Steuerpolitik Wie das Finanzamt die Krise verschärft

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Abschreibungsraten im Vergleich

Chancen auf baldige Änderung gebe es insbesondere noch bei der Unternehmenssteuerreform, meint der Bundestagsabgeordnete Peter Rzepka, der für die CDU/CSU-Fraktion Berichterstatter für die Unternehmenssteuerreform 2008 gewesen ist. Zu offensichtlich sind die fatalen Folgen für die Wirtschaft. Die Reform der Unternehmenssteuern, für die große Koalition ein Kernstück ihrer vierjährigen Amtszeit, entpuppe sich als „existenzgefährdend“, konstatiert auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW).

Anlässlich des parlamentarischen Verfahrens zum „Gesetz zur weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz)“ forderte IDW-Vorstand Klaus-Peter Naumann vorige Woche „steuerliche Sofortmaßnahmen zur Förderung der Unternehmensliquidität“. In einem Schreiben an den Vorsitzenden des Finanzausschusses im Bundestag, Eduard Oswald (CSU), ließ Naumann kein gutes Haar an der Unternehmenssteuerreform, welche „die ohnehin bei vielen Unternehmen angespannte Liquiditätslage zusätzlich verschlechtert“.

Vor allem Fälle wie die Standard-Metallwerke in Werl hat Wirtschaftsprüfer Naumann vor Augen, wenn er fordert, den Verlustrücktrag wieder einzuführen. Derzeit sei „Unternehmen, die nach Jahren mit hohen Erträgen von der aktuellen Wirtschaftskrise betroffen werden und Verluste erwirtschaften, die Möglichkeit einer Verlustnutzung verwehrt, bis sie die Krise überwunden haben“, kritisiert Naumann. Falls sie die Krise überhaupt überwinden. Schnelle Hilfe sei daher die beste Hilfe, sekundiert Berthold Welling, Steuerexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Der Charme des Verlustrücktrags bestehe darin, dass sich die Liquidität gleich verbessere.

Wirtschaft bittet händeringend um Korrekturen

Händeringend bitten die Wirtschaftsverbände und Unternehmer denn auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) um Korrekturen. Doch die Kraft dazu scheint in Berlin in den letzten sechs Monaten bis zur Bundestagswahl zu schwinden. Bezeichnend ist der Auftritt der Kanzlerin vor rund 100 Unternehmern Mitte März in München. Diese drängten hinter verschlossenen Türen auf Änderungen bei der Unternehmenssteuerreform. Merkel äußerte Verständnis für die Nöte – und forderte dazu auf, sich doch in Briefen an die SPD-Größen Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier (Kanzlerkandidat), Peter Struck (Fraktionschef) und Franz Müntefering (Parteichef) zu wenden.

Auf solch eine Idee ist auch schon der BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf gekommen. Er schrieb an die Finanz- und Wirtschaftsminister in Bund und Ländern. Doch an Peer Steinbrück perlen alle Einwürfe ab. Der Sozialdemokrat will mit Blick auf seinen klammen Staatshaushalt den Unternehmern nicht helfen, ja sogar Wahlkampf gegen jede Steuererleichterung für die Wirtschaft führen.

Dennoch glaubt CDU-Finanzpolitiker Rzepka noch an eine Korrektur der Unternehmenssteuerreform „bis zum Sommer“. Warum? „Weil der Druck in der Wirtschaftskrise steigt!“ Auch in der Unions-Fraktion steige derzeit die Unruhe, berichtet Rzepka. Selbst die USA machen jetzt bei der Bundesregierung Dampf. Bei seinem Amerikatrip bekam Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg in der vergangenen Woche auf Schritt und Tritt zu hören, Europa und Deutschland müssten noch mehr Geld zur Ankurbelung der Konjunktur in die Hand nehmen. Am 2. April, wenn sich in London die Staats- und Regierungschefs der 20 größten Volkswirtschaften zum Weltfinanzgipfel treffen, könnte der Startschuss für ein weiteres Konjunkturprogramm gegeben werden. Warum eigentlich sollten dann in Deutschland nicht auch steuerliche Änderungen in einem solchen Paket enthalten sein?

Zu Guttenberg liegt auf der Lauer. Denn das Bundeswirtschaftsministerium hält die Liquiditätssorgen und -wünsche der Unternehmen nur für allzu berechtigt. In internen Vermerken weisen die Ministerialbeamten auf den „zusätzlichen Liquiditätsentzug in schwierigen Zeiten“ etwa bei der Zinsschranke hin. Doch zum jetzigen Zeitpunkt könnten entsprechende Forderungen nach Entlastung als Signal für ein Konjunkturpaket III missverstanden werden, heißt es bedauernd im Ministerium.

Sollte es dazu kommen, würde sich wohl auch der Bundesrat auf die Seite der Unternehmen schlagen. Schon bei der Verabschiedung des Konjunkturpakets II im Februar mahnte die Länderkammer auf Druck der FDP, „kontraproduktive Belastungen aufzuheben“. Darunter versteht der Bundesrat beispielsweise die restriktiven Abschreibungsbedingungen. Daneben könne eine „Verbesserung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gerade in einem Konjunkturabschwung beitragen“, schreibt der Bundesrat der Bundesregierung ins Stammbuch.

In einem Konjunkturpaket III wäre es an der Zeit, die liquiditätentziehenden Vorschriften generell zu entschärfen. In puncto Mehrwertsteuerabführung zum Zeitpunkt der Rechnungslegung (die sogenannte Soll-Besteuerung), unter der Mittelständler wie Bauunternehmer Derwald leiden, ist vor allem der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin aktiv. Rückenwind bekommt der ZDH dabei von der EU-Kommission in Brüssel. Diese empfahl vor vier Wochen, die Soll-Besteuerung für kleine und mittlere Unternehmen zu ersetzen durch eine Ist-Besteuerung – also die Abführung der Mehrwertsteuer erst dann, wenn der Unternehmer sein Geld vom Kunden tatsächlich bekommt.

Die EU-Kommission schlägt den Mitgliedsländern vor, die Ist-Besteuerung für Unternehmen mit Umsätzen bis zu zwei Millionen Euro einzuführen. In Deutschland gelten derzeit Obergrenzen von 250.000 Euro (West) und 500.000 Euro (Ost). Ginge es nach dem ZDH, so dessen Steuerexperte Matthias Lefarth, würde die Grenze auf eine Million Euro angehoben. Lefarth: „Das wäre für uns das beste Liquiditätsprogramm.“

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