Städtebau Im Ruhrgebiet wächst das Elend - und der Neid

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Man kann es nicht jedem Recht machen

Strukturwandel überlebt - Obwohl Kohle und Stahl im Ruhrgebiet weitgehend Geschichte sind, prosperiert der Duisburger Hafen. Quelle: dpa

Nowak hat sich entschieden, das Zentrum auf Kosten der Ränder zu stärken; die jüngeren Plattenbau-Siedlungen an der Peripherie sind im Gegensatz zu den ersten vier Wohnkomplexen architektonisch ambitionslos. Und so hat die Stadt nicht nur mittlerweile 5.600 Wohneinheiten abgerissen, sondern Wohnkomplex VII gleich dem Erdboden gleichgemacht. Sicher, es gab Härtefälle: Familien und auch ein paar Alte, die umziehen mussten und sich stattdessen den Erhalt und schonungsvollen Rückbau ihrer Siedlung gewünscht hätten. „Aber wenn Sie es jedem recht machen wollen“, sagt Nowak, „dann machen Sie es keinem recht.“

Das sieht auch Karsten Münch ein. Und doch findet der 38-jährige Immobilienmakler, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern gerade in eine frisch renovierte Wohnung im abgelegenen Wohnkomplex VI gezogen ist, dass es so nicht weitergehen kann: „Abriss, Renovierung, Umzug – wer soll das alles bezahlen?“ 700 Euro warm müssen die Münchs für 100 Quadratmeter aufbringen, rund 100 Euro mehr als vorher – „das ist hier im Osten ’ne ganze Stange Geld“. Tatsächlich sind die Preise für Wohnraum in Eisenhüttenstadt vergleichsweise hoch – was nicht zuletzt daran liegt, dass die 2.500 Beschäftigten im Stahlwerk, das heute zum Arcelor-Mittal-Konzern gehört, nach Tarif bezahlt werden.

Lieber ins Eigenheim

Das Problem ist, dass die 2.500 Arbeiter, die in kleineren Betrieben der Stahlbranche arbeiten, kaum mehr als die Hälfte ihrer Kollegen erhalten – und die Mieten für die schönen neuen Wohnungen im Stadtzentrum nicht aufbringen können. Christiane Nowak beteuert zwar, dass der Leerstand in den zentralen Komplexen bei unter 15 Prozent liegt, doch auch sie weiß: Viele Eisenhüttenstädter können sich die Wohnungen nicht leisten; wer sie sich aber leisten kann, der baut sich lieber ein Eigenheim.

Im Extremfall heißt das: Im subventionierten Wohnkomplex der Innenstadt wohnen zur Vermeidung von Leerstand Subventionsempfänger. Wer aber kein Subventionsempfänger ist, der arbeitet in einem Stahlwerk, dessen Existenz sich Subventionszahlungen verdankt – und in einem Unternehmen, dessen laufender Betrieb zum Dank dafür, dass es keine Subventionsempfänger beschäftigt, indirekt subventioniert wird, weil es so gut wie keine Gewerbesteuer zahlt.

Nachhaltigkeit funktioniert anders

Nahhaltig klingt das alles nicht. Und doch gibt Christiane Nowak nicht auf: „Wir brauchen noch etwas Geduld. Ich bin sicher, irgendwann, vielleicht mit 25.000, vielleicht mit 20.000 Einwohnern, wird die Stadt sich selbst tragen.“ Es sei denn, nicht die Politik, sondern Arcelor-Mittal käme auf die Idee, den Standort Eisenhüttenstadt irgendwann aufzugeben.

Aber das wäre dann eine andere Geschichte.

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