Standort Deutschland Warum Deutschland bei der Digitalisierung lahmt

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Digitale Horrorbilanz

Den gewaltigen deutschen Rückstand dokumentiert eine Studie des unabhängigen Nationalen Normenkontrollrats. Demnach liegt Deutschland beim E-Government derzeit auf Platz 20 unter den 28 EU-Ländern. Das, so Expertin Plöger, sei nicht zuletzt eine Katastrophe für den Mittelstand, der „auf schlanke staatliche Prozesse und den Abbau bürokratischer Lasten“ setze.

Deutschland abgeschlagen: Ausbau des Glasfasernetzes nach Haushalten. (Zum Vergrößern bitte anklicken)

Die digitale Horrorbilanz ist auch auf organisatorische Schwächen zurückzuführen. Die große Koalition legte das wichtige Zukunftsthema in viel zu viele Hände. Gleich fünf Ministerien beanspruchen derzeit die Hoheit über den digitalen Fortschritt. Der ständige Streit zwischen den Ressorts Verkehr, Wirtschaft, Innen, Justiz und Forschung nervt. Und lähmt jeden Fortschritt.

Künftig soll es einen zentralen, digitalen Koordinator in der Regierung geben, versprechen alle Parteien in ihren Wahlprogrammen. Natürlich. Nur stand auch das schon in den Wahlprogrammen vor vier Jahren. Genauso wie das Versprechen, „digitale Bürgerportale“ einzurichten.

Lahmes Internet

Besonders eklatant sind die deutschen Versäumnisse bei der digitalen Infrastruktur. Der Anschluss mit Glasfaserkabeln für sehr schnelles Internet ist in Deutschland schlicht ungenügend. Eine Prognose des Glasfaserverbandes FTTH Council Europe müsste die Politik eigentlich aufrütteln: Die Experten erwarten, dass bis 2019 gerade einmal drei Prozent der deutschen Haushalte einen Glasfaseranschluss nutzen können. Anders gesagt: Deutschland bleibt ein Land der Abgehängten (siehe Grafik).

Zwar hat der Bund in dieser Legislaturperiode rund vier Milliarden Euro in den Breitbandausbau investiert, um bis 2018 bundesweit jeden Haushalt mit einem Internetanschluss von mindestens 50 Megabit pro Sekunde auszustatten. Doch das Geld kommt mitunter gar nicht vor Ort an.

Heiko Blume, Landrat in Uelzen, kann abendfüllend davon erzählen. Sein Landkreis südlich von Hamburg hat 2012 beschlossen, alle Dörfer der Region mit Glasfaserkabeln anzuschließen. Um staatliche Subventionen anzapfen zu dürfen, musste die Verwaltung zunächst bei Telekommunikationsunternehmen anfragen, ob sie Straßen und Dörfer von sich aus mit mehr als 30 Megabit pro Sekunde versorgen wollten. In elf Gebieten gab es weiße Flecken ohne solche Pläne, Zuschüsse des Staates waren dort also erlaubt. Und so wollte Landrat Blume für mehr als 12 000 Einwohner blitzschnelle Glasfaserkabel verbauen, gefördert durch die Breitbandfonds von Land und Bund.

Buddeln für die Zukunft: Nur Glasfaserkabel gelten als leistungsfähig genug.

Doch der Landrat hatte die Rechnung ohne die Deutsche Telekom gemacht. Auf einmal motzte der Konzern bestehende Kupferleitungen in den ausgewiesenen Gebieten auf – mit der sogenannten Vectoring-Technik. Dadurch überlegten sich manche Bürger – die sich dem Umbau mehrheitlich verpflichten müssten –, lieber doch bei der alten Technik zu bleiben. Natürlich konterkariere das die eigenen Ausbaupläne, sagt Blume. Nun werde die Glasfaser möglicherweise in einigen Gebieten doch nicht verbaut.

Was klingt wie eine bloße Provinzposse, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil: eine veritable Staatsaffäre. Namhafte Experten nennen die umstrittene Vectoring-Technik der Telekom als Hauptgrund, warum Deutschland in puncto Breitband den Anschluss verliert. Mit ihrem Netzupdate presst die Deutsche Telekom bis zu 100 Megabit pro Sekunde aus ihren alten Kupferleitungen. Das ist ein bisschen so, als motzte man einen Käfer auf, um den 911er zu verhindern. Und doch hat die Politik beschlossen, der Telekom quasi ein Monopol auf das Frisieren ihrer alten Technologie einzuräumen. Auf der Strecke bleibt die Glasfaserinfrastruktur. Und die Zukunft. Wettbewerber sprechen von „Remonopolisierung“.

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