Zweimal im Jahr, im Frühjahr und Herbst, kommt der Arbeitskreis Steuerschätzung zu Beratungen zusammen, dieses Mal in Mainz. Schließlich verkündet nun am Nachmittag Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Ergebnisse dieser Zusammenkunft: die neuen Steuerschätzung. Erwartet werden steigende Einnahmen im Vergleich zur Herbst-Schätzung. Das „Handelsblatt“ berichtete vorab, bis 2022 könne mit Steuermehreinnahmen von 60 Milliarden Euro gerechnet werden.
Doch wer verbirgt sich hinter dem 1955 gegründeten Gremium, das stets hinter verschlossenen Türen tagt? Beteiligt sind Wissenschaftler von 27 Institutionen. Dazu zählen das Wirtschafts- und Finanzministerium, Kommunalverbände, die Bundesbank, der Sachverständigenrat, die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das Statistische Bundesamt und die Finanzministerien der Länder.
Dienstältestes Mitglied ist der Ökonom Heinz Gebhardt, der seit 30 Jahren das Essener RWI-Leibniz-Institut im AKS vertritt. Kontinuität sei wertvoll, sagte er: „Die meisten Steuerschätzer gehören dem Arbeitskreis über viele Jahre an und lernen sich und ihre Methoden kennen und einschätzen.“
Der Austausch beginnt traditionell bereits vor der dreitägigen Sitzung: Bei einem gemeinsamen Essen loten die Forscher am Abend ihrer Anreise mögliche Streitpunkte aus. Offiziell eröffnet wird die Sitzung dann am Dienstagmorgen von einem Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der den Wirtschaftsausblick der Bundesregierung vorstellt. Diese Regierungsprognose bildet mit den aktuellen Aufkommen der Steuerarten die Grundlage für die Schätzvorschläge; ihre Schätzungen dazu mussten die Forscher eine knappe Woche vor der Sitzung beim Bundesfinanzministerium einreichen.
In der Wahl ihrer wissenschaftlichen Methoden sind die Forscher völlig frei. Für ihre Debatte bekommen sie vor Ort eine Übersicht sämtlicher Schätzvorschläge für jede Einzelsteuer. „Wer die Arbeitsweise des Arbeitskreises gut kennt, weiß schnell, welche Steuerarten wir in den nächsten Tagen ausführlicher diskutieren werden“, sagt Gebhardt.
Überschüssige Steuereinnahmen
Über mehr als 40 Einzelsteuern müssen die Schätzer beraten, angefangen bei der Lohnsteuer über die Kaffeesteuer bis hin zur Rennwett- und Lotteriesteuer. Das kann dauern, denn es gibt weder einen Mehrheitsbeschluss noch eine Durchschnittsberechnung. Stattdessen diskutieren die Forscher in fiskalischer Graswurzeldemokratie ihre Prognosen so lange, bis Einstimmigkeit herrscht. Die Schweigepflicht stellt sicher, dass alle Teilnehmer ihr Gesicht wahren – auch wenn jemand am Ende deutlich von seinem Vorschlag abrückt. „Liegen wir weit auseinander, kann die Konsensfindung Stunden dauern“, sagt Gebhardt.
Schwierig sei die Schätzung der sogenannten Veranlagungssteuern wie der Körperschaftsteuer, da die nicht nur von den aktuellen Gewinnen, sondern auch von den Vorjahren bestimmt wird. Außerdem komme es immer wieder zu Änderungen im Rhythmus der Finanzämter. „Als Folge davon wird über diesen Zusammenhang oft kontrovers diskutiert“, sagt Gebhardt.
Doch sind Ungenauigkeiten politisch vielleicht sogar erwünscht? Je stärker das Steueraufkommen zulegt, umso stärker wachsen auch die politischen Begehrlichkeiten. Finanzminister haben daher ein Interesse an konservativen Schätzungen. Und siehe da: In den vergangenen zehn Jahren lagen die Steuereinnahmen fast immer über der Prognose des AKS. Im Schnitt kassierte der Bund seit 2007 pro Jahr knapp 1,5 Prozent mehr Steuern als vorhergesagt.