Streit in der Union Warum die CDU Seehofer dankbar sein sollte

Viele Christdemokraten sind sauer auf die CSU, dabei sollten sie ihrer bayerischen Schwesterpartei dankbar sein. Ohne Seehofers Oppositionspolitik gegen Merkel ginge es der Union noch schlechter - und der AfD besser.

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Unionsfraktionsspitzen Seehofer und Merkel scheinen sich einig. Quelle: dpa Picture-Alliance

Spricht man dieser Tage mit Bundestagsabgeordneten der CDU, vernimmt man eine große Ratlosigkeit. An der Basis rumore es. „Dich persönlich kann ich noch wählen, aber die Merkel nicht“, bekomme man im Wahlkreis oft zu hören.

Die Partei ist nicht wirklich mit sich selbst im Reinen. Zwischen der Führung, die sich geschlossen wie nie zuvor in der Parteigeschichte zeigt, und der Basis klafft eine Vertrauenslücke. Sie betrifft zunächst die merkelsche Flüchtlingspolitik, deren Volten jeden Menschen außerhalb des Kanzleramts schwindelig machen müssen. Wie kann ein CDU-Politiker seinen Wählern erklären, warum Merkel im September 2015 die Flüchtlinge vom Budapester Hauptbahnhof willkommen hieß, aber die aus Idomeni im Frühjahr 2016 nicht? Und warum man keine Obergrenze der Belastbarkeit nennen dürfe – denn natürlich gibt es die. Warum es einerseits oberstes Prinzip sei „nationale Alleingänge“ zu verhindern – zum Beispiel die Sperrung der Balkanroute – aber deutsche Alleingänge wie die Energiewende und die Grenzenlosigkeit des September 2015 in Ordnung seien.

Der Vertrauensverlust zwischen Führung und Basis der CDU betrifft auch das Wohlstandsvernichtungs- und Landschaftsverschandelungsprogramm der verkorksten Energiewende. Außerdem: Wie will ein Abgeordneter seinen Wählern und vor allem den Parteifreunden, die 2017 die Merkel-Plakate kleben sollen, erklären, dass Andrea Nahles mit Merkels Segen schrittweise die Schröder-Reformen zurückdreht und dafür neue Sozialgeschenke bereitet, die bei der nächsten Konjunkturdelle oder wenn Griechenland mal wieder gerettet werden muss, den Traum von der schwarzen Null zerplatzen lassen?

Im Kanzleramt und im Konrad-Adenauer-Haus mag man sich mittlerweile an solche moralisch und gefühlspolitisch gerechtfertigten Volten gewöhnt haben. Doch wie soll ein Abgeordneter in seinem Wahlkreis noch das umzusetzen in der Lage sein, was Merkel einfordert? Nämlich: „aus uns heraus selbst darzustellen, was wir wollen, wohin wir gehen, welche Überzeugungen uns tragen.“

Die CDU, eine nach dem Zweiten Weltkrieg aus verschiedenen früheren Parteien, Milieus, Interessen und politischen Traditionen geschmiedete Union, legte stets besonderen Wert auf die Geschlossenheit. Nur ein starker Parteichef, im Normalfall gleichzeitig Kanzler, konnte das breite Spektrum von christlich-sozial bis national-konservativ zusammen und die Reihen hinter sich geschlossen halten. Adenauer und Kohl waren Meister in dieser Disziplin. Angela Merkel steht beiden in keiner Weise nach. Sie schafft sogar, was beide CDU-Titanen nicht schafften: Trotz einer langen Reihe verlorener Landtagswahlen und historisch niedriger Umfragewerte den Charakter der CDU als Kanzlerwahlverein zu festigen.  Wie ein Mann stehen die Mandatsträger hinter der Kanzlerin und einer CDU, deren politischer Kurs nicht mehr viel mit den alten Werten der Union zu tun hat, sondern eine Wette auf den Machterhalt ist:  links der Mitte der SPD und den Grünen die Themen und Wähler streitig zu machen und das rechts frei gewordene Terrain zu ignorieren, da es keine akzeptable Alternative für bürgerliche Wähler gebe.

Seit dem Aufkommen der AfD kann diese Wette nur noch aufgehen, solange diese aus dem Spektrum der respektablen Politik herausfällt. Mit ihren radikalisierenden Führungskräften sorgt die AfD derzeit selbst dafür, dass das so bleibt. Für Merkels Union heißt das: Selbst im schlimmsten Fall, wenn nach den Wahlen 2017 die große Koalition nicht groß genug sein sollte, regiert man eben unter Einschluss der Grünen weiter. Dennoch: Angesichts von kaum noch 30 Prozent Wählerzuspruch für die Union (mit besonders überproportional hohem CSU-Beitrag aus Bayern) wäre in früheren Zeiten eine Palastrevolution überfällig. Schließlich werden zahlreiche CDU-Abgeordnete ihren Sitz im Bundestag verlieren. Doch die Revolution bleibt aus.

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