Steuerkrieg So will Schäuble im Steuerwettbewerb punkten

USA, Großbritannien, Osteuropa: Immer mehr Regionen locken Konzerne mit Steuerschnäppchen an. Finanzminister Schäuble muss kontern – und lässt bereits mögliche Steuergeschenke für deutsche Unternehmen durchrechnen.

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Einsamer Kämpfer: Schäuble wollte Steuerdumping weltweit stoppen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Wolfgang Schäuble mag sparsam wie ein Schwabe sein, er ist aber gebürtiger Badener. Und auf diese Herkunft durchaus stolz. Dass die Finanzminister der G7 vorige Woche im süditalienischen Bari ausgerechnet vor einem 800 Jahre alten Schloss für die Fotografen posieren mussten, das den Namen Castello Svevo – also Schwaben-Schloss – trug, konnte dem Badener also nur bedingt gefallen.

Und als ob dieser äußere Umstand den missvergnüglichen Ton für das Treffen der mächtigsten Finanzpolitiker der Welt gesetzt hätte, ging es inhaltlich ähnlich unerfreulich weiter. Denn als sich die Minister vom Fototermin zurückzogen, wurde Schäubles Laune immer mürrischer. US-Finanzminister Steven Mnuchin nervte ihn mal wieder mit Kritik am deutschen Handelsüberschuss. Andere Finanzministerkollegen sekundierten, der deutsche Staat müsse endlich mehr Geld ausgeben, um seine Binnenkonjunktur weiter anzukurbeln.

Was Schäuble und seine Berater aber nach der vertraulichen Runde vor allem beunruhigte: Die OECD-Initiative gegen aggressive Steuergestaltung und Gewinnverschiebungen (Beps), eines von Schäubles wichtigsten Projekten als Finanzminister, droht ins Leere zu laufen. Rund 100 Länder haben sich seit dem Jahr 2015 verpflichtet, auf unfairen Steuerwettbewerb zu verzichten. Aber dieser Schwur scheint schon nach weniger als zwei Jahren nicht mehr zu gelten.

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Und so reiste Schäuble mit dem unguten Gefühl aus Süditalien ab, es drohe ein neuer Steuerkrieg – genauer gesagt: ein Wettstreit der Nationen, sich mit den niedrigsten Sätzen für Unternehmen gegenseitig zu unterbieten.

Die Amerikaner haben unter Donald Trump schon eine entsprechende Kriegserklärung abgegeben, sie wollen so „America First“ vorantreiben. Die US-Körperschaftsteuer soll etwa drastisch sinken.

Auch die Briten möchten sich nach dem Brexit am liebsten als globales Steuerparadies neu vermarkten. Der Satz für Unternehmen soll auf 17, vielleicht sogar 15 Prozent fallen. Schütten Konzerne ihre Gewinne im Ausland aus, fällt gar keine Quellensteuer an. Und siedelt ein Unternehmen auf der Insel Forschungs- und Entwicklungsstätten an, gilt für künftige Gewinne nur ein Steuersatz von zehn Prozent.

Das ist aber nur das erste Aufgebot: Immer mehr Finanzminister rund um den Globus wollen sich ausstechen, um Unternehmen und Investitionen anzulocken. Der Konflikt könnte Ende Mai in Sizilien offen aufbrechen, wenn Trump zum ersten Mal an einem G7-Treffen der Staats- und Regierungschefs teilnimmt.

Am liebsten würde der Bundesfinanzminister die Sorge um einen Steuerkrieg einfach ignorieren. Amerikas Senkungspläne quittierte Schäuble bei seinem Washington-Besuch vor vier Wochen ja auch tatsächlich noch mit der Bemerkung: „Das juckt mich überhaupt nicht.“

Doch nun glauben auch immer mehr Steuerfachleute: Das „Kartell der Steuereintreiber“, wie Reimar Pinkernell von der Kanzlei Flick Gocke Schaumburg das Beps-Abkommen nennt, sei „genauso löchrig wie die Opec“, wo sich viele Erdölexporteure kaum um Selbstverpflichtungen scheren und so viele Fässer wie möglich auf den Markt werfen.

Double Irish

Für Schäuble geht es auch um seine Staatskasse. Eskaliert der Steuerkrieg, drohen ihm Steuerausfälle in Milliardenhöhe – mittelfristig stünde nicht nur die „schwarze Null“ auf dem Spiel, es ginge auch um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland.

„Der neue Steuerwettlauf wird gefährlicher als der alte“, prophezeit Berthold Welling vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Bisher drehte sich der Kampf nämlich um Fabriken, die sich nur unter großem Aufwand verlagern lassen. Im Digitalzeitalter entstehen dagegen völlig neue Wertschöpfungssektoren, die Unternehmen überall platzieren können. An- und Abwerbung wird also weltweit viel einfacher.

Entsprechend nervös verfolgen Schäubles Ministerialbeamte, wo die Beps-Front überall bröckelt.

von Dieter Schnaas, Simon Book, Max Haerder, Mona Fromm

Ein Schlachtfeld: Irland. Mal wieder. Schon vor Jahren hatten die Iren verwegene Gesellschaftskonstruktionen („Double Irish“) als Verkaufsschlager entdeckt. Mit deren Hilfe konnten US-Konzerne wie Apple, Google und Starbucks Hunderte Milliarden Euro steuerfrei in staatenlose Gesellschaften schleusen. Die EU-Kommission verdonnerte im vorigen Jahr allein Apple dazu, 13 Milliarden Euro Steuern an den irischen Fiskus nachzuzahlen.

Michael Noonan, ein bulliger Glatzkopf und irischer Finanzminister, grinst breit, wenn er davon spricht. Das sei ja die düstere Vergangenheit, beteuert er, Irland habe seine Lektion gelernt. Doch wenig später rattert Noonan schon die neuen Topkonditionen seines Landes für Unternehmen herunter: nur 12,5 Prozent regulärer Steuersatz, für Gewinne aus (irischen) Patenten und Lizenzen sogar lediglich 6,25 Prozent. „Alles von der OECD geprüft und genehmigt“, fügt Noonan hinzu. Er zwinkert, als wolle er sagen: Kommt her, die Party kann weitergehen.

Nicht nur dort. Auch im US-Bundesstaat Delaware, ebenfalls als Adresse für Steuersparer bekannt, herrscht seit dem Wahlsieg von Trump ausgelassene Stimmung. Wie gut der Baulöwe im Weißen Haus die Vorzüge von Delaware kennt, ist im Greentree Drive 160 in Dover zu besichtigen – der Hauptstadt des Staates. Dort steht ein unauffälliger Flachdachbau, nur zwei Geschosse hoch. Aber ausreichend groß, damit Trump bei der Firma National Registered Agents im Januar 2016 die Markennamen von über 100 Trump-Produkten weltweit in der DTTM Operations LLC bündeln konnte.

Effektive-Steuersätze-für-Unternehmen

Trump wusste natürlich genau, was er tat. In Delaware, wenige Autostunden von der Hauptstadt Washington entfernt, müssen Unternehmen ihre Gewinne aus Lizenzen, Patenten, Marken- und Urheberrechten überhaupt nicht versteuern. Auch erhebt der Bundesstaat keine eigenen Steuern, also wird nur der Bundessatz fällig. Und die Gründung eines Unternehmens verläuft dort routiniert binnen weniger Tage. Viele Tausende Konzerne aus aller Welt haben sich dort angesiedelt.

Als Präsident will Trump mit seiner Steuerreform viele Unternehmen anlocken. Delaware wird sich wohl einmal mehr freuen dürfen. Denn: Können Unternehmen bisher die lokalen Steuerzahlungen bei der Bundessteuer abschreiben, soll dieser Passus gestrichen werden. Ein klarer Vorteil für Regionen, die keine eigene Steuer zusätzlich zur Bundessteuer erheben – wie es eben Delaware praktiziert.

Schlechtfeld Osteuropa

Trumps Maßnahmen sind nur auf eine Weise zu verstehen, als „klare Kampfansage an andere Nationen“, sagt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Das wiegt besonders schwer, weil die USA – anders als ökonomisch schwächere Länder, die Wettbewerbsnachteile durch ein günstiges Steuerklima ausgleichen wollen – schon jetzt als weltgrößter Markt besonders attraktiv sind. Bieten die Vereinigten Staaten nun solche Steueranreize, kann der Rest der Welt noch schwerer mithalten.

Was keineswegs heißt, dass es andere Regionen nicht zumindest versuchen würden – etwa Ungarn unter dem Autokraten Viktor Orbán. Zum 1. Januar 2017 senkte der ungarische Regierungschef die reguläre Körperschaftsteuer von 19 auf 9 Prozent, ein EU-Minusrekord.

Aus der Not geboren, behauptet der Ökonom András Inotai vom Budapester Institut für Weltwirtschaft. „Wir hatten in den letzten Jahren praktisch kaum Neuinvestitionen“, sagt Inotai.

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von Mark Fehr

Was Orbán aber genau bei dem Schritt vorschwebt, ist in Györ zu besichtigen, einer Stadt im Nordwesten des Landes, rund 130.000 Einwohner. Dort arbeiten 11.600 Menschen bei Audi, Tendenz steigend. Dazu kommen Dutzende Zulieferer.

In Györ ist eine Audi-Arena zu bestaunen. Der Autokonzern finanziert Kindergärten und Schulen, dazu drei Lehrstühle an der Universität, er unterhält ein eigenes Bildungszentrum. Sogar einen Eisenbahnanschluss gibt es nur für Audi.

Mit dem Neun-Prozent-Schnäppchen hofft der ungarische Regierungschef auf weitere Erfolgsgeschichten wie in Györ. Opel und Mercedes sind auch schon da.

Schäubles Konter

Und noch etwas hat Orbán erreicht – eine weitere Runde im Steuerkrieg der Mittel- und Südosteuropäer. In Bulgarien gilt eine Flat Tax von zehn Prozent, Rumänien diskutiert die komplette Abschaffung der 16-prozentigen Flat Tax.

Doch auch Nachbar Österreich mischt mit. Wie sehr, ist in einem der traditionellen Arbeiterviertel Wiens zu besichtigen, in Meidling. Dort investiert der Konzern Boehringer Ingelheim gerade 500 Millionen Euro in eine biopharmazeutische Anlage. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern ließ es sich Anfang April nicht nehmen, den ersten Spatenstich zu setzen.

Die Entscheidung von Boehringer Ingelheim zugunsten von Wien dürfte nicht schwergefallen sein. Denn die Alpenrepublik erstattet dem Konzern zwölf Prozent Forschungsprämie auf alle Ausgaben in diesem Bereich. Ab nächstem Jahr sollen es sogar 14 Prozent sein.

Haben deutsche Unternehmen über unangemeldete Niederlassungen in Malta Steuern hinterzogen? Das legen laut NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans Ermittlungen nordrhein-westfälischer Steuerfahnder nahe.

Deutschland mag sich derlei Anreize bislang nicht leisten. Eindeutig ein Wettbewerbsnachteil, meint Boehringer Ingelheim. Vorstandschef Hubertus von Baumbach plädiert für eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung (F&E) auch hierzulande. Es gehe darum, so von Baumbach, Deutschland „als attraktiven Zukunftsstandort zu positionieren mit dem Ziel, international wettbewerbsfähig zu bleiben“.

Die Botschaft stößt im Berliner Bundesfinanzministerium auf wenig Begeisterung – sie ist aber angekommen. Schäubles Beamte arbeiten seit Monaten insgeheim an einer Unternehmensteuerreform. Den regulären Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent (plus rund 15 Prozent kommunale Gewerbesteuer) wollen sie zwar nicht antasten. Das wäre wohl auch das falsche Signal an die anderen Beps-Länder. Schließlich hält Schäuble offiziell am Ziel seines Großprojektes fest.

Aber die Beamten wägen sorgfältig Vor- und Nachteile steuerlicher F&E-Varianten. Favorit ist derzeit ein direkter Lohnsteuerabzug. Unternehmen könnten danach bei all ihren Beschäftigten in Deutschland in den Bereichen Forschung und Entwicklung 10 bis 15 Prozent der Lohnsteuer am Monatsende direkt in ihre Firmenkasse umleiten. Eine Riesenersparnis, sofort wirksam.

Schäuble würde so gleich mehrere Ziele auf einmal verwirklichen. Er könnte mit diesem Steuernachlass gezielt Zukunftsinvestitionen fördern. Der Standort Deutschland stünde im Kampf um die digitale Wertschöpfung von morgen besser da. Besonders innovative Firmen und Wissenschaftler würden an Deutschland gebunden. Und das sichert dann langfristig auch erhebliche Steuereinnahmen.

So ein F&E-Bonus wäre zunächst natürlich teuer. Doch Schäuble hat genug Geld, vorige Woche konnte er weiter kräftig steigende Steuereinnahmen verkünden. Man wisse nicht, sagte der Minister bei der Vorstellung der Steuerschätzzahlen verschmitzt, wofür man die zusätzlichen Milliarden noch brauchen könne.

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