Storch und Pretzell SPD und FDP feiern Niedergang der Europa-AfD

Wegen umstrittener Äußerungen zur Flüchtlingspolitik sollen die AfD-EU-Abgeordneten Storch und Pretzell aus ihrer Fraktion ausgeschlossen werden. Während die sich lautstark wehren, feiern andere schon ihr nahendes Ende.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
AfD-Europaabgeordnete Beatrix von Storch (l.) und Marcus Pretzell: In ihrer EU-Fraktion unerwünscht. Quelle: dpa

Berlin Der drohende Ausschluss der AfD-Abgeordneten aus der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ im  Europäischen Parlament, Beatrix von Storch und Marcus Pretzell, ist von den etablierten Parteien als folgerichtig begrüßt worden. „Die Fraktion der Konservativen im EU-Parlament handelt nur konsequent, wenn sie die AfD aus ihren Reihen ausschließt. Wer einen Schießbefehl auf Flüchtlinge und ihre Kinder gutheißt, darf nicht Mitglied in so einer Gemeinschaft bleiben“, sagte Katarina Barley, Generalsekretärin der SPD. „Durch einen Ausschluss landen sie dort wo sie hingehören, nämlich in einem Topf mit anderen fraktionslosen Parteien wie der NPD und dem Front National.“

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, sieht die AfD zumindest auf EU-Ebene vor der politischen Bedeutungslosigkeit, wenn sie ihre Fraktion verlassen müssen. „Mit dem Rauswurf aus der EKR-Fraktion verliert die AfD nun auch den letzten Rest ihrer bürgerlichen Fassade“, sagte Lambsdorff (FDP). Dass die AfD-Abgeordneten von Storch und Pretzell selbst der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) aus Polen zu radikal seien, spreche Bände.

Das Büro der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR), in dem die Parteien vertreten sind, hatte am Dienstagabend die AfD aufgefordert, die gemeinsame Fraktion im EU-Parlament bis zum 31. März zu verlassen. Andernfalls werde es am 12. April zu einer Abstimmung über den Ausschluss der zwei AfD-Mitglieder kommen. Auslöser sind Äußerungen von Storchs über mögliche Schüsse auf Flüchtlinge, um diese am Grenzübertritt zu hindern.

Die Vize-Chefin der Bundes-AfD hatte den Einsatz von Waffen gegen Flüchtlinge befürwortet und dabei zunächst explizit auch Kinder gemeint. Erst nach Protesten auch in der eigenen Partei ruderte sie zurück. Auch Pretzell löste Widerspruch in der Partei aus, als er sagte, die AfD sei die „Pegida-Partei“.

Nach Darstellung von Storchs gab es in der Fraktionssitzung keine Mehrheit für einen Ausschluss der AfD. Der EKR-Sprecher habe ein „falsches Bild der Entscheidung“ wiedergegeben. In der Fraktion gebe es „jetzt und in der Zukunft“ keine Mehrheit für ein Ausschlussverfahren, versicherte von Storch.

Die EKR ist drittgrößte Fraktion im EU-Parlament. Die meisten Mitglieder werden von den Tories gestellt, der Partei des britischen Premierministers David Cameron. Zur EKR gehören neben der polnischen PiS auch die EU-Abgeordneten der Alfa-Partei von AfD-Mitbegründer Bernd Lucke.


„Wie Hausbesetzer in einem Haus“

Von Storch äußerte zugleich scharfe Kritik an der britischen Fraktionsführung. „Sie beteiligt sich an dem bösen Spiel, der AfD vor den drei Landtagswahlen am 13. März zu schaden.“ Denn schon seit Wochen fänden fraktionsinterne Diskussionen um die Positionen der AfD zum Grenzschutz, zu Russland und zum Verhältnis zur rechten österreichischen Partei FPÖ statt. „Dabei erweckte die britische Fraktionsführung stets den Eindruck, hinter der AfD zu stehen, und erklärte die Missverständnisse für ausgeräumt“, sagte sie. Fünf Tage vor wichtigen Landtagswahlen habe sich dies als Täuschung erwiesen.

Zuvor hatten von Storch und Pretzell in einer am Dienstagabend verbreiteten Presseerklärung deutsche und britische EU-Abgeordnete als „Handlanger“ von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Großbritanniens Premier David Cameron abgekanzelt. „Merkel hatte schon beim Einzug der AfD ins Europäische Parlament erfolglos versucht, Druck auf Cameron auszuüben und der AfD die Aufnahme zu verweigern“, so von Storch und Pretzell. „Jetzt hat sie es wieder versucht, um den Erfolg der AfD bei den bevorstehenden Landtagswahlen am 13. März 2016 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zu torpedieren.“

Bernd Lucke, der mit seiner Partei Alfa ebenfalls der EKR-Fraktion angehört, wies die Darstellung der beiden AfD-Abgeordneten zurück. „Mit derartigen Ausfällen haben sich von Storch und Pretzell sicherlich keine Freunde gemacht“, sagte der frühere AfD-Chef dem Handelsblatt. „Falls deren Stellungnahme so zu verstehen ist, dass sie wie Hausbesetzer in einem Haus bleiben wollen, in dem sie unerwünscht sind, wird die Fraktion nach dem 31.3. sicherlich darauf zu reagieren wissen.“

Lucke betonte, dass er bewusst weder an der Sitzung des Fraktionsvorstands noch an der Sitzung der EKR-Fraktion teilgenommen habe, „da ich den Eindruck vermeiden möchte, ich würde den Ausschluss betreiben - etwa aus persönlichen Motiven“. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Austrittsforderung an die AfD-Parlamentarier sei allein „Resultat der Überlegung, welche politischen Werte und Inhalte die EKR-Fraktion vertritt und ob diese in zumindest ungefährer Übereinstimmung mit denen der heutigen AfD stehen“.  Letzteres, so Lucke, habe die Fraktion verneint.

Mit Verwunderung nahm Lucke die Behauptung von Storchs und Pretzells zur Kenntnis, dass Merkel oder Cameron Einfluss auf die Entscheidung genommen hätten. „Die Aussagen von Storchs und Pretzells sind eine völlig unbegründete Schmähung meiner Abgeordnetenkollegen“, sagte Lucke. Der Antrag für einen AfD-Ausschluss sei zudem weder von einem Deutschen noch von einem Briten gestellt worden, sondern vom niederländischen Abgeordnete Peter van Dalen.


„Titanic“-Partei will AfDler nicht haben

In der Fraktion werden der AfD auch enge Kontakte zu rechtsextremen Parteien vorgeworfen, etwa zu der französischen Front National (FR). Deren Chefin Marine Le Pen hat im Europaparlament eine eigene Gruppe gegründet. Kritisch wird dem Vernehmen nach zudem der Zusammenschluss der AfD mit der „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) zu einer „Blauen Allianz“ gesehen, zumal die FPÖ zur rechtsradikalen Fraktion im Europaparlament zählt. Mitte Februar hatte die AfD eine Veranstaltung in Düsseldorf sogar mit einem EKR-Logo beworben, obwohl der Chef der FPÖ, Heinz-Christian Strache, als Gast mit dabei gewesen ist.

Der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen begrüßte es, dass von Storch und Pretzell in der EKR-Fraktion untragbar geworden seien. „Spätestens mit der Forderung nach einem Schießbefehl für wehrlose Flüchtende haben die Rechtspopulisten sich vollständig diskreditiert“, sagte Leinen. „Eine Fraktion, der auch Camerons britische Konservative angehören - und damit die Regierungspartei eines der größten EU-Länder - können keine Mitglieder in ihren Reihen dulden, die europäische Werte und Menschenrechte mit Füßen treten.“

Leinen ist überzeugt, dass die beiden AfD-Politiker als fraktionslose Abgeordnete weit weniger Gelegenheit hätten, ihre „dumpfen Parolen“ zu verbreiten. „Wir werden genau beobachten, ob die AfD jetzt zur radikalen Rechtsfraktion von Marine Le Pen Kontakt aufnimmt oder sogar dorthin überläuft.“

Bei den Fraktionslosen regt sich schon Widerstand – wenn auch ein nicht ganz ernst gemeinter. Martin Sonneborn, früherer Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ und jetziger Europaabgeordneter für die Partei „Die Partei“, erklärte in einer in den sozialen Medien verbreiteten Pressemitteilung, dass die Gruppe der fraktionslosen Abgeordneten kein Interesse daran habe, „dass ihr Ansehen durch zwei AfD-Politiker vom Schlage Strolch/Pretzell beschmutzt wird“.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%