Städtebau Im Ruhrgebiet wächst das Elend - und der Neid

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Eine Region hinkt hinterher

Abbruch West? In Duisburg Bruckhausen werden 121 Häuser abgerissen. Sie sollen einem Grüngürtel Platz machen. Das kann nur ein Anfang sein, sagen viele hier, schließlich nimmt gerade im Norden der Stadt der Leerstand seit Jahren zu. Quelle: dapd

Greulichs Oberflächenglanz und Boztepes Tiefenschwärze – das sind zwei widersprüchliche Ergebnisse eines einzigen 40-jährigen Umbau-Prozesses. Bereits Ende der Siebzigerjahre war die Zahl der Arbeitslosen im Revier mehr als doppelt so hoch wie im Bundesschnitt; trotzdem hat man noch jahrelang kräftig um Gastarbeiter geworben, als längst hätte klar sein können, das die bloß ein Ticket in die Langzeitarbeitslosigkeit buchen würden. Seither sind regalweise Pläne geschrieben und umgesetzt, Milliarden an Fördergeldern verbuddelt worden. Erst setzte man ganz industriepolitisch auf eine Renaissance der Kohle, später ganz innovationspolitisch auf eine Förderung der Kreativwirtschaft. Nur an der Bestandsaufnahme änderte sich in all den Jahrzehnten nichts: Die Region hinkt der bundesweiten Entwicklung verlässlich hinterher. Die Einkommen steigen langsamer, die Arbeitslosigkeit liegt höher, die Bevölkerung schrumpft schneller.

Angesichts dieser Diagnose stellt sich die Frage, ob Politiker und Wirtschaftsforscher ihren Blick nach Osten richten sollten. Dorthin, wo es scheinbar gelungen ist, einen fulminanten Neustart hinzulegen. Zwar liegt die ostdeutsche Wirtschaft in Sachen Produktivität, Arbeitslosigkeit und BIP weiter deutlich hinter den westdeutschen Bundesländern zurück, doch in einigen Städten ist der Anschluss geschafft: Leipzig, Dresden oder Jena haben sich zuletzt so schwungvoll entwickelt, dass ein Platz in der ersten Riege der deutschen Städte hier nicht mehr nur nostalgische Erinnerung, sondern reale Option ist. Taugt der Strukturwandel in Ostdeutschland als Vorbild für das Ruhrgebiet?

Abschied von der homogenen Republik
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Geld für Forschung

Uwe Neumann, Leiter der Abteilung Regionalforschung am RWI, ist da skeptisch: „Der Osten steht nur deshalb verhältnismäßig gut da, weil er von weit unten kommt.“ Die industrielle Basis sei dort weitgehend vernichtet – weshalb die Situation nicht vergleichbar sei. „Im Ruhrgebiet hat es nach der Kohleära nie wieder einen Boom gegeben“, sagt Neumann, „aber dafür blieb die Industriestruktur erhalten.“ Zentrale Unternehmensbereiche – Zentralen, Forschungsabteilungen – seien im Ruhrgebiet verhältnismäßig häufig vertreten, während die Industrie in Ostdeutschland, wenn überhaupt, nur als verlängerte Werkbank fungiere. Duisburg zum Beispiel hat zwar eine Arbeitslosenquote von 13,4 Prozent. Aber Duisburg ist zugleich Heimat von Konzernen wie Haniel, Klöckner und Alltours; es gibt den Hafen, einen wichtigen Siemens-Standort oder die traditionsreichen Grillo-Werke.

Jutta Günther vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle sekundiert. Man habe gehofft, dass aus den Produktionsstandorten im Osten Entwicklungszentren würden, und viel Geld in die öffentliche Forschung (Fraunhofer- und Max-Planck-Institute) gesteckt. Doch diese Hoffnung habe getrogen, weshalb die Pro-Kopf-Produktivität seit rund einer Dekade beinahe konstant bleibt und bis heute weniger als 80 Prozent des Westniveaus erreicht hat. Was aber im Osten nicht funktioniert habe – durch öffentlich geförderte Forschung private Unternehmen anzulocken –, das „könnte im Ruhrgebiet durchaus eine Erfolg versprechende Strategie sein“, sagt Günther: „Schließlich sind hier privatwirtschaftliche Anknüpfungspunkte vorhanden.“

Sozialistischer Traum

Abgesehen davon, ist die Substanz von Duisburg besser, als es ihre Fassade vermuten lässt: Die Zahl der Arbeitsplätze zum Beispiel ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Warum die Stadt davon nicht wirklich profitiert, zeigt sich im Pendlersaldo: Viele Gutverdiener arbeiten in Duisburg; wohnen aber wollen sie im Düsseldorfer Norden oder im Mülheimer Westen. Auch als Ganzes hat das Ruhrgebiet in den vergangenen Jahren eine positive Entwicklung genommen: Während das Bruttoinlandsprodukt hier pro Kopf um gut 13 Prozent stieg, waren es im Rest von NRW nur knapp sechs Prozent – und in den anderen Bundesländern nur zehn.

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