Steuerschätzung auf Rekordniveau Schäuble erwartet bessere Entwicklung für Länder und Kommunen

Um 54 Milliarden Euro sollen die Steuereinnahmen bis 2021 zusätzlich steigen. Das weckt Begehrlichkeiten und erhöht den Druck, die Bürger zu entlasten. Dabei ist der Bund gar nicht Hauptprofiteur der Steuermehreinnahmen.

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Es sind neue Rekordzahlen, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble an diesem Donnerstag vermeldet. Nach der Prognose des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ werden sich die Einnahmen von 732 Milliarden Euro in diesem auf 852 Milliarden Euro im Jahr 2021 entwickeln. Das sind 54 Milliarden Euro mehr als bei der letzten Steuerschätzung vom vergangenen November – allerdings über fünf Jahre und für Bund, Länder und Gemeinden insgesamt, wie Schäuble gleich mehrfach erwähnt.

Drei Tage lang hatten sich Experten in Bad Muskau in der Oberlausitz zusammengesetzt und über ihren Prognosen gebrütet, wie sich die Steuereinnahmen in Deutschland entwickeln werden. Um 12 Uhr sendeten sie ihr Ergebnis nach Berlin, wo das Bundesfinanzministerium dann Schäuble briefte. Der wollte sorgsam die Worte wägen, um die großen Verteil- und Entlastungserwartungen zu dämpfen. Denn außer tiefen Schuldenlöchern ist für Schäuble offenbar nichts schlimmer, als einen Honigtopf voll Geld mit sich herumzuschleppen.

Schäuble betonte bei der Vorlage der Ergebnisse, dass insbesondere für die Länder und Gemeinden eine deutlich bessere Entwicklung zu erwarten sei. Beim Bund selbst wirkten sich die Zahlungen  an die Länder und Gemeinden im Rahmen des Gesetzes zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Flüchtlingsintegration dämpfend aus.

Überhaupt machte sich Schäuble alle Mühe, um die Lage nicht allzu positiv erscheinen zu lassen. Man müsse geringere Gewinnabführungen der Bundesbank verkraften und mehr Hilfen für Afrika leisten, hob der Bundesfinanzminister hervor und stapelte tief: „Für den Bund bedeutet die Entwicklung der Steuereinnahmen, dass wir nach unten abgesichert sind.“  Verglichen mit der Steuerschätzung vom November 2016 werden die Steuereinnahmen für den Bund um 2,4 Milliarden Euro in diesem Jahr höher ausfallen. Die Länder dürfen 2017 mit 6,5 Milliarden Euro mehr rechnen, die Gemeinden mit einem Plus von 2,5 Milliarden.

Auch in den Jahren 2018 bis 2021 soll das Steueraufkommen - insgesamt betrachtet - über dem Schätzergebnis vom November 2016 liegen. Der Arbeitskreis Steuerschätzungen hat seine Prognose für das Jahr 2018 um + 5,6 Milliarden Euro (Bund: - 4,2 Milliarden), 2019 um + 10,5 Milliarden (Bund: - 0,1 Milliarden), 2020 um + 13,5 Milliarden (Bund: + 1,2 Milliarden) und 2021 um + 16,6 Milliarden (Bund: + 3,8 Milliarden) angepasst.

Forderungen nach Mehrausgaben und Steuersenkungen

Schon in den vergangenen Tagen, als Vor-Schätz-Zahlen bekannt wurden, kam es zu Forderungen nach Mehrausgaben und Steuersenkungen. Schäuble selbst erklärte an diesem Donnerstag, an seinen Steuersenkungsvorschlägen mit einer Entlastung der Bürger um rund 15 Milliarden Euro festhalten und ab 2020 den Solidaritätszuschlag sukzessive abschaffen zu wollen.

Ob das reicht, da haben insbesondere die FDP und der Union-Wirtschaftsflügel ihre Zweifel. FDP-Parteichef Christian Lindner verlangt 30 bis 40 Milliarden Euro jährliche Entlastung, ähnlich äußert sich Carsten Linnemann von der CDU. Immerhin steigt damit die Chance, dass im Falle einer künftigen schwarz-gelben Koalition die Steuerlast sinkt.

Anders sähe es dagegen bei einer Fortsetzung der großen Koalition aus. Denn SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz will lieber mehr Geld für öffentliche Aufgaben ausgeben und vorzugsweise Geringverdiener bei ihren Sozialabgaben entlasten. Gleichwohl käme auch die SPD kaum an einer Verschiebung des Einkommensteuertarifs nach rechts herum, weil bereits knapp vier Millionen Bürger hierzulande den Spitzensteuersatz von 42 Prozent (plus Soli) zahlen. Da ist auch der ein oder andere IG Metall-Facharbeiter dabei.

Laut OECD muss der allein stehende deutsche Durchschnittsbeschäftigte aktuell eine Steuer- und Abgabenlast von 49,4 Prozent seines Einkommens stemmen – das ist in Europa Spitze, nur die Belgier werden noch stärker geschröpft. Ein Großteil der Bundesbürger darf die Früchte seiner Arbeit also nur zur Hälfte genießen, die andere Hälfte wird sofort kassiert und sozialisiert.

Das Ergebnis der im Arbeitskreis Steuerschätzung vereinten Experten ist die Basis für den Haushaltsplan des Bundes für 2018 und für die mittelfristige Finanzplanung über die kommenden fünf Jahre. In dem 1955 gegründeten Gremium, das stets hinter verschlossenen Türen tagt, sind Wissenschaftler von 27 Institutionen mit von der Partie. Dazu zählen das Wirtschafts- und Finanzministerium, Kommunalverbände, die Bundesbank, der Sachverständigenrat, die fünf Wirtschaftsforschungsinstitute, das Statistische Bundesamt und die Finanzministerien der Länder. Über gut 40 Einzelsteuern haben die Schätzer beraten, angefangen bei der Lohnsteuer über die Kaffeesteuer bis hin zur Rennwett- und Lotteriesteuer.

Weil die Einkommen deutlich gestiegen sind, die Steuertarife aber kaum angepasst wurden, fallen zunehmend auch Normalverdiener unter den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. 2017 dürften sich die Zahl sogar noch verdoppeln.

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