Steuerlast Bis heute haben Sie nur für den Staat gearbeitet

Mehr als sechs Monate arbeiten die Deutschen 2013 nur für Staat und Sozialkassen. Mit diversen Tricks langt der Fiskus so geschickt zu, dass es zu keiner Revolte kommt. Doch rot-grüne Aufschläge könnten das Fass bald zum Überlaufen bringen.

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Wenn Sie am 8. Juli zur Feier des Tages eine Flasche Schampus köpfen, stoßen Ihr Bundesfinanzminister und 16 Landesfinanzminister mit an. Über die 1,60 Euro Umsatzsteuer (bei einem passablen Zehn-Euro-Sekt) freuen sich alle gemeinsam; die 1,02 Euro Schaumweinsteuer kassiert dagegen Wolfgang Schäuble allein. Aber das ist nur die Korkspitze des Steuerberges. Beim Einkauf haben Sie natürlich auch die Steuern und Sozialabgaben mitbezahlt, die der Winzer, die Sektkellerei und Glasfabrik, später der Spediteur und am Schluss Ihr freundlicher Einzelhändler vorgestreckt haben. Summa summarum dürften Sie beim Zuprosten rund die Hälfte der zehn Euro Vater Staat spendieren.

Selbstverständlich ist der 8. Juli 2013 kein offizieller Feiertag, und kein Politiker möchte eine Festrede halten. Dennoch hat er eine besondere Bedeutung für die soziale Marktwirtschaft und unser Verhältnis zum Staat – beziehungsweise umgekehrt. Bis zu diesem Tag müssen alle Deutschen in diesem Jahr nur dafür arbeiten, ihre Steuern und Abgaben abzubezahlen. Erst jetzt dürfen wir für den Rest des Jahres in die eigene Tasche wirtschaften. „Steuerzahlergedenktag“ nennt deshalb der Bund der Steuerzahler (BdSt) dieses Datum. Selbst Hartz-IV-Bezieher, die ihren Lebensunterhalt komplett per Regelsatz aus der Staatskasse erhalten, liefern über die diversen Verbrauchsteuern fast 30 Prozent davon wieder beim Fiskus ab.

So lange arbeiten wir nur für den Staat

Bei der Bundestagswahl im September wird daher auch über den Kalender abgestimmt. SPD, Grüne und Linkspartei wollen die Steuerlast für Gut- und Spitzenverdiener sowie Vermögende deutlich nach oben schrauben und Geringverdiener im Gegenzug entlasten. Unterm Strich bliebe ein Plus für den Fiskus – mal wieder.

Schon vor vier Jahren gab es einen Steuerwahlkampf. Damals versprach vor allem die FDP eine radikale Umkehr im System. „Einfach, niedrig und gerecht“ sollte es zugehen. Doch durchgesetzt haben die Liberalen ihr Versprechen nicht. Erst scheiterten sie an CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, dann an der Euro- und Staatsschuldenkrise. Der Abbau der kalten Progression blieb an einer rot-grünen Abwehrfront im Bundesrat hängen. „Ziehen wir Bilanz, dann müssen wir feststellen, dass vieles versprochen, aber nur wenig realisiert wurde“, schimpft BdSt-Präsident Reiner Holznagel. „Gut sind die Entlastungen bei den Sozialabgaben, schlecht ist weiterhin die Höhe der steuerlichen Belastung.“

Was die Steuerpläne von SPD und Grüne für Singles und Ehepaare bedeuten
Single
EinkommenVeränderung der Steuersumme...
...nach Plan der Grünen...nach Plan der SPD
36.000 Euro

-129 Euro

0 Euro
54.000 Euro

-159 Euro

0 Euro
72.000 Euro

+477 Euro

+65 Euro

Ehepaar, ein Verdiener
EinkommenVeränderung der Steuersumme...
...nach Plan der Grünen...nach Plan der SPD
36.000 Euro

-230 Euro

0 Euro
54.000 Euro

-238 Euro

0 Euro
72.000 Euro

+1974 Euro

0 Euro

Dabei lassen die gute Konjunktur, ordentliche Gewinne der Unternehmen und kräftige Lohnerhöhungen in Verbindung mit mehr Beschäftigten die Steuern üppiger denn je sprudeln. Die Einnahmen von Bund und Ländern wuchsen zwischen Januar und Mai gegenüber dem Vorjahreszeitraum um drei Prozent auf 218 Milliarden Euro. Die Arbeitnehmer zahlten fast sieben Prozent mehr Lohnsteuer, die Kapitalgesellschaften führten zehn Prozent mehr Körperschaftsteuer ab. Die sogenannte „veranlagte Einkommensteuer“, die vor allem Personengesellschaften erbringen, kletterte sogar um 29 Prozent.

Wie Tiefstapelei wirkt da die Steuerschätzung, die Bund, Länder und Wissenschaftler im Mai abgaben. Derzufolge soll das Steueraufkommen 2013 „nur“ um 2,5 Prozent auf 615 Milliarden Euro zunehmen. 2017 werden 704 Milliarden Euro erwartet – gegenüber 2012 wäre dies ein Anstieg um mehr als 100 Milliarden Euro. So immens steigen die Einnahmen, dass der Bund und selbst das chronisch klamme Land Berlin ab 2015 ohne neue Schulden auszukommen gedenken. Dank der Beiträge von Beschäftigten und Unternehmen geht es auch den Sozialkassen so blendend wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie verzeichneten Ende 2012 einen Überschuss von fast 16 Milliarden Euro. Die Sozialabgaben zählt der BdSt bei der Berechnung des Steuerzahlergedenktages mit. Begründung: Sie sind Zwangsabgaben, denen sich die Beitragszahler nicht entziehen können.

Versteckte Lasten

Wo der Staat willkürlich abkassiert
Biersommeliers begutachten verschiedene Biere Quelle: dpa
Kaffeebohnen Quelle: dpa
Ein Kino in Hamburg Quelle: dpa
Ein Hirsch Quelle: dpa
Eine Disco in Stuttgart Quelle: dpa
Ein Pferderennen Quelle: dpa
Ein Mann sitzt in einer Kneipe Quelle: dpa

Insgesamt zahlen Bürger und Betriebe über eine Billion Euro pro Jahr an Fiskus und Sozialkassen. Und dies ohne großes Murren, ohne Aufstand. Denn natürlich gibt es Gegenleistungen: eine halbwegs intakte Infrastruktur, Schutz vor inneren und äußeren Bedrohungen, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen, eine funktionierende Justiz und eine öffentliche Verwaltung. Dennoch sind mehr als 50 Prozent Abzüge vom Einkommen ein Batzen, den eigentlich kaum jemand freudig-freiwillig akzeptieren kann. Das weiß auch die Politik. „Wenn die Bürger wirklich mitbekommen, was sie dem Staat abgeben müssen, kriegen wir richtig Ärger“, meint ein Finanzpolitiker der schwarz-gelben Koalition, der lieber anonym bleiben möchte. Deshalb verschleiert der Staat, um ans Geld der Bürger zu kommen. Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, fragt bisweilen Schüler beim Besuch im Berliner Reichstag, ob sie schon Steuern zahlten. Auf deren Kichern hin hakt Fricke nach, wer denn heute einen Kaffee oder Brötchen gekauft habe – natürlich einschließlich Steuern. „Die jungen Leute sind dann baff und oft richtig sauer“, sagt Fricke.

Jährliche Einnahmen der öffentlichen Hand aus Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen

Beim Bäcker fällt der im Verkaufspreis versteckte Obolus noch nicht so ins Gewicht. Ein paar Brötchen und Croissants für 4,25 Euro enthalten nur 28 Cent Umsatzsteuer (ermäßigter Satz von sieben Prozent). Beim Kinderwagen für 429 Euro kassiert der Fiskus indes schon 68,49 Euro (19 Prozent), bei der 3080 Euro teuren Schrankwand fürs Wohnzimmer sind es 491,76 Euro. Dies bemerkt nur derjenige, der genau auf den Kassenbon schaut.

Besonders dreist langt Vater Staat beim Tanken zu. Wer einen Liter Super für 1,54 Euro tankt, unterstützt weniger den Tankwart, sondern vor allem den Fiskus – der nämlich kassiert über Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer und „Erdölbevorratungsabgabe“ stolze 0,90 Euro des Literpreises.

Versteckte Lasten treffen auch die Unternehmer. Nicht die Beschäftigten müssen ihre Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ans Finanzamt beziehungsweise die Sozialversicherungsträger überweisen. Nein, das müssen ihre Arbeitgeber machen, die die Abgaben berechnen und ihren Mitarbeitern vom Lohn abziehen. Die Hilfsdienste kosten die Wirtschaft jährlich über sechs Milliarden Euro an Verwaltungsaufwand, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft. Erstattet bekommen die Unternehmen davon: nichts. Bemerkenswerterweise kassieren die Finanzbehörden der Länder ihrerseits für das Weiterleiten der Kirchensteuer an die Religionsgemeinschaften bis zu 4,5 Prozent als Bearbeitungsgebühr. Bei den Zolleinnahmen, die der EU zufließen, behält der Bund sogar 25 Prozent zur pauschalen Abgeltung seiner Erhebungskosten ein, immerhin eine Milliarde Euro.

Das zweifelhafte Vergnügen, ihre Einkommen- und Umsatzsteuern sowie Versicherungsbeiträge selbst überweisen zu müssen, haben allein Selbstständige. Und sollte sich jemand mit der monatlichen Umsatzsteuervorauszahlung vertun oder bummeln, droht umgehend ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung.

Schuften für den Fiskus

In der Schweiz müssen Arbeitnehmer ihre Lohnsteuer selbst überweisen. Darauf weist Christoph Hild neidvoll hin, Steuerexperte beim Verband der Chemischen Industrie, dessen Mitglieder mit Unternehmen auf der anderen Seite des Bodensees in Wettbewerb stehen. Die Eidgenossen haben bis zum 31. März des Folgejahres eine Steuererklärung abzugeben und dann ihre Steuerlast zu begleichen. Die Arbeitgeber behalten nur Altersvorsorge- und Krankenversicherungsbeiträge ein.

Zur staatlichen Verschleierungstaktik zählt auch, die Kosten der Energiewende über staatliche Abgaben zu finanzieren. Die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl führte 1991 das Energieeinspeisegesetz ein, Rot-Grün baute es zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) aus. Die Umlagen für Bürger und Betriebe – EEG-Umlage, Konzessionsabgabe, Aufschlag für Kraft-Wärme-Kopplung, Netzumlage und Offshore-Haftungsumlage – summieren sich 2013 auf fast 25 Milliarden Euro. Der statistische Schönheitseffekt: Sie alle gehören in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht zu den staatlichen Abgaben, weil der Geldfluss vom Kunden über den Netzbetreiber läuft, nicht durch öffentliche Kassen.

BdSt-Finanzexperte Volker Stern verzichtet deshalb darauf, die Energieumlagen in die Berechnung des Steuerzahlergedenktages einzubeziehen. Das ändert jedoch nichts am Charakter der Zwangsabgaben, für die Bürger und Betriebe gesamtwirtschaftlich gesehen mehr als vier Tage im Jahr arbeiten müssen. Folglich dürfen die Deutschen am 12. Juli ein weiteres Mal die Sektkorken knallen lassen.

Kalte Progression

Die größten Steuerverschwendungen der Regierung
Deutschland ist Weltmeister im Hopfenexport. Da könnte man meinen, diese Sparte der Landwirtschaft kann auch ohne Subventionen auskommen. Das sieht die Bundesregierung anders: Rund 260.000 Euro zahlt das Landwirtschaftsministerium für die Entwicklung einer automatischen Hopfenernte. Damit kann die Branche in Zukunft ihr Margen erhöhen – zu Lasten der Saisonarbeiter und des Steuerzahlers. Quelle: dpa
Auch der Sportwagenhersteller Porsche springt auf den Trend E-Auto an und arbeitet an einer elektrischen Version des Panamera. Da freut die Bundesregierung sehr – und zahlt Porsche dafür rund 850.000 Euro. Bei einem Gewinn in 2012 von 1,8 Milliarden Euro wohl Peanuts für die Stuttgarter – und umso ärgerlicher für das Gemeinwesen. Und das ist erst der Anfang: Mehr als 22 Millionen Euro Steuergelder fließen in ein E-Auto-Gemeinschaftsprojekt von führenden Industrieunternehmen und Universitäten – auch das ist Porsche mittendrin. Quelle: dpa
Die Deutschen mögen ihren Wein – so sehr, dass sie auch den Winzern unter die Armen greifen. Da Weinberge an manchen Stellen schwer zugänglich sind, geben die Bürger 800.000 Euro für die Entwicklung Roboter-Hubschraubers aus, der eigenständig Pflanzenschutzmittel auf den Reben verteilen soll. Quelle: dpa
Die großen Energieriesen in Deutschland wollen grüner werden – und das nicht nur aus Imagegründen.. Schon allein aus finanziellen Gründen haben die Unternehmen ein Interesse daran, ihre Emissionen zu verringern. Da helfen groß angelegte Forschungsprojekte, etwa an CO2-Filteranlagen für Braunkohlekraftwerke. Ein Glück, das trotz der Milliardenumsätze der Konzerne auch die Bundesregierung ihren finanziellen Beitrag – oder besser, den der Bürger – dazu leisten will: bis 2013 noch gut 4,2 Millionen Euro aus der Staatskasse. Und das für eine etwas saubere Verbrennung eines fossilen Energieträgers. Quelle: dpa
Die Fußball-Fans freuen sich über die Erfolge der deutschen Teams in der Champions League. Gerade Bayern München und Borussia Dortmund begeistern – und das soll auch mit Hilfe von Steuergeldern in Zukunft so bleiben. Denn gerade der BVB ist für die Zukunft gut aufgestellt – mit dem automatisierten Hightech-Trainingsraum Footbonaut. Damit der bald noch besser funktioniert, gibt der Bund rund 572.000 Euro für die Weiterentwicklung des Trainingsroboters aus. Quelle: dpa
Auch der Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes für das Bauunternehmen Züblin liegt der Politik an Herzen. Da es als Demonstrationsobjekt für Niedrigstenergie-Gebäude dienen soll, gibt Vater Staat rund 560.000 Euro dazu. Und bevor sich das Säckel wieder schließt, hat sich Züblin – ein Konzern mit Milliardenumsatz – nach den Informationen des Steuerzahlerbundes weitere 600.000 Euro Forschungszuschüsse gesichert. Quelle: dpa
Firmen, die an Energiewende-Projekten arbeiten, profitieren momentan besonders von Subventionen. So gehen etwa 6,4 Millionen Euro an Bxi Innotech, die Brennstoffzellen für Eigenheime entwickelt – und das unternehmerische Risiko federt der Steuerzahler deutlich ab. Quelle: dpa

Als nichtstaatliche Abgabe zählt auch die Rundfunkgebühr von 17,98 Euro im Monat. Damit sich niemand der Gebühr entziehen kann, müssen seit Jahresbeginn jeder Haushalt und Betrieb zahlen – egal, ob sie Radio- oder TV-Geräte besitzen oder nicht. Für einen Privathaushalt sind das 215,76 Euro im Jahr; insgesamt kassieren ARD und ZDF rund 7,5 Milliarden Euro. Kalendarisch gesehen: Einen guten Tag arbeiten wir nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Also noch ein Sekt gefällig? Der 13. Juli böte einen Anlass.

Zu den Tricks der Politik gehört auch, das Volk mit Euphemismen zu narkotisieren. Der Solidaritätszuschlag etwa hat nur noch wenig mit brüderlicher Aufbauhilfe für den Osten zu tun. Den 14 Milliarden Euro Soli-Aufkommen stehen in diesem Jahr nur schätzungsweise sechs Milliarden Euro an Ausgaben für den Aufbau Ost gegenüber. Bis 2019 summieren sich die Überschüsse aus der Sonderabgabe auf ungefähr 100 Milliarden Euro, die allein dem Bundeshaushalt zugute kommen. Ob der Soli danach wie ursprünglich vereinbart verschwindet? SPD, Grüne und die Linke fordern schon jetzt den dauerhaften Fortbestand des 5,5-prozentigen Zuschlags auf Einkommen-, Abgeltung- und Körperschaftsteuer. Das erinnert an die Sektsteuer, die im Kaiserreich zur Finanzierung der Kriegsflotte eingeführt wurde und unter den Nazis als Beitrag für den U-Boot-Bau galt. Zwei verlorene Kriege und 111 Jahre hat diese Steuer inzwischen überlebt.

Als „Ökosteuer“ adelte die rot-grüne Bundesregierung 1999 gar die Einführung der Stromsteuer und Aufschläge bei der Mineralölsteuer. Um die Akzeptanz zu erhöhen, versprach die Regierung, die Einnahmen zur Stabilisierung der Rentenversicherung zu verwenden. Ähnlich obskur war und ist der Umgang mit der Tabaksteuer. Diese wurde unter anderem erhöht, um zusätzliche Sicherheitsausgaben nach den New Yorker Anschlägen vom 11. September 2001 zu finanzieren. Kommentar des damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle: „Rauchen für die Sicherheit, Rasen für die Rente. Das ist keine Finanzpolitik, das ist Gaga.“

Dass Westerwelle später zu schwarz-gelben Koalitionszeiten auf eine Rücknahme dieser Steuern gedrängt habe, ist indes nicht überliefert. Einmal eingeführte Steuern fristen ein zähes Eigenleben, sobald sich das Volk an sie gewöhnt hat.

Heimliche Steuererhöhungen passen da ins Regier- und Kassiermuster. Am bekanntesten und effektivsten ist die sogenannte kalte Progression (siehe Tabelle). Beschäftigte rutschen dabei durch Lohnerhöhungen auf der progressiven Steuertarifkurve nach oben und müssen einen höheren Prozentsatz ihres Einkommens an den Fiskus abliefern. Bei einem Single mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30.000 Euro beispielsweise bedeutet dies nach Berechnungen des Steuerzahlerbundes: Gehaltszuwächse um 13 Prozent bis 2017 führen zu 23 Prozent mehr Steuerlast. Im Extremfall kann das dazu führen, dass Arbeitnehmer nach einer Lohnerhöhung netto weniger im Portemonnaie haben.

Musterrechnung: Ärgernis kalte Progression

Wenn das Einkommen innerhalb von

vier Jahren um 13,3 Prozent* steigt...

...erhöht sich die Steuerlast der Arbeitnehmer überproportional...

...und das zusätzlich verdiente

Geld bleibt z einem großen Teil beim Staat

2013201720132017

Veränderung

Einkommen (netto)

Veränderung

der Steuerlast

20.00022.60028233596+10,6 Prozent+27,4 Prozent
30.00033.9905908727410,923,1
40.00045.320947611.57110,622,1
50.00056.65013.52716.45410,221,6
60.00067.98017.93810,610,619,7

*Wert entspricht dem fortgeschriebenen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst; Annahme: Alleinstehender, konstanter Steuertarif

Quelle: Bund der Steuerzahler, eigene Berechnungen

Drei Milliarden Euro pro anno kassiert der Fiskus durch die kalte Progression. Ende vorigen Jahres wollte die schwarz-gelbe Koalition endlich diesen leistungsfeindlichen Automatismus abschaffen, doch scheiterte sie am rot-grünen Widerstand im Bundesrat. Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen und SPD-Wortführerin Hannelore Kraft erklärte ihr Nein zum Abbau der kalten Progression mit den Worten: „Auch ich würde gerne Geschenke verteilen, aber Ländern und Kommunen fehlen dafür die notwendigen Finanzmittel.“

Krafts Worte sind bemerkenswert. Zum einen reichen die Rekordeinnahmen offenbar immer noch nicht aus, um die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen. Zum anderen illustriert die Formulierung der SPD-Politikerin – „Geschenke verteilen...“ –, wie sie das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern sieht. Was der Staat seinen Bürgern nicht wegnimmt, versteht die Sozialdemokratin als „Geschenk“. Das wirkt wie roter Absolutismus.

Dazu passen trefflich die Wahlprogramme von SPD, Grünen und der Linken, die Einkommensteuer für Gutverdiener zu erhöhen und die Vermögensteuer wiederzubeleben. Allein die Grünen-Pläne würden das Steueraufkommen um 40 Milliarden Euro in die Höhe treiben, errechnete der Wirtschaftsverband Die Familienunternehmer. Statistisch gesehen müssten die Deutschen dann noch eine Woche länger für den Staat arbeiten – bis zum 20. Juli.

Gefährdete Unternehmen

Die Steuern sprudeln - und werden verschwendet
Schweine Quelle: AP
Flughafen Kassel-Calden Quelle: dpa
Nürburgring Quelle: dpa
Elbphilharmonie Quelle: dpa
Ein Straßenverkäufer in Kuba Quelle: AP
Euro Hawk Prototyp Quelle: dpa
Tamiflu Quelle: AP

Nach einer Musterrechnung von BdSt-Experte Volker Stern für die WirtschaftsWoche kommt eine vierköpfige Familie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 4190 Euro auf eine Steuer- und Abgabenbelastung von insgesamt 47 Prozent – alle versteckten Belastungen eingerechnet. Ein Single mit monatlich 5760 Euro käme auf stolze 61,9 Prozent an Abzügen. Kalendarisch betrachtet muss die Familie bis zum 21. Juni für den Staat arbeiten, der (gut verdienende) Single hingegen bis zum 14. August.

Diese Spreizung ist den Oppositionsparteien im Bundestag allerdings nicht groß genug. Die Grünen wollen Einkommen über 60.000 Euro noch stärker besteuern, die SPD ab 65.000 Euro. Bei den Sozialdemokraten hätte der besagte Single noch Glück, nach den grünen Plänen müsste er laut Steuerzahlerbund rund 260 Euro mehr abdrücken – beziehungsweise anderthalb Tage länger für den Staat arbeiten.

Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden in Milliarden Euro Quelle: BMF

„Starke Schultern können mehr tragen als schwache“, meinen die grünen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin unisono. Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sekundiert, dies treffe „maximal die reichsten fünf Prozent“ der Steuerpflichtigen. Doch Fakt ist: Die oberen zehn Prozent leisten bereits jetzt 54 Prozent des Einkommensteueraufkommen, das oberste Prozent überweist 20 Prozent des Aufkommens.

Während die Betroffenen an dieser Stelle noch ruhig bleiben, überschreiten SPD, Grüne und Linke mit ihren Plänen zur Wiedereinführung der Vermögensteuer eine rote Linie. „Diese Steuer nagt am Bestand des Eigenkapitals“, warnt Brun-Hagen Hennerkes von der Stiftung Familienunternehmen. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kommt in einer Studie zu dem Ergebnis: Eine Vermögensteuer setzt Anreize zur Verlagerung von Betriebs- und Privatvermögen ins Ausland.

Betroffene Unternehmer melden sich warnend zu Wort. So auch Manfred Fuchs. Für sein Unternehmen, das im Schmierölgeschäft tätig ist, müsste die Eigentümerfamilie rund sieben Millionen Euro Vermögensteuer zahlen – Geld, das dem Unternehmen entzogen würde. Fuchs: „Diese Art von Umverteilung ist ein Schuss, der nach hinten losgehen wird.“ Wie die Reaktion der Unternehmen aussehen könnte? Maria Dietz, Mitgründerin des Stuttgarter IT-Unternehmens GFT Technologies, hat dies schon mal durchgerechnet: „Bei einer grünen Vermögensabgabe müssten wir uns von 18 Prozent unseres Aktienpakets trennen, um das zu bezahlen.“

Auch bei Worlée-Chemie langt Vater Staat kräftig zu: Von 100 Millionen Euro Umsatz bleiben laut Geschäftsführer Reinhold von Eben-Worlée den Eigentümern derzeit 2,7 Millionen Euro. Zuvor fließen 5,7 Millionen Euro an Steuern und Sozialabgaben ab. Eine Vermögensteuer würde weitere 600.000 Euro (SPD-Plan) beziehungsweise über 900.000 Euro (Grüne) von Privat zum Staat transferieren. Von Eben-Worlée: „Die Innovationskraft des Unternehmens würde nachhaltig geschwächt.“ Schon jetzt ist die Abgabenlast kalendarisch gesehen so hoch, dass sich der Staat die ersten 247 Tage an ihrer unternehmerischen Leistung gütlich tut. Erst ab dem 5. September dürfen die Eigentümer selbst profitieren.

17 Tage später haben dann die Wähler das Wort.

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