Standort Deutschland Womit die Deutschen weltweit erfolgreich sind

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Deutschland ist Durchschnitt und Spitze zugleich – und deshalb hat sich die WirtschaftsWoche nach Beispielen für das beeindruckend vitale Tagesgeschäft zwischen Flensburg und Bad Reichenhall, Saarbrücken und Görlitz umgesehen. Herausgekommen ist eine kleine Serie, die mit der heutigen Ausgabe beginnt. Dabei wird man in süddeutschen Flecken Deutschlands ökonomische Leistungsfähigkeit bewundern können, in sächsischen Rathäusern seine behördliche Kraft, in badischen Laboren seine innovativen Potenziale und in pfälzischen Weinbergen seine regionalkulturelle Identität. Man wird auf engagierte Unternehmer in properen Landstrichen treffen, auf beeindruckende Beamte an aufgeräumten Schreibtischen, auf sachverständige Wissenschaftler an millimeterfeinen Messinstrumenten und auf hemdsärmelige Landarbeiter, die was von Bio, Qualität und Marketing verstehen.

Was man dabei aber immer antrifft, sind Rechtschaffenheit, Pflichtgefühl, Uneigennützigkeit, Fleiß – und zwar ohne jede Beimischung von Zucht, Befehl, Gehorsam, Obrigkeit und Antisemitismus. 90 Jahre nach dem Ende des Königreichs Preußen und gut 60 Jahre nach der Befreiung Nazi-Deutschlands durch die Alliierten sind das gute Nachrichten.

Die Deutschen sind nicht mehr, so noch mal Heine, „das hölzern pedantische Volk / Noch immer ein rechter Winkel / In jeder Bewegung, und im Gesicht / Der eingefrorne Dünkel“. Anton Wohlfahrt (in Gustav Freytags „Soll und Haben“), Diederich Heßling (in Heinrich Manns „Der Untertan“) und Jens Ole Jepsen (in Siegfried Lenz’ „Deutschstunde“) haben ganz sicher noch das Zeug zum Unterrichtsstoff; als typisierende Psychogramme zum Zwecke der Gegenwartsdiagnose taugen sie nicht mehr.

Bürokratie, Provinzialität, Pflichtgefühl und Mittelmaß klingen in Deutschland nicht mehr nach Adolf Eichmann und der „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt), sondern nach der Trivialität des zivilisatorischen Fortschritts. Mehr noch: Sie sind zu Synonymen geworden für Deutschlands typische Vorzüge: für die entlastende „Hintergrunderfüllung“ (Arnold Gehlen) seiner starken Institutionen der Rechtstaatlichkeit und Demokratie (Bürokratie); für die kulturelle Vielseitigkeit seines Föderalismus (Provinzialität); für die soziale Dimension seiner Marktwirtschaft, die auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung gründet (Pflichtgefühl) – und für die kleinbürgerlich Sorge um das gute Leben, die Bedingung ist für das gelegentlich Herausragende in Wirtschaft und Wissenschaft (Mittelmaß). Kurzum: Seit die deutsche Kleingeisterei nicht mehr versucht, sich zum magister mundi aufzuschwingen, ist sie unser nationaler Konkurrenzvorteil.

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