Standort Chemnitz: Wiederaufstieg einer Industriestadt

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Um Qualität und Innovationskraft zu sichern, bedient sich Maximo-Chef Gries des Sächsischen Textilforschungsinstituts, und er nimmt damit an einem Trend teil, der den Boom beschleunigt hat. Industrie, TU Chemnitz und das Fraunhofer-Institut arbeiten praxisorientiert zusammen.

Seine Entwicklung vom Biest zur Schönen hat Chemnitz zunächst einem Umstand zu verdanken, für den es wenig kann – der globalisierten Dynamik, die ihre Schwungkraft aus den Boom-Ökonomien Chinas, Indiens, des arabischen Raums und Russlands bezieht. Was dort produziert und geliefert wird, ist immer noch auf Industrieanlagen angewiesen, die aus dem Westen kommen, vorzugsweise von all den renommierten Anlagenbauern des Qualitätsstandorts Deutschland. Für diese Lindes und Lurgis wiederum schweißt unter anderem die Harald Liebers Behälter- und Apparatebau Wärmetauscher, Tanks und Lagerbehälter zusammen, Rührwerks- und Druckbehälter, die von der Alt-Chemnitzer Schulstraße in die ganze Welt gehen.

„Schön wär’s ja“, grinst der grau-struppige Firmeninhaber Harald Liebers im Polohemd und schwenkt die Arme Richtung Norden, „wenn die Chemnitz schiffbar wäre.“ Um den Insider-Joke zu verstehen, muss man wissen, dass die Chemnitz der Stadt zwar den Namen gegeben hat, aber oft nur ein Rinnsal ist, über das man an ausgedörrten Sommertagen trockenen Fußes hüpfen kann. Abgesehen von der Unschiffbarkeit der Chemnitz ist der gelernte Schweißingenieur und Werksleiter Harald Liebers mit sich und der Auftragslage seiner Firma derzeit hochzufrieden.

Wie viele Unternehmer und Unternehmen profitiert auch Harald Liebers von dieser einzigartigen Melange aus Modernität und Historizität, aus Globalisierungsgebot und regionaler Verwurzelung, die den Produktionsstandort kennzeichnet. Chemnitzer Unternehmen beliefern zwar die ganze Welt mit Anlagen und Maschinen, mit Autoteilen und Mikrosystemtechnik – aber sie könnten die Globalisierung vielleicht nur halb so gut stemmen, wenn sie in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht so gut miteinander vernetzt wären. Kurze Wege, bewährte Partnerschaften. Man kennt sich.

Industriestadt mit Tradition

Handwerk und High Tech: In der historischen Tradition der Industriestadt Chemnitz sind Geschicklichkeit und Handwerkskönnen der 90 Fachkräfte begründet, die Harald Liebers beschäftigt. Viele sind ehemalige „Germanen“ wie der Firmeninhaber selbst – Schweißer und Ingenieure, die zu DDR-Zeiten bei der VEB Apparate- und Anlagenbau Germania gearbeitet haben. Bis heute ist die Fabrikation in den alten Hallen der Germania, aufragende Konstruktionen, vielleicht ein wenig zu hochragend für die meisten Druckbehälter, die heute gebraucht werden.

Während Liebers händeschüttelnd und schulterklopfend durch den Betrieb geht, weicht er den sprühenden Funken aus, die den vermummten Schweißern unter beträchtlichem Lärm von der Schweißnaht fliegen. Die Firma hat er vor genau zehn Jahren aus der Insolvenz des Vorgängerunternehmens übernommen, aus den 200.000 Mark Schulden sind 2,5 Millionen Euro Verbindlichkeiten geworden, die durch gute Auftragslage gesichert sind.

Liebers überlegt gelegentlich, mehr Leute einzustellen, mehr Produktionsfläche anzumieten, zu wachsen. Seine aus Erfahrung, Skepsis und Kalkulationsvermögen genährte Vorsicht hat ihn bisher daran gehindert. Vielleicht auch ein bisschen die Sorge davor, dass sich die Wirtschaftsgeschichte der DDR als Farce wiederholen könnte. Danach sieht’s einstweilen nicht aus, jedenfalls nicht in Chemnitz.

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