher. Im Moment sind es weniger als 30.000. In drei Jahren sollen es nur noch 26.350 sein. „Eisenhüttenstadt entwickeln, das bedeutet: Eisenhüttenstadt muss attraktiv werden durchs Kleinerwerden“, sagt Christiane Nowak – und wer mir ihr durch den Wohnkomplex II marschiert, eine frisch sanierte Sozialismus-Siedlung der schönsten Art – Flachdach-Häuser, blockhaft einander zugewandt, bekrönt mit hübschen Attiken, dazwischen viel Erholungsgrün –, der wird ihr sogleich gratulieren: Alles richtig gemacht!