WirtschaftsWoche: Herr Professor Meyer, Sie wollen Europa retten, indem Sie jedem Land der Euro-Zone das Recht geben, eine eigene Währung parallel zum Euro einzuführen. Können Sie uns die Idee hinter diesem Konzept erläutern?
Meyer: Der Euro ist ein Experiment, und wie bei jedem Experiment ist es wichtig, Fehlentwicklungen zu vermeiden oder zumindest zu korrigieren. Daher müssen wir den Ländern die Möglichkeit geben, aus dem Euro auszutreten oder eine eigene Währung parallel zum Euro einzuführen, wenn sich herausstellt, dass sie nicht reif sind für die Währungsunion.
Aber Parallelwährungen wären doch ein ebenso waghalsiges Experiment wie der Euro.
Meyer: Parallelwährungen sind ein Experiment, aber der Euro fungiert dabei als Sicherheitsnetz. Der Vorteil liegt in den korrigierenden Kräften des Wettbewerbs. Währungswettbewerb diszipliniert die Notenbanken, eine verantwortungsvollere Geldpolitik zu betreiben. Mit dem Euro haben wir in Europa eine Monopolwährung eingeführt, die dem auf Wettbewerb ausgerichteten Grundgedanken des europäischen Binnenmarktes widerspricht.
Herr Professor Langhammer, Sie haben die Währungspolitik vieler Länder untersucht. Führt der Wettbewerb zwischen Währungen zu besseren Ergebnissen?
Langhammer: Es lässt sich viel Positives über Währungswettbewerb sagen, wenn sich ein Land oder eine Gruppe von Ländern am Anfang der Suche nach einer geeigneten Währung befindet. In der aktuellen Situation wäre die Einführung von Parallelwährungen in Europa jedoch eine gefährliche Operation am offenen Herzen. Die Befürworter von Parallelwährungen unterstellen, dass der Euro zu einer inflationären und instabilen Währung wird, vor der man die Bürger durch alternative Währungen schützen muss. Dafür gibt es aber keine Belege. Die Inflationsraten in der Euro-Zone sind vergleichsweise niedrig.
Zu den Personen
Langhammer, 66, ist Ex-Vizechef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und Experte für Handels- und Währungsfragen.
Meyer, 55, ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Hamburg und Berater der Alternative für Deutschland
Meyer: Darum geht es doch gar nicht. Der entscheidende Punkt ist, dass Parallelwährungen weniger krisen- und manipulationsanfällig sind als eine Monopolwährung, die sich keinem Wettbewerb vor ihren Bürgern stellen muss. Parallelwährungen geben den Staaten die Möglichkeit, neben dem Euro eine eigene Währung einzuführen und eine eigenständige Geldpolitik zu betreiben, die stärker den Wünschen der Bürger entspricht. Die Deutschen könnten auf die D-Mark zurückgreifen, wenn ihnen die Inflation im Euro zu hoch wird. Und die Griechen könnten ihre eigene Währung abwerten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
Langhammer: Ich warne davor, das Heil für die Krisenländer in einer Währungsabwertung zu suchen. Nehmen Sie Griechenland. Falls Athen tatsächlich die Drachme parallel zum Euro einführt, würde diese kräftig abwerten. Das ließe die Importpreise und das Defizit in der Handelsbilanz sehr rasch in die Höhe schnellen. Die Regierung dürfte zudem auf den Inflationsschock mit Preiskontrollen, Handelsbeschränkungen und anderen Regulierungen reagieren. Am Ende brächte der Währungswettbewerb den Griechen statt mehr Freiheit mehr Regulierung. Ich halte es daher für sinnvoller, die Wettbewerbsfähigkeit durch interne Abwertung, also durch Lohnsenkungen und Lohnzurückhaltung, zu verbessern. Irland hat mit dieser Strategie Erfolg. Wir sollten uns daher darauf konzentrieren, die politischen Widerstände in den Krisenländern gegen die interne Abwertung zu überwinden.
Meyer: Zeitgewinn durch Parallelwährung
Meyer: Das Parallelwährungskonzept schließt interne Abwertungen nicht aus. Jedes Land soll selbst entscheiden, welchen Weg es gehen will oder kann. Gerade für Länder mit massiven Reformwiderständen bietet die externe Abwertung durch eine eigene Parallelwährung einen Zeitgewinn, der langfristigen Reformen den Weg ebnen kann.
Langhammer: Ich glaube, dass Sie und andere Befürworter von Parallelwährungen nicht die Sicht der Krisenländer vertreten, sondern die der Gläubiger, die Angst haben, dass sie die Zeche zahlen müssen. Nicht umsonst kommen die Vorschläge zu Parallelwährungen vor allem aus Deutschland, nicht aber aus Griechenland oder Portugal. Sie haben immer noch nicht verstanden, wie ein Binnenmarkt funktioniert. Das Defizit an Vertrauen, das zwischen den Ländern der Euro-Zone herrscht, kann man nur dadurch beseitigen, dass man die Integration vorantreibt. Parallelwährungen hingegen bewirken das Gegenteil. Sie führen zu Desintegration.
Meyer: Wer wie Sie auf mehr Integration setzt, verweigert sich der Erkenntnis, dass die Länder der Währungsunion nicht zusammenpassen. Es gehen tiefe Risse durch Europa. Der Streit zwischen Deutschland und Frankreich über die Rolle und die Politik der EZB belegt dies deutlich. Parallelwährungen können das zerrüttete Verhältnis zwischen den Ländern entspannen, weil jedes Land zu einer eigenständigen Geldpolitik zurückkehren kann.
Welche konkreten Folgen hätten Parallelwährungen denn für den Alltag der Bürger. Müssen wir mit zwei Portemonnaies herumlaufen?
Meyer: Sicherlich nicht. Es dürfte sich schnell eine Währung als Transaktionsmittel für Güterkäufe durchsetzen. In Deutschland könnte das die D-Mark sein, in Griechenland die Drachme. Es wäre sogar möglich, die nationale Währung nur als elektronisches Geld einzuführen. Dann würden alle Käufe weiter in Euro abgewickelt und die Beträge anschließend in D-Mark oder Drachme umgerechnet. In Deutschland etwa könnte die Preisauszeichnung in den Supermärkten auf D-Mark lauten. An der Kasse wird dann zum tagesaktuellen Kurs in Euro umgerechnet und in Euro gezahlt.
Langhammer: Dann erfüllt Ihre Parallelwährung aber nicht alle drei zentralen Funktionen von Geld, nämlich die des Zahlungsmittels, der Recheneinheit und der Wertaufbewahrung.
Meyer: Das muss sie auch nicht. Für Deutschland käme es darauf an, dass die Bürger D-Mark als Mittel zur Wertaufbewahrung halten können, um sich gegen Inflationsgefahren zu schützen. In Griechenland stünde die Zahlungsmittelfunktion im Vordergrund, weil es darum geht, durch die Abwertung billiger zu werden, die Standortattraktivität zu erhöhen und Investitionen anzukurbeln. Sparen könnten die Griechen weiter in Euro.
Langhammer: Mit einer Parallelwährung richten Sie in kleinen offenen Volkswirtschaften wie Griechenland, die auf den Import von Investitionsgütern angewiesen sind, um wieder auf die Beine zu kommen, großen Schaden an. Sie treiben einen Keil in die Wirtschaft. Unternehmen, die nicht über genügend Euro verfügen und mit Drachme zahlen müssen, werden Waren aus dem Ausland nur noch gegen Vorkasse beziehen. Das ist ein Nährboden für massive Verteilungskonflikte innerhalb der heimischen Wirtschaft.
Langhammer: Euro ist im Krisenmodus
Was passiert denn mit den auf Euro lautenden Altverträgen?
Meyer: Forderungen gegenüber Banken wie Sparkonten und Girokonten würden nach wie vor in Euro geführt. Dann gibt es keine Panik und keine Kapitalflucht. Dagegen sollten die Verbindlichkeiten der Unternehmen gegenüber Banken in Drachme umgestellt werden, weil die Betriebe ihre Umsatzerlöse ebenfalls in Drachme erzielen. Damit verlagert man das Problem zwar auf die Banken. Denn deren Forderungen verlieren durch die Abwertung der Drachme an Wert. Das Problem lässt sich aber lösen, indem man den Banken Ausgleichsforderungen gegen die nationale Zentralbank gewährt. Ähnlich ist man bei der Währungsreform 1948 und im Zuge der Deutschen Wiedervereinigung vorgegangen, als man den Banken Ausgleichsforderungen gegen die Deutsche Bundesbank gewährt hat.
Damit verlagern Sie das Problem aber auf die Bilanz der Zentralbank...
Langhammer: ...die es dann durch Inflation löst.
Meyer: Die Ausgleichsforderungen von 1948 in Höhe von 8,7 Milliarden D-Mark werden ab 2024 in zehn Jahresraten getilgt. Damit findet eine Streckung der Kosten über 85 Jahre statt, was diese Lösung für alle Beteiligten tragfähig macht. Verglichen mit den Kosten eines Auseinanderbrechens der Euro-Zone, sind die Kosten bei der Einführung von Parallelwährungen gering.
Langhammer: Das ist der entscheidende Unterschied zwischen uns. Sie betrachten den Euro als gescheitert, ich sehe ihn im Krisenmodus. Deshalb halte ich es unter den aktuellen Umständen für das Sinnvollste, das Euro-System unter Beibehaltung des Euro zu reformieren.
Wie soll diese Reform denn aussehen?
Langhammer: Entscheidend ist, dass wir eine Insolvenzordnung für Staaten und andere Gebietskörperschaften auf die Beine stellen. Die Gläubiger müssen auf einen Großteil ihrer Forderungen verzichten und die insolventen Staaten im Gegenzug harte Reformauflagen erfüllen. Die bisherige Strategie des Durchwurstelns wird nicht mehr lange funktionieren.
Ist die Einführung von Parallelwährungen in der Euro-Zone rechtlich überhaupt möglich?
Meyer: Juristisch sauber wäre es, den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu ändern, damit jeder Staat die Möglichkeit hat, aus dem Euro auszusteigen oder eine nationale Währung parallel zum Euro einzuführen. Alternativ könnte man im Einzelfall ein Land durch Zustimmung des EU-Rates aus der ausschließlichen Kompetenz der EU in Währungsfragen entlassen. Möglich wäre auch, dass ein Land autonom eine eigene Währung einführt. Dann könnten die anderen Länder dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Da es in der Regel bis zu drei Jahren dauert, bevor das Gericht Urteile fällt, wären bis dahin längst Fakten geschaffen.
Wer soll die Parallelwährung denn ausgeben und steuern?
Meyer: Dafür wäre die Zentralbank des jeweiligen Landes zuständig, in Deutschland also die Bundesbank. Sie würde die D-Mark ausgeben. Zugleich säße ihr Präsident als Mitglied im Rat der EZB und würde deren Geldpolitik mitbestimmen. Theoretisch könnte das zwar zu Interessenkonflikten führen, aber die Prioritäten der Bundesbank lägen eindeutig bei der Steuerung der nationalen Währung. Wenn Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wie derzeit im Rat der EZB in der Minderheit ist, könnte er sein Missfallen mit der Politik der EZB durch die Geldpolitik der Bundesbank zum Ausdruck bringen.
Meyer: Die EU droht kaputt zu gehen
Dann müssen die Bürger mit starken Wechselkursbewegungen leben.
Meyer: Die Auf- und Abwertungen sind als Korrekturmechanismen notwendig und gewollt. Deshalb plädiere ich für möglichst flexible Wechselkurse. Andere Befürworter von Parallelwährungen ziehen eine gelenkte Abwertung vor. Die Wechselkurse könnten dabei innerhalb großzügig bemessener Bandbreiten um einen festgelegten Leitkurs zum Euro schwanken. Gerät eine Währung wie die Drachme unter Abwertungsdruck, müsste die EZB sie allerdings durch Käufe stützen. Dann wäre die EZB gezwungen, die angekauften Drachmen in griechischen Staatsanleihen anzulegen. Um die Ausfallrisiken in der EZB-Bilanz in Schach zu halten, müsste man die Interventionen allerdings eng begrenzen oder einen Europäischen Währungsfonds gründen, der mit limitierten Mitteln am Devisenmarkt interveniert. Aber noch einmal: Ich bin kein Anhänger gelenkter Abwertungen. Ich ziehe frei schwankende Wechselkurse vor...
Langhammer: ...die extrem überschießen können. Die Drachme würde in den Keller gehen. Dann hat die griechische Regierung nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie greift durch Regulierungen in den Devisenmarkt ein. Oder sie nimmt hin, dass die Bürger den Euro der Drachme vorziehen und beendet das Experiment Parallelwährung.
Meyer: Sie betrachten nur die kurze Frist. Darüber hinaus habe ich Zweifel, dass der Euro gerettet werden kann. Um den Euro zu retten, haben die Regierungen hemmungslos gegen bestehende Verträge verstoßen und die Euro-Zone zu einer Transferunion umgemodelt, die falsche Anreize setzt und die Geberländer überfordert. Daran droht die gesamte EU kaputtzugehen. Fliegt der Euro auseinander, bricht das Chaos aus. Parallelwährungen können das verhindern. Denn sie setzen Selbsthilfe durch Abwertung an die Stelle von Fremdhilfe durch Transfers – und entschärfen so die Verteilungskonflikte.
Langhammer: Ich teile ja durchaus Ihre Befürchtungen, dass wir immer tiefer in eine Transferunion rutschen und die Euro-Länder realwirtschaftlich auseinanderdriften. Aber mit Parallelwährungen können Sie das nicht lösen. Dazu müssen Sie die realwirtschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen in den Ländern ändern.
Meyer: Gerade an dieser Durchsetzung hapert es doch. Nach meinem Konzept kann jedes Land eine eigene Parallelwährung einführen. Doch nur die Länder, die auch die Stabilitätskriterien und die Reformauflagen erfüllen, dürfen Mitglied im Rat der EZB bleiben und über die Geldpolitik der Euro-Zone mitbestimmen. Ein Land wie Griechenland, das permanent gegen die Reformauflagen verstößt, müsste den Rat der EZB verlassen und hätte keinen Einfluss mehr auf die europäische Geldpolitik. Weil die Rettungsschirme nur für Mitglieder der Euro-Zone konzipiert sind, könnte Athen keine Gelder mehr daraus beanspruchen.
Wäre es nicht sinnvoll, den Währungswettbewerb möglichst weit zu fassen und neben den staatlichen Notenbanken auch private Emittenten als Anbieter von Geld zuzulassen?
Meyer: Grundsätzlich ist das eine gute Idee. Die staatlichen Notenbanken in Europa, Asien und den USA bilden ein Kartell der Geldflutung zulasten ihrer Bürger. Daher wäre die Öffnung des Marktes für private Anbieter von Währungen ein nachdenkenswertes Experiment. Ich fürchte nur, dass dieser Ansatz derzeit zum Scheitern verurteilt ist. Zum einen dürfte das Konzept eines freien Marktgeldes die Bürger überfordern. Zum anderen hat die politische Klasse kein Interesse daran, das Staatsgeld aufzugeben.
Langhammer: Wir sollten uns fragen, ob eine Zersplitterung der Währungslandschaft, wie sie mit freiem Marktgeld verbunden ist, sinnvoll ist. Ich halte das für keinen geeigneten Weg zu einem stabileren System. Man schafft nur zusätzliche Probleme im Austausch zwischen den Währungen.
Langhammer: Parallelwährungen haben keine Chance
Warum? Es dürfte sich schnell Gold oder ein anderes Edelmetall als Währung durchsetzen.
Langhammer: Es mag sein, dass die Menschen Gold bei kleiner Stückelung auch als Zahlungsmittel nutzen. Aber das würde die Wachstumschancen der Wirtschaft erheblich einschränken. Allein schon um den Zugang zu Gold oder andern Edelmetallen zu erhalten, fallen enorme Kosten an. Und ob wir dauerhaft einen jährlichen Zuwachs an Edelmetallen von fünf bis sechs Prozent gewährleisten können, um das Wachstum der globalen Güterproduktion zu finanzieren, bezweifele ich.
Meyer: Wenn Sie Angst haben, das Gold könnte Ihnen ausgehen, dann nehmen Sie doch einen Rohstoffkorb und binden die Währung daran.
Langhammer: Schauen Sie sich mal um, in welchen Ländern die wichtigsten Rohstoffe liegen. Da wissen Sie doch heute nicht, ob Sie morgen noch Zugang zu den Rohstoffen haben. Mit einer rohstoffgedeckten Währung handeln wir uns nur einen Berg neuer Probleme ein.
Im 19. Jahrhundert haben die Menschen in Amerika mit Gold gezahlt, und die Preise fielen auf breiter Front. Trotzdem ist die Wirtschaft kräftig gewachsen.
Langhammer: Damals gab es die erste Globalisierungswelle. Aber die Welt war viel kleiner als heute. Es gab keine Schwellenländer, die Gläubiger- und Schuldnerverhältnisse spielten sich im Prinzip zwischen Industrieländern ab. Daher kann man aus dem damaligen Währungsregime nur begrenzt Rückschlüsse für heute ziehen.
Welche Chance geben Sie der Idee der Parallelwährungen in der politischen Praxis?
Langhammer: Ich sehe keine Chance auf eine Realisierung. Es gibt derzeit keine politische Mehrheit dafür.
Meyer: Wenn sich die Lage in Griechenland zuspitzt oder ein großes Land wie Italien Probleme bekommt, halte ich den Einsatz von Parallelwährungen für möglich. Die Politiker werden nicht zusehen, wie die Euro-Zone auseinanderbricht. Daher könnten sie Parallelwährungen einführen, weil sie ihnen helfen, das Gesicht zu wahren. Denn den Euro gibt es dann ja immer noch.