Insgesamt zahlen Bürger und Betriebe über eine Billion Euro pro Jahr an Fiskus und Sozialkassen. Und dies ohne großes Murren, ohne Aufstand. Denn natürlich gibt es Gegenleistungen: eine halbwegs intakte Infrastruktur, Schutz vor inneren und äußeren Bedrohungen, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen, eine funktionierende Justiz und eine öffentliche Verwaltung. Dennoch sind mehr als 50 Prozent Abzüge vom Einkommen ein Batzen, den eigentlich kaum jemand freudig-freiwillig akzeptieren kann. Das weiß auch die Politik. „Wenn die Bürger wirklich mitbekommen, was sie dem Staat abgeben müssen, kriegen wir richtig Ärger“, meint ein Finanzpolitiker der schwarz-gelben Koalition, der lieber anonym bleiben möchte. Deshalb verschleiert der Staat, um ans Geld der Bürger zu kommen. Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, fragt bisweilen Schüler beim Besuch im Berliner Reichstag, ob sie schon Steuern zahlten. Auf deren Kichern hin hakt Fricke nach, wer denn heute einen Kaffee oder Brötchen gekauft habe – natürlich einschließlich Steuern. „Die jungen Leute sind dann baff und oft richtig sauer“, sagt Fricke.
Jährliche Einnahmen der öffentlichen Hand aus Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen
1.090.424 Millionen Euro
Quellen: BMF, BDEW, BMAS, Destatis, GEZ-Geschäftsbericht, Deutsche Bischofskonferenz
Umsatzsteuer: 198.200 Millionen Euro
Tabaksteuer: 13.900 Millionen Euro
Rundfunkbeitrag: 7500 Millionen Euro
Branntweinsteuer: 2100 Millionen Euro
Rennwett- und Lotteriesteuer: 1600 Millionen Euro
Kaffeesteuer: 1000 Millionen Euro
Biersteuer: 665 Millionen Euro
Vergnügungsteuer: 617 Millionen Euro
Schaumweinsteuer: 460 Millionen Euro
Hundesteuer: 288 Millionen Euro
Zweckgebundene Kommunalabgaben: 216 Millionen Euro
Spielbankenabgabe: 22 Millionen Euro
Zwischenerzeugnissteuer: 14 Millionen Euro
Jagd- und Fischereisteuer: 13 Millionen Euro
Fremdenverkehrsabgabe: 8 Millionen Euro
Alkopopsteuer: 1 Million Euro
Schankerlaubnissteuer*: 0,35 Millionen Euro
Getränkesteuer**: 0,016 Millionen Euro
* in Hessen und Rheinland-Pfalz
** in Hessen; alle Zahlen gerundet; jeweils aktuellster verfügbarer Wert; hinzu kommen noch diverse sonstige Steuern in einzelnen Kommunen wie etwa die „Hotelbettensteuer“ oder die „Rotlichtsteuer“;
Grundsteuer: 12.200 Millionen Euro
Grunderwerbsteuer: 8300 Millionen Euro
Feuerschutzsteuer: 382 Millionen Euro
Zweitwohnungsteuer: 108 Millionen Euro
Lohn- undEinkommensteuer: 213.400 Millionen Euro
Gewerbesteuer:43.200 Millionen Euro
Körperschaftsteuer:18.900 Millionen Euro
Solidaritätszuschlag:14.000 Millionen Euro
Kirchensteuer: 10.000Millionen Euro
Versicherungsteuer: 11.400 Millionen Euro
Abgeltungsteuer: 8400 Millionen Euro
Erbschaftsteuer: 4200 Millionen Euro
Beiträge Rentenversicherung: 192.000 Millionen Euro
Beiträge Krankenversicherung: 176.000 Millionen Euro
Beiträge Arbeitslosenversicherung: 26.600 Millionen Euro
Beiträge Pflegeversicherung: 23.000 Millionen Euro
Energiesteuer: 39.500 Millionen Euro
EEG-Umlage: 20.400 Millionen Euro
Kfz-Steuer: 8500 Millionen Euro
Stromsteuer: 7000 Millionen Euro
Konzessionsabgabe: 2200 Millionen Euro
Kernbrennstoffsteuer: 1400 Millionen Euro
Luftverkehrsteuer: 960 Millionen Euro
Offshore-Haftungsumlage: 850 Millionen Euro
Netzumlage (Strom): 810 Millionen Euro
Aufschlag Kraft-Wärme-Kopplung: 410 Millionen Euro
Beim Bäcker fällt der im Verkaufspreis versteckte Obolus noch nicht so ins Gewicht. Ein paar Brötchen und Croissants für 4,25 Euro enthalten nur 28 Cent Umsatzsteuer (ermäßigter Satz von sieben Prozent). Beim Kinderwagen für 429 Euro kassiert der Fiskus indes schon 68,49 Euro (19 Prozent), bei der 3080 Euro teuren Schrankwand fürs Wohnzimmer sind es 491,76 Euro. Dies bemerkt nur derjenige, der genau auf den Kassenbon schaut.
Besonders dreist langt Vater Staat beim Tanken zu. Wer einen Liter Super für 1,54 Euro tankt, unterstützt weniger den Tankwart, sondern vor allem den Fiskus – der nämlich kassiert über Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer und „Erdölbevorratungsabgabe“ stolze 0,90 Euro des Literpreises.
Versteckte Lasten treffen auch die Unternehmer. Nicht die Beschäftigten müssen ihre Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ans Finanzamt beziehungsweise die Sozialversicherungsträger überweisen. Nein, das müssen ihre Arbeitgeber machen, die die Abgaben berechnen und ihren Mitarbeitern vom Lohn abziehen. Die Hilfsdienste kosten die Wirtschaft jährlich über sechs Milliarden Euro an Verwaltungsaufwand, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft. Erstattet bekommen die Unternehmen davon: nichts. Bemerkenswerterweise kassieren die Finanzbehörden der Länder ihrerseits für das Weiterleiten der Kirchensteuer an die Religionsgemeinschaften bis zu 4,5 Prozent als Bearbeitungsgebühr. Bei den Zolleinnahmen, die der EU zufließen, behält der Bund sogar 25 Prozent zur pauschalen Abgeltung seiner Erhebungskosten ein, immerhin eine Milliarde Euro.
Das zweifelhafte Vergnügen, ihre Einkommen- und Umsatzsteuern sowie Versicherungsbeiträge selbst überweisen zu müssen, haben allein Selbstständige. Und sollte sich jemand mit der monatlichen Umsatzsteuervorauszahlung vertun oder bummeln, droht umgehend ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung.
Schuften für den Fiskus
Elektromeister Bernd Ehinger, Präsident der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main, hat anhand der Daten von gut 200 größeren Betrieben berechnen lassen, wie viel für den Chef und Eigentümer von einer zusätzlichen Million Euro Umsatz übrig bleibt. Im arbeitsintensiven Handwerk mit 40 bis 50 Prozent Personalkosten am Umsatz sei das Ergebnis trostlos – insbesondere „wenn ich die Mitarbeiter für die Arbeit nach Feierabend mit Überstundenzuschlägen von 25 bis 50 Prozent motivieren muss“. Bei einer durchschnittlichen Rendite von drei Prozent verblieben von einer Million Euro Umsatz nur 30.000 Euro brutto für den Unternehmer, wovon der bei vollständiger Entnahme lediglich 22.088 Euro bekäme. Ehinger: „Wir sind an einem Punkt, da sagt der Handwerker: Es lohnt sich nicht!“ Profiteur ist dagegen Vater Staat. Auf „locker 300.000 Euro“ veranschlagt Ehinger die Steuern und Sozialabgaben, die nicht nur der Handwerksbetrieb abführen muss, sondern die über die gesamte Produktionskette (einschließlich Lieferanten und Vor-Dienstleister) verteilt anfallen. Aufs Jahr gerechnet, kommt der Handwerksmeister zu einem niederschmetternden Ergebnis: „Nach Abzug von Betriebsaufwendungen, Sozialkosten und Fiskus bleiben nur 26 Tage vom Jahr, an denen der Betrieb nur für sich arbeitet.“ Wenn SPD und Grüne an die Regierung kämen und ihre Steuerpläne umsetzten, wären es laut Ehinger nur noch 21 Tage.
In der Schweiz müssen Arbeitnehmer ihre Lohnsteuer selbst überweisen. Darauf weist Christoph Hild neidvoll hin, Steuerexperte beim Verband der Chemischen Industrie, dessen Mitglieder mit Unternehmen auf der anderen Seite des Bodensees in Wettbewerb stehen. Die Eidgenossen haben bis zum 31. März des Folgejahres eine Steuererklärung abzugeben und dann ihre Steuerlast zu begleichen. Die Arbeitgeber behalten nur Altersvorsorge- und Krankenversicherungsbeiträge ein.
Zur staatlichen Verschleierungstaktik zählt auch, die Kosten der Energiewende über staatliche Abgaben zu finanzieren. Die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl führte 1991 das Energieeinspeisegesetz ein, Rot-Grün baute es zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) aus. Die Umlagen für Bürger und Betriebe – EEG-Umlage, Konzessionsabgabe, Aufschlag für Kraft-Wärme-Kopplung, Netzumlage und Offshore-Haftungsumlage – summieren sich 2013 auf fast 25 Milliarden Euro. Der statistische Schönheitseffekt: Sie alle gehören in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht zu den staatlichen Abgaben, weil der Geldfluss vom Kunden über den Netzbetreiber läuft, nicht durch öffentliche Kassen.
BdSt-Finanzexperte Volker Stern verzichtet deshalb darauf, die Energieumlagen in die Berechnung des Steuerzahlergedenktages einzubeziehen. Das ändert jedoch nichts am Charakter der Zwangsabgaben, für die Bürger und Betriebe gesamtwirtschaftlich gesehen mehr als vier Tage im Jahr arbeiten müssen. Folglich dürfen die Deutschen am 12. Juli ein weiteres Mal die Sektkorken knallen lassen.