Steuern So entsteht die Prognose zur Steuerschätzung

Der Arbeitskreis Steuerschätzung legt seine neue Prognose zu Steuereinnahmen vor. Quelle: Illustration: Leander Aßmann

Die Steuerschätzer gehen von 63,3 Milliarden Mehreinnahmen für die Staatskassen aus. Wie sie auf diese politisch wichtige Zahl gekommen sind – und warum die Ökonomen oft zu tief liegen.

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Zweimal im Jahr, im Frühjahr und Herbst, kommt der Arbeitskreis Steuerschätzung zu Beratungen zusammen, dieses Mal in Mainz. Schließlich verkündet nun am Nachmittag Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Ergebnisse dieser Zusammenkunft: die neuen Steuerschätzung. Erwartet werden steigende Einnahmen im Vergleich zur Herbst-Schätzung. Das „Handelsblatt“ berichtete vorab, bis 2022 könne mit Steuermehreinnahmen von 60 Milliarden Euro gerechnet werden.

Doch wer verbirgt sich hinter dem 1955 gegründeten Gremium, das stets hinter verschlossenen Türen tagt? Beteiligt sind Wissenschaftler von 27 Institutionen. Dazu zählen das Wirtschafts- und Finanzministerium, Kommunalverbände, die Bundesbank, der Sachverständigenrat, die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das Statistische Bundesamt und die Finanzministerien der Länder.

Dienstältestes Mitglied ist der Ökonom Heinz Gebhardt, der seit 30 Jahren das Essener RWI-Leibniz-Institut im AKS vertritt. Kontinuität sei wertvoll, sagte er: „Die meisten Steuerschätzer gehören dem Arbeitskreis über viele Jahre an und lernen sich und ihre Methoden kennen und einschätzen.“

Rechnungshof prangert Verschwendung der Regierung an
Der Bundesrechnungshof hat am Dienstag mit neuen Vorwürfen das teils unwirtschaftliche Verhalten der Bundesregierung bei einigen Projekten und Ausgaben deutlich gemacht. In den aktuellen Prüfergebnissen des Bundesrechnungshofs als Ergänzung zum Jahresbericht 2017 lesen sich einige Beispiele, in denen die Bundesverwaltung den Empfehlungen des Rechnungshofs nicht gefolgt ist und damit weiterhin nach Meinung des Rechnungshofes weiterhin Geld zum Fenster rausgeschmissen hat. Quelle: imago images
Der Rechnungshof kritisiert, dass die Luftwaffe die Übungsmöglichkeiten in ihren Eurofighter-Simulatoren nicht in vollem Maße nutze. Quelle: imago images
Die Nato-Forderung von 180 Flugstunden jährlich erfüllten aber nur wenige Piloten. Im Durchschnitt der Jahre 2015 und 2016 habe kein Pilot mehr als 30 Flugstunden in Simulatoren geleistet. 2017 habe die Luftwaffe 900 bereitstehende und bereits bezahlte Simulatoren-Flugstunden nicht für die Ausbildung eingesetzt. Quelle: imago images
Der Rechnungshof sieht außerdem Fehler der Bundeswehr bei der Modernisierung von IT-Systemen auf Fregatten. Quelle: dpa
Die Krankenkassen wenden laut Rechnungshof pro Jahr mehr als eine Milliarde Euro für kieferorthopädische Behandlungen auf - obwohl deren medizinischer Nutzen nur unzureichend erforscht sei. Dem Gesundheitsministerium und den Krankenkassen fehlten wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über Wirkung und Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen. Zudem hätten sie keinen Überblick, mit welchen kieferorthopädischen Leistungen die Bevölkerung konkret versorgt werde. Quelle: dpa
Hinweisen auf diesen Missstand sei das Ministerium seit Jahren nicht nachgegangen. „Auch im Sinne der Patienten ist zu klären, welche Leistungen zu Behandlungserfolgen führen“, sagte Scheller. In anderen Leistungsbereichen der Gesetzlichen Krankenversicherung müsse der Nutzen einer Therapie wissenschaftlich bestätigt sein. „Das sollte auch bei kieferorthopädischen Behandlungen der Fall sein.“ Quelle: dpa
Auf den vierstreifigen Ausbau einer Ortsumfahrung um Schirnding (Bayern) nahe der Grenze zu Tschechien sollte verzichtet werden, so der Rechnungshof. Für den Ausbau der Strecke bestehe kein Bedarf. Es könnten 33 Millionen Euro gespart werden. Mit der bestehenden Bundesstraße könne das Verkehrsaufkommen bereits jetzt problemlos bewältigt werden. Die geplante Baumaßnahme sei nicht wirtschaftlich. Quelle: dpa

Der Austausch beginnt traditionell bereits vor der dreitägigen Sitzung: Bei einem gemeinsamen Essen loten die Forscher am Abend ihrer Anreise mögliche Streitpunkte aus. Offiziell eröffnet wird die Sitzung dann am Dienstagmorgen von einem Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der den Wirtschaftsausblick der Bundesregierung vorstellt. Diese Regierungsprognose bildet mit den aktuellen Aufkommen der Steuerarten die Grundlage für die Schätzvorschläge; ihre Schätzungen dazu mussten die Forscher eine knappe Woche vor der Sitzung beim Bundesfinanzministerium einreichen.

In der Wahl ihrer wissenschaftlichen Methoden sind die Forscher völlig frei. Für ihre Debatte bekommen sie vor Ort eine Übersicht sämtlicher Schätzvorschläge für jede Einzelsteuer. „Wer die Arbeitsweise des Arbeitskreises gut kennt, weiß schnell, welche Steuerarten wir in den nächsten Tagen ausführlicher diskutieren werden“, sagt Gebhardt.

Überschüssige Steuereinnahmen

Über mehr als 40 Einzelsteuern müssen die Schätzer beraten, angefangen bei der Lohnsteuer über die Kaffeesteuer bis hin zur Rennwett- und Lotteriesteuer. Das kann dauern, denn es gibt weder einen Mehrheitsbeschluss noch eine Durchschnittsberechnung. Stattdessen diskutieren die Forscher in fiskalischer Graswurzeldemokratie ihre Prognosen so lange, bis Einstimmigkeit herrscht. Die Schweigepflicht stellt sicher, dass alle Teilnehmer ihr Gesicht wahren – auch wenn jemand am Ende deutlich von seinem Vorschlag abrückt. „Liegen wir weit auseinander, kann die Konsensfindung Stunden dauern“, sagt Gebhardt.

Schwierig sei die Schätzung der sogenannten Veranlagungssteuern wie der Körperschaftsteuer, da die nicht nur von den aktuellen Gewinnen, sondern auch von den Vorjahren bestimmt wird. Außerdem komme es immer wieder zu Änderungen im Rhythmus der Finanzämter. „Als Folge davon wird über diesen Zusammenhang oft kontrovers diskutiert“, sagt Gebhardt.

Doch sind Ungenauigkeiten politisch vielleicht sogar erwünscht? Je stärker das Steueraufkommen zulegt, umso stärker wachsen auch die politischen Begehrlichkeiten. Finanzminister haben daher ein Interesse an konservativen Schätzungen. Und siehe da: In den vergangenen zehn Jahren lagen die Steuereinnahmen fast immer über der Prognose des AKS. Im Schnitt kassierte der Bund seit 2007 pro Jahr knapp 1,5 Prozent mehr Steuern als vorhergesagt.

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