Steuerethik Die verkürzte Steuermoral

Ist derjenige, der keine Steuern zahlt, moralisch ein Sünder? Der Düsseldorfer Anwalt Carlos A. Gebauer hat sich für uns in einem Gastbeitrag darüber Gedanken gemacht.

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Steuerhinterziehung: Vom Kavaliersdelikt zum Verbrechen
Die schweizer Flagge vor einer Bank Quelle: dpa
Ein Bild vom 11. September 2001 Quelle: REUTERS
Hans Eichel Quelle: REUTERS
Schweizer Käse Quelle: AP
Klaus Zumwinkel Quelle: dpa
Das Logo der UBS Quelle: dapd
Schweizer Fahne auf einer CD Quelle: dpa

Wer einen anderen durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu einer Vermögensverfügung, beispielsweise zu einer Geldzahlung, veranlasst, der wird als Räuber bestraft. Handeln mehrere Täter gemeinsam und überwinden sie Widerstand mit bereitgehaltenen Vorkehrungen, begehen sie einen schweren Raub.

Auch Steuern werden bekanntermaßen unter der Androhung erhoben, dass der Steuerpflichtige im Falle der Nichtzahlung einer Gefängnisstrafe entgegenzusehen hat. In der Literatur wird deswegen bisweilen die Auffassung vertreten, Steuereintreibung erfülle, je nach dem Einzelfall,  den äußeren Tatbestand entweder des Raubes oder aber der räuberischen Erpressung.

Tatsächlich unterscheidet nur ein einziges normatives Tatbestandsmerkmal Raub und räuberische Erpressung einerseits von Steuerbeitreibung andererseits: Räuber ist nur derjenige, der die Zahlung mit Unrecht erwirkt. Da Steuerzahlungen nach Maßgabe der Steuergesetze jedoch als rechtmäßig bewirkt gelten, sind Finanzämter keine organisierten Räuberbanden.

Diese erstaunliche Nähe zwischen gewöhnlichem Steueralltag hier und schwerem Verbrechen dort gibt Anlass, sich mit dem einschlägigen Differenzierungskriterium namens „Recht“ eingehender zu befassen. Ein Staat, der es in der Hand hätte, jedwede bürgerliche Steuerpflicht durch Inkraftsetzung eines einschlägigen Steuergesetzes zu „Recht“ in diesem Sinne zu machen, könnte seine Bediensteten erkennbar vollends von aller strafrechtlichen Verantwortung als potentielle Räuber freistellen. Wäre nämlich jedes Steuergesetz zugleich auch immer Recht, könnte der Staat nie unrechtmäßig Steuern erheben.

Nicht ohne Grund aber unterscheiden Juristen zwischen Gesetz und Recht. Gesetze können durchaus unrechtmäßig sein. Mit anderen Worten: Recht entsteht nicht zwangsläufig dort, wo staatliche Organe in einem vorgesehenen Verfahren formal ordnungsgemäß ein Gesetz erlassen. Ob ein Gesetz wirklich auch rechtens ist, bedarf gesonderter Prüfung, worauf übrigens nicht zuletzt auch Papst Benedikt XVI. bei seiner Rede im Deutschen Bundestag, Augustinus zitierend, hinwies.

Ethisches Minimum

Die Frage nach dem Recht ist jenseits der reinen Formrichtigkeit des Gesetzgebungsverfahrens immer auch eine Frage nach der ethisch-moralischen Akzeptanz der angeordneten Regel innerhalb einer Rechtsgemeinschaft. Unterschiedliche Wertvorstellungen verschiedener Gesellschaften bilden je eigene Moralkodizes aus. Zu unserer mitteleuropäischen Moral gehört es, den Besitz- und Eigentumswillen eines Menschen prinzipiell höher zu bewerten als die Kraftpotenziale eines anderen. Aus diesem Grund halten wir die gewaltsame Wegnahme von Gegenständen gegen den Willen ihres Besitzers für sozialschädlich und also, als Raub, für strafwürdig. Ginge unsere Gesellschaft dazu über, Gewalt höher wertzuschätzen als Eigentum, bliebe alles Rauben absehbar bald straflos. Mithilfe ethischer Überlegungen werden moralische Grundvorstellungen wie diese dann in einen konkreten sozialen Handlungsrahmen umgesetzt.

Aus diesem ethisch gewonnenen Gerüst können im Anschluss einzelne, konkrete Rechtsregeln abgeleitet werden. Wegen dieser Zusammenhänge bezeichnet man das, was Recht ist, bisweilen auch als das „ethische Minimum“. Anders gesagt: Moralisch mag ein Mensch bisweilen zu mehr verpflichtet sein, als er nach dem Recht schuldet, aber das Recht darf ihn nie zu Unmoralischem verpflichten. Diese Rückanbindung des Rechtes an die Moral wird im Alltag durch den Maßstab der gesellschaftlichen Akzeptanz geleistet. Was eine Gesellschaft als Rechtsregel nicht akzeptiert, weil es ihren Moralvorstellungen nicht entspricht, das wird nicht (mehr) gelebt und verwandelt sich bald zu totem Recht. Erkennt der Gesetzgeber in diesem Falle, dass sein geschriebenes Gesetz nicht mehr allgemein als Recht akzeptiert wird, setzt er dieses Gesetz außer Kraft. Weigert er sich hingegen, das inakzeptabel gewordene Gesetz aufzuheben, riskiert er seine eigene Akzeptanz als juristische Autorität.

Welche Strafen Steuertricksern drohen

Betrachtet man diese begrifflichen Zusammenhänge, wird schnell eines deutlich: Die gegenwärtigen Debatten über die sogenannte „Steuermoral“ sind in bemerkenswerter Weise intellektuell verkürzt. Üblicherweise wird bei diesen Diskussionen nämlich jeder, der eine bestimmte formalgesetzliche Steuerpflicht nicht erfüllt, bereits – wörtlich – zum „Steuersünder“ erklärt. Der Rückgriff auf das theologische Verdikt gegen den „Sünder“ legt also nahe, dass der Verstoß gegen das Gesetz bereits einen Verstoß gegen die Moral bedeute. Genau dieser Rückschluss ist jedoch, wie gezeigt, gerade nicht zulässig. Denn nicht das staatliche, förmliche Gesetz gibt die Wertskalen vor, denen die Moral dann zu folgen hätte. Vielmehr hat das Gesetz, exakt umgekehrt, den Grundlegungen des moralisch Akzeptierten zu folgen.

"Sünder" oder "Nichtsünder"

Welche Promis schon verurteilt wurden
900.000 Euro hinterzogene Steuern: Der Sänger Freddy Quinn hatte seinen Hauptwohnsitz jahrelang in der Schweiz, lebte aber überwiegend bei seiner Hamburger Lebensgefährtin Lilly Blessmann. Die deshalb in Deutschland fälligen Steuern, zwischen 1998 und 2002 immerhin rund 900.000 Euro, hat der Österreicher nach eigenem Eingeständnis aber nie bezahlt. Er habe sich nie mit finanziellen Dingen beschäftigt, rechtfertigte sich der Musiker vor Gericht. Außerdem beglich er sofort seine Steuerschuld, so dass im Prozess 2004 die verhängte Haftstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hinzu kam ein Bußgeld über 150.000 Euro. Quelle: ap
970.000 Euro hinterzogene Steuern: Klaus Zumwinkel verlor wegen einer Steueraffäre seinen Job als Vorstandschef der Deutschen Post. Ermittler der Bochumer Staatsanwaltschaft durchsuchten vor laufenden Fernsehkameras im Februar 2008 das Privathaus des Topmanagers. Die Staatsanwaltschaft warf Zumwinkel vor, über die LGT Bank Geld in eine Stiftung nach liechtensteinischem Recht geschleust und so den deutschen Fiskus um fast eine Million Euro betrogen zu haben. Mitte Februar 2008 trat der Post-Chef zurück und wurde knapp ein Jahr später zu zwei Jahren Haft auf Bewährung plus Zahlung einer Geldstrafe von einer Millionen Euro verurteilt. Quelle: dpa
1,96 Millionen DM hinterzogene Steuern: Der frühere Verfassungsschutzchef und Ex-Verteidigungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls war eine Schlüsselfigur der CDU-Spendenaffäre. Er räumte ein, vom Geschäftsmann Karlheinz Schreiber 3,8 Millionen Mark erhalten zu haben. Schreiber habe das Geld für ihn in der Schweiz verwaltet. Ausgehändigt worden seien ihm 873.000 Mark. Das Landgericht Augsburg erklärte ihn 2005 der Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung für schuldig und verurteilte ihn zu zwei Jahren und drei Monaten Haft. Pfahls kam nach gut 13 Monaten frei, musste aber Ende 2011 erneut wegen Bankrotts und Betrugs in Haft. Quelle: dapd
1,7 Millionen Euro hinterzogene Steuern: Um weniger Steuern zu zahlen, verlegte Tennis-Star Boris Becker Anfang der 90er-Jahre seinen Wohnsitz von München nach Monaco. Tatsächlich aber lebte er weiter überwiegend in Bayerns Metropole und nicht im Fürstentum. Das Landgericht München verurteilte ihn deshalb 2002 wegen Steuerhinterziehung von 1,7 Millionen Euro zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 500.000 Euro Geldstrafe. Becker räumte eigene Fehler ein – was das Gericht ebenso strafmildernd berücksichtigte wie die Tatsache, dass Becker vor Prozessbeginn rund 3,1 Millionen Euro Steuern nachgezahlt hatte. Quelle: dapd
22,6 Millionen DM hinterzogene Steuern: Der frühere Springreiter Paul Schockemöhle hatte große Summen über Stiftungen in Liechtenstein am deutschen Fiskus vorbeigeschleust. 1996 wurde er deshalb zu elf Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und musste 22,6 Millionen Mark Steuern nachzahlen. Schockemöhle wurde zum Verhängnis, dass dem Liechtensteiner Treuhänder Herbert Batliner Teile seiner Kundendatei gestohlen und den deutschen Steuerbehörden zugespielt wurden. Der Ex-Sportler, dem für eine erfolgreiche Selbstanzeige keine Zeit mehr blieb, verklagte Batliner später wegen der Datenpanne – ohne Erfolg. Quelle: dpa
203 Millionen Euro hinterzogene Steuern: Das Landgericht München verurteilte den Geschäftsführer des VIP Medienfonds 3, Andreas Schmid, 2007 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Schmid hatte versucht, den Fiskus um 203 Millionen Euro zu prellen, indem er beim Finanzamt zu Unrecht „gewinnmindernde Aufwendungen“ geltend machte. Der Angeklagte wusste, dass nur 20 Prozent der Aufwendungen für die Filmproduktion verwendet, aber 80 Prozent zugunsten des Fonds angelegt wurden. Kurioserweise war nicht Schmid selbst Nutznießer der Steuerersparnis. Profitiert haben vielmehr zum größten Teil die Anleger des Medienfonds. Quelle: obs

Zum allgemein anerkannten Handwerkszeug jedweder ethischen Untersuchung gehört es nun, eine bestimmte Handlung nicht nur je für sich zu betrachten. Vielmehr sind darüber hinaus auch ihre dabei beabsichtigten (ebenso wie ihre nicht beabsichtigten) Folgen zu bedenken. Während sich jede ethische Erörterung aller Fernwirkungen einer Handlung erfahrungsgemäß schnell vom Hundertsten ins Tausendste verlieren kann, so darf doch bei der Frage nach der moralischen Bewertung einer Steuerzahlung jedenfalls ihre nächstanschließende Wirkung nicht außer Betracht bleiben: Die Frage nämlich, was der Steuereintreiber mit der von ihm eingenommenen Zahlung zu tun beabsichtigt bzw. welches weitere Handeln ihm infolge einer gesetzlich pflichtwidrigen Nichtzahlung unmöglich bleibt.

Kurz: Ob derjenige, der eine Steuer nicht bezahlt, tatsächlich moralisch ein „Sünder“ ist, lässt sich nur dann ethisch ordnungsgemäß entscheiden, wenn man zugleich auch bewertet, ob das, was mit seiner erfolgten Zahlung hätte geschehen sollen oder durch seine Nichtzahlung nicht geschieht, seinerseits moralisch akzeptabel ist. Ohne eine solche abwägende Betrachtung ist eine ethisch vertretbare Einordnung des Steuerpflichtigen als „Sünder“ oder „Nichtsünder“ unzulässig verkürzt und mithin schlechterdings unmöglich.

Abseits der von einschlägigen Experten vielleicht noch halbwegs überschaubar zu beantwortenden Frage, ob eine unterbliebene Steuerzahlung formal gesetzeswidrig war, bleibt die Frage nach ihrer materiellen Rechtswidrigkeit. Sollte die ethisch gebotene Abwägung zwischen der Steuereinnahme- und der Steuerausgebeseite nämlich erweisen, dass die moralischen Gründe für die Nichtzahlung auch jenseits der nur individuellen Betrachtung des Handelnden in der gesellschaftlichen Akzeptanzbetrachtung schwerer wiegen als die moralischen Motive und Ziele des anschließenden Steuermitteleinsatzes, dann könnte das Nichtzahlen einer Steuer durchaus als rechtmäßig anzusehen sein. Das Steuereintreiben wäre in diesem Falle folgerichtig spiegelbildlich unrechtmäßig, mit allen hier eingangs dargestellten Konsequenzen.

Käme man demgemäß an den Punkt, dem Steuerstaat in Ansehung beispielsweise entgleisender Großbauprojekte, exzessiver Staatsverschuldung, der Rettung maroder Banken und Staaten oder insgesamt unbeschränkter Zentralbankaktivitäten zu Lasten der Steuerzahler eine nicht unerhebliche Verschwendung von Steuermitteln im Grundsätzlichen anlasten zu müssen, dann verringerte dies nicht nur die Zahl der moralischen „Steuersünder“.

Es wäre dann wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis die Frage im Raum stünde, ob das Nichtzahlen von Steuern notwehr- oder notstandsrechtlich gerechtfertigt ist.

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