Streit über Vermögenssteuer Boris Palmer sieht grüne Wahlchancen schwinden

Mit ihrem Vermögenssteuer-Beschluss haben die Grünen massiv Kritik auf sich gezogen. Jetzt geht mit dem Tübinger Oberbürgermeister Palmer ein prominentes Parteimitglied auf Distanz – mit einer düsteren Prognose.

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Der Tübinger Oberbürgermeister sieht seinen grünen Landesverband in Baden-Württemberg „offenkundig“ auf einem anderen Weg als die Bundespartei. Quelle: dapd

Berlin Der Grünen-Politiker Boris Palmer hält die Entscheidung der Bundespartei, mit einer Superreichensteuer in den Wahlkampf zu ziehen, für einen folgenschweren Fehler. „Leider hat die Partei sich erneut entschieden, eine kleine, aber feine 10-Prozent-Partei sein zu wollen, die damit vermutlich weiter in der Opposition schmort“, schreibt der Tübinger Oberbürgermeister auf seiner Facebook-Seite.

Vor allem mit dem Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin, der neben Parteichefin Simone Peter und dem Fraktionschef Anton Hofreiter zu den großen Befürwortern der Vermögenssteuer zählt, geht Palmer hart ins Gericht. Er stößt sich daran, dass Trittin die angestrebte Belastung für Reiche damit begründet hatte, dass sie weniger Steuern zahlten als die Raucher. Durch die Vermögenssteuer würden nicht mal ein Prozent der Bevölkerung erfasst, so Trittin.

Palmer erklärte dazu: „Raucher zahlen weniger als Reiche. Stimmt schon mal bei den Zahlen nicht, ist aber auch ein abstruser Vergleich.“ Die Zigarettensteuer hätten die Grünen erhöht, um den Konsum einzudämmen, erinnerte Palmer. „Rauchen schadet der Gesundheit. Vermögensbildung ist nicht per se schädlich und muss auch nicht verhindert werden“, betonte der Grünen-Politiker.

Weil Palmer die Bundespartei auf dem falschen Weg in der Steuerfrage sieht, grenzt er den baden-württembergischen Landesverband davon ab. „Baden-Württemberg ist anders“, unterstrich er. Der Landesverband könne zu einem möglichen Wahlerfolg im Bund „erwiesenermaßen 30 Prozent zum Ergebnis beisteuern“.
Die Südwest-Grünen hatten bei der Landtagswahl im März 30,3 Prozent der Stimmen erzielt und stellen mit Winfried Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland. Kretschmann gilt ebenfalls als scharfer Kritiker einer Vermögenssteuer.


„Das verprellt die Hälfte der Leute“

Palmer hält es nun allerdings, nachdem der Parteitag beschlossen hat, eine Vermögensteuer einzuführen, für ausgeschlossen, dass die Grünen im Südwesten bei der anstehenden Bundestagswahl abermals einen so hohen Stimmenanteil einfahren können. Für problematisch hält er auch, dass die Delegierten mehrheitlich dafür gestimmt hätten, Sanktionen bei Hartz IV abzuschaffen und ab 2030 „das technologische Paradeprodukt der hiesigen Mittelständler, den Verbrennungsmotor, zu verbieten“.

„Jetzt kann man zu jedem dieser Beschlüsse stehen wie man will - ich halte alle drei für falsch“, machte Palmer deutlich. „Das verprellt die Hälfte der Leute, die uns in Baden-Württemberg wählen könnten bei der Bundestagswahl.“ Mit solch einem Programm könne man „nicht zur Wirtschaft gehen oder sich als Mittelstandskraft etablieren“. Baden-Württemberg gehe in dieser Hinsicht, schließt er seinen Facebook-Kommentar, „offenkundig einen anderen Weg als die Bundespartei“.

Der Steuer-Beschluss der rund 800 Parteitagsdelegierten ist allerdings nur vage formuliert. Es heißt dort nur, die Grünen wollten der sozialen Spaltung „mit einer verfassungsfesten, ergiebigen und umsetzbaren Vermögenssteuer für Superreiche entgegenwirken“. Dabei legten sie „besonderen Wert auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Innovationskraft von Unternehmen“. Die Erbschaftsteuer will die Partei nur reformieren, wenn die zuletzt erzielte Neuregelung für Firmenerben vor dem Bundesverfassungsgericht durchfällt.

Vorausgegangen war eine lange Debatte mit dem Realo-Flügel um Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Kretschmann. Er lehnt die Vermögensteuer vehement ab, weil sie in seinen Augen mittelständische Unternehmen gefährdet. Das Thema Steuern hatte die Grünen bei der Bundestagswahl 2013 viele Stimmen gekostet.

Führende Unionspolitiker und Vertreter der Wirtschaft hatten die Parteitagsbeschlüsse der Grünen scharf kritisiert. Ganz allgemein legte der Chefstratege des Finanzkonzerns Allianz, Mohamed El-Erian, den europäischen Staaten jedoch nahe, die Steuern für Reiche zu erhöhen, um dem Populismus den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Wenn ein Teil der Gesellschaft überdurchschnittlich stark vom Wachstum profitiert, ein anderer Teil aber nicht, dann ist die Reaktion Wut“, sagte er im Zusammenhang mit der US-Präsidentenwahl der „Welt am Sonntag“. „Ich fordere nicht, die Steuern für die Reichen zu senken - ganz im Gegenteil, wir sollten sie erhöhen.“

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