Streit um TTIP und Ceta Gewerkschaften helfen Gabriel nicht aus Bedrängnis

Im Streit um die Handelsabkommen TTIP und Ceta wenden sich die Gewerkschaften von Sigmar Gabriel ab und stellen sich auf die Seite der Gegner. Mobil macht vor allem Verdi und ruft seine Mitglieder zu Demonstrationen auf.

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Zu Demonstrationen in sieben Städten gegen TTIP und Ceta erwarten die Veranstalter am 17. September über 100.000 Teilnehmer. Quelle: dpa

Berlin Kaum zwei Jahre ist es her, dass Sigmar Gabriel den Eindruck eines Schulterschlusses mit den großen Gewerkschaften vermitteln konnte. Durch eine gemeinsame Erklärung mit DGB-Chef Reiner Hoffmann entstand im September 2014 der Eindruck, im Streit über Handelsabkommen wie TTIP und Ceta habe der Wirtschaftsminister die acht DGB-Einzelgewerkschaften mit ihren gut sechs Millionen Mitgliedern auf seiner Seite.

Davon ist wenig übrig: Wenn sich der SPD-Chef am 19. September auf einem Parteikonvent um ein Ja der Basis zum europäisch-kanadischen Handelsabkommen (Ceta) bemüht, stehen die meisten Gewerkschaften im Lager der Gegner.

Mobil macht allen voran die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Der Chef der mit gut zwei Millionen Mitgliedern zweitgrößten Gewerkschaft, Frank Bsirske, rief am Dienstag in einer Pressekonferenz des „Bündnisses gegen Ceta und TTIP“ zu Demonstrationen in sieben Städten auf. Dazu erwarten die Veranstalter am 17. September, also zwei Tage vor dem Kleinen Parteitag, über 100.000 Teilnehmer.

Der vermeintliche Schulterschluss mit den Gewerkschaften im Herbst 2014 erwies sich schon damals nach kurzer Zeit als Trugschluss. In einem gemeinsamen 14-Punkte-Katalog des Wirtschaftsministers Gabriel mit DGB-Chef Hoffmann hieß es im September 2014 zwar, Handelsgespräche „eröffnen die Chance, die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltiger zu gestalten“. Damit schienen die Gewerkschaften an der Seite des SPD-Chefs zu sein.

Doch nur kurz darauf lehnte Hoffmann in einem Brief an Kanzlerin Angela Merkel Anfang Dezember Ceta in der damaligen Fassung ab. Er forderte eine Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Kanada. Seine Kritik richtete sich vor allem gegen einen mangelnden Schutz von Arbeitnehmerrechten, zu großzügige Klagerechte von Investoren gegen Staaten und eine zu starke Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen.

Die gemeinsame Erklärung mit Hoffmann half Gabriel im September 2014, auf einem Parteikonvent Forderungen nach einem Stopp der TTIP-Verhandlungen abzuwehren. Obwohl das Thema als Tagesordnungspunkt gar nicht vorgesehen war, formulierte der Konvent allerdings rote Linien - nicht nur für TTIP, sondern gleichermaßen für das damals schon ausgehandelte Ceta-Abkommen.


Daseinsvorsorge als Streitpunkt

Die damals aufgestellten Bedingungen holen den SPD-Chef nun ein. Am 19. September tagt wiederum ein Parteikonvent, der bisher allein Ceta gewidmet ist. Der Kleine Parteitag in Wolfsburg soll darüber entscheiden, ob Ceta auf der Grundlage der damals formulierten roten Linien zustimmungsfähig ist. Die innerparteiliche Ablehnung ist groß - doch auf Unterstützung der Gewerkschaften kann Gabriel dieses Mal kaum zählen.

Allein von der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) bekommt Gabriel in seinem Werben um Unterstützung für Ceta klaren Rückhalt. Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis warf dem DGB und anderen Gewerkschaften im „Spiegel“ vor, sie seien in ihrer Ablehnung in einem „emotionalen Kampagnenmodus“ gefangen.

Bei der IG Metall heißt es, die endgültige Positionierung werde noch geprüft. Für die größte europäische Gewerkschaft habe die DGB-Stellungnahme vom April weiter Geltung. In dem einstimmig, also auch mit IG-BCE-Zustimmung gefassten Beschluss heißt es: „Insgesamt entspricht der Ceta-Text trotz Verbesserungen noch nicht den gewerkschaftlichen Anforderungen an ein zustimmungsfähiges Abkommen.“

Dass die IG BCE dennoch öffentlich für eine Zustimmung eintritt, wird in der Gewerkschaft damit begründet, dass das Abkommen unter dem Strich Vorteile für die exportorientierte deutsche Wirtschaft bringe. Zudem seien einige Forderungen der Gewerkschaften in den 2286 Seiten umfassenden Vertragstext eingeflossen. Nun gelte es, dafür Verantwortung zu übernehmen.

Verdi mit seinen vielen Mitgliedern im öffentlichen Dienst treibt vor allem die Sorge um, Ceta werde ein Einfallstor für private Wettbewerber. Einer der größten Kritikpunkte ist daher, dass in dem Abkommen eine Negativliste vorgesehen ist. Dies bedeutet: Die Vertragspartner verpflichten sich grundsätzlich zur Marktöffnung für alle Dienstleistungen – mit Ausnahme der in einer Liste aufgeführten Bereiche.

„Dieser Ansatz führt dazu, dass gewünschte Ausnahmen (...) in Hunderte Seiten langen, kaum zu durchschauenden Anhängen aufgelistet werden“, heißt es in der DGB-Stellungnahme. „Eine Überprüfung, ob wichtige, schützenswerte Bereiche vergessen wurden, ist schwer möglich.“


„Ein sozialdemokratischer Erfolg“

Diesen Kritikpunkt räumt auch der SPD-Europapolitiker Bernd Lange ein, dessen Gegenüberstellung der SPD-Anforderungen an Ceta mit den Inhalten des Vertrages an die Genossen verschickt wurde. Lange gesteht darin zu, dass im SPD-Konventsbeschluss vom September 2014 festgehalten sei, ein Positivkatalog sei besser.

Aber Lange wirbt dennoch um Zustimmung: Im parlamentarischen Beratungs- und Ratifizierungsprozess sei genau zu prüfen, wie die Negativliste im Detail ausgestaltet sei. Damit argumentiert der SPD-Politiker für den Wirtschaftsminister: Gabriel müsste von der Basis grünes Licht für eine Zustimmung zu Ceta im Rat der Handelsminister der EU-Staaten wenige Tage später bekommen, damit der Ratifizierungsprozess überhaupt anlaufen könnte.

In der SPD haben sich bereits Teile der Linken, die Landesverbände Bayern und Bremen wie auch die Jusos gegen Ceta positioniert. Ein Mitglied der Berliner SPD-Spitze sagte Reuters, es laufe alles auf eine Empfehlung des Landesverbandes zur Teilnahme an den Anti-Ceta-Protesten am 17. September und zur Ablehnung auf dem Parteikonvent am 19. September hinaus.

Gabriels Umfeld gibt sich überzeugt, dass der Parteichef auf dem Konvent keine Niederlage kassiert. Die Zuversicht dürfte auch darauf beruhen, dass der SPD-Chef bisher stets auf Unterstützung aus dem größten Landesverband Nordrhein-Westfalen zählen konnte. „Es gibt viele gute Gründe, zu Ceta Ja zu sagen“, sagte der Chef der NRW-SPD-Bundestagsabgeordneten, Achim Post, zu Reuters. „Vor allem ist es ein sozialdemokratischer Erfolg, dass die privaten Schiedsgerichte in Ceta abgeschafft werden.“

Zur bisher größten Demonstration gegen die Handelsabkommen im Oktober 2015 mit 150.000 bis 250.000 Teilnehmern in Berlin warb der Wirtschaftsminister in Zeitungsanzeigen für die TTIP-Verhandlungen. Fast 238.000 Euro kosteten die Inserate, wie sein Ministerium später auf Anfrage der Linken einräumte.

„Jeder Euro brachte einen Demonstranten“, spottete Linken-Vizefraktionschef Klaus Ernst. Darauf will Gabriels Ministerium dieses Mal verzichten. „Das Schalten von Anzeigen am oder um den 17.9. ist derzeit nicht vorgesehen“, sagte ein Sprecher.

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