Stephans Spitzen

Derzeit wäre ich lieber Französin

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Wir Deutsche müssen noch üben

Das ist im übrigen der Höhepunkt wohlwollender Arroganz: auch die Terroristen nicht als Täter zu nehmen, sondern zu Opfern (der Verhältnisse) zu erklären. Immer wieder wird Fanatismus und Gewaltverherrlichung lächelnd verständnisvoll als Reaktion auf angebliche Ausgrenzung erklärt und verklärt.

„Auf eine perverse Art artikuliert sich hier ein paternalistischer Gutmenschenrassismus, der auch 50 Jahre nach der Entkolonialisierung den muslimischen Anderen nicht als Subjekt seiner Geschichte begreifen kann, sondern nur als reagierendes Objekt westlichen Handelns“ (Ernst Hillebrand). Dazu passt, dass der Antisemitismus des radikalen Islam heruntergespielt wird, die jüdischen Opfer sind Nebensache. Doch der Antisemitismus ist dem Islam eingeschrieben, man will es nur nicht zur Kenntnis nehmen.

Der Gipfel politischer Verkommenheit

Während die Franzosen geeint gegen islamischen Terrorismus auf die Straße gehen, machen sich deutsche Politiker um die Spaltung der Nation verdient. Bundesjustizminister Heiko Maas scheint es wichtiger zu sein, dem politischen Gegner eins auszuwischen als die Dinge beim Namen zu nennen.

„Terrorismus ist keine Reaktion, sondern Vollstreckung eines politischen Anspruchs, der in der islamischen Theologie eingebettet ist.“ (Hamed Abdel-Samad). Stattdessen wird Pegida ihr Demonstrationsrecht bestritten.

Lächerlicher noch: Dort, heißt es, dürfe man nicht um die französischen Terroropfer trauern. Das darf offenbar nur, wer am staatlich organisierten „Aufstand der Anständigen“ teilnimmt. Mit Steuergeldern finanzierte Demonstrationen sind, nebenbei, der Gipfel politischer Verkommenheit.

Den Vogel allerdings hat der Zeitungsverlegerverband abgeschossen. In vielen Zeitungen ist eine Karikatur erschienen, in der Pegidademonstranten, die „Lügenpresse“ rufen, mit den Mördern von Charlie Hebdo gleichgesetzt wird: „Die reden nur! Wir tun was!!“

Da stockt einem der Atem. Als ob die radikale Verhohnepiepelung des Islam durch Charlie Hebdo gemeint sei, wenn man in Dresden „Lügenpresse“ ruft. Mir scheint hier, im Gegenteil, der Terrorangriff von Paris instrumentalisiert zu werden für mediales Selbstlob. So schottet man sich ab gegen Kritik.

Ach, übrigens: Auch, wenn man den Vorwurf der Lügenpresse nicht für gerechtfertigt hält, kann einem schon mal auffallen, dass Bilder trügen. Da ist etwa dieses herzzerreißende Foto (siehe oben), das Angela Merkel mit geschlossenen Augen an der Schulter von Francois Hollande zeigt. Wer die Szene im Film gesehen hat, weiß, dass dies ein überaus flüchtiger Moment war, ohne Pathos und ohne große Bedeutung, den ein Fotograf zu seinem Glück gebannt hat und der nun zur Ikone wird.

Auch das Bild all der Staatsmänner und –frauen, die als Avantgarde für das Gute und gegen das Böse vor Millionen in Paris aufmarschieren, ist trügerisch. Ein anderes Bild zeigt, wie sich hinter ihnen ein leerer Platz auftut.

Erkennen wir hierzulande wirklich den Feind nur dann, wenn er rechts steht?

Ich gebe zu: Derzeit wäre ich lieber Französin. Die scheinen zu wissen, zu welchen Werten sie stehen. Wir hierzulande müssen noch üben. Hoffentlich nicht mehr allzu lange.

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