Streit mit Heiko Maas Wie Facebooks Lobbymaschine versagte

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Facebook überschätzt seinen Einfluss


Die Frau, die darauf eine Antwort wissen müsste, heißt Eva-Maria Kirschsieper, sie ist die deutsche Cheflobbyistin des Konzerns. Aber wenn die Enddreißigerin mit den kurzen blonden Haaren einmal zu sprechen angefangen hat, sorgt das meist für noch mehr Verwirrung. Anfang Januar etwa, als Kirschsieper Abgeordneten der Unionsfraktion nahebringen wollte, warum sich ihr Unternehmen im Kampf gegen Fake News so schwer tue: „Facebook können Lügen sein. Facebook können Propaganda sein.“ Die Abgeordneten horchten auf. Die Lobbyistin wollte natürlich Fake News sagen, aber ihr rutschte ständig der Name ihres Konzerns heraus: „Sie sind einfach zu ähnlich, diese Wörter.“ Die Parlamentarier waren entsetzt.

Seit sechs Jahren vertritt Kirschsieper den US-Konzern in der deutschen Hauptstadt. Verständnis in Regierung und Parlament hat sie sich in dieser Zeit nicht erarbeiten können. Im Gegenteil: Facebook hat sich unter Innenexperten und Netzpolitikern aller Parteien den Ruf erworben, für das deutsche Grundgesetz oder für die Befindlichkeiten hiesiger Bürger herzlich wenig übrig zu haben. Zu dem Eindruck trägt bei, dass die Interessenvertreter des Konzerns Gespräche mit Journalisten konsequent meiden. Auch den Wunsch nach einem Gespräch mit der WirtschaftsWoche schlug Kirschsieper trotz wiederholter Anfragen aus.

Dabei könnte Facebook in Berlin durchaus Punkte machen. Nicht nur, weil die Problematik alles andere als trivial ist: Welche Inhalte müssen tatsächlich gelöscht werden? Soll Facebook wirklich die Rolle eines privaten Zensors eingeräumt werden? Was muss genuine Aufgabe des Rechtsstaates bleiben? Sondern auch, weil Bundestagsabgeordnete sowie Mitarbeiter von Ministerien und Parteien das soziale Netzwerk ausgesprochen gerne nutzen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber etwa ist oft auf Facebook Live zu sehen; seine erste digitale Bürgersprechstunde sendete er aus Facebooks Konzernrepräsentanz in der Hauptstadt. Selbst Heiko Maas, verantwortlich für das Gesetz zur Facebook-Kontrolle, nutzt die Plattform fleißig zur Erhöhung seiner politischen Reichweite.

Das Unternehmen Facebook in Zahlen

Kein Wunder, dass der Konzern für alle politisch Handelnden in Berlin sogar einen 42 Seiten langen Leitfaden hat erstellen lassen, randvoll mit Tipps, wie Kampagnen auf Facebook am besten funktionieren. Auch Schulungen im Bundestag, in Parteizentralen oder Ministerien gehören zum Standardprogramm der Lobbyisten, um Facebook als Plattform des guten, demokratischen Internets zu positionieren.

Das Problem: Gerade weil diese Angebote so beliebt seien, überschätzt der Konzern seinen Einfluss, sagt Medienökonom Jörg Müller-Lietzkow von der Universität Paderborn: „Sie glauben, dass sie aufgrund der vielen Millionen Nutzer sehr mächtig sind. Aber davon lassen sich deutsche und europäische Politiker nicht so leicht beeindrucken.“

Andere amerikanische Techunternehmen wissen bereits, wie teuer sie der Hochmut zu stehen kommen kann. So verdonnerte die EU-Kommission Microsoft zu einer Strafe von mehr als einer halben Milliarde Euro, weil der Softwarekonzern Windows-Nutzern nicht die freie Browserwahl ermöglichte. Auch Google streitet sich mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die wegen des Verdachts des Marktmacht-Missbrauchs mehrere Verfahren gegen den Suchmaschinenkonzern einleitete.


Gelöscht wird zögerlich

Vestager hat sich auch schon mit Facebook angelegt. Kürzlich verhängte sie eine Geldbuße von 110 Millionen Euro gegen das Unternehmen, da es 2014 bei seiner Übernahme des Nachrichtendienstes WhatsApp falsche Angaben gemacht habe. Facebook hatte beteuert, dass der Konzern nicht in der Lage sei, Nutzerdaten bei Facebook und WhatsApp automatisch abzugleichen. Eine Lüge.


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