Streitgespräch über soziale Gerechtigkeit Nehmt’s den Reichsten!

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Die Pflicht für das Gemeinswesen

Sahra Wagenknecht im Streitgespräch mit Klaus Schroeder Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Wie wäre es denn mit einer staatlichen Kita-Pflicht?

Schroeder: Bitte nicht!

Wagenknecht: Zumindest für das Vorschuljahr: ja!

Schroeder: Zwang verträgt sich nicht mit einer freiheitlichen Gesellschaft.

Wagenknecht: Schulzwang gibt es auch.

Schroeder: Arbeitszwang nicht! Aber das Wichtigste ist, dass man das Selbstverantwortungsgefühl in die Familien trägt. Die meisten Mittelstandsfamilien bemühen sich sehr intensiv um Anregungen für ihren Nachwuchs. Diese Einstellung hat wenig mit Geld und viel mit Bildungshunger und Aufstiegswillen zu tun. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass die Ausstattung einer Schule in Berlin-Neukölln schlechter ist als die einer in Zehlendorf.

Konsens also bei Chancengerechtigkeit. Bleibt nur noch die Frage, Frau Wagenknecht, warum Sie schon an das Geld von Leistungsträgern wollen, um Staat für die Schwachen zu machen?

Wagenknecht: Wer sind die Leistungsträger? Für mich leistet eine Altenpflegerin oder eine Krankenschwester trotz schlechter Löhne weit mehr als ein Millionärserbe oder ein Investmentbanker. Auch jemand, der 7000 oder 8000 Euro im Monat verdient, ist nicht reich, er gehört zur Mittelklasse. Unsere Vermögensteuer soll erst ab einer Million Euro greifen, darunter nicht. Klar kann jemand mit 10.000 oder 15.000 Euro Monatsgehalt eine Mehrbelastung schultern. Aber richtig Geld wollen wir woanders holen. Wer so tut, als wolle die Linke der Mittelschicht die Taschen lehren, liegt falsch. Dazu braucht es auch die Linke nicht, das machen schon die anderen.

Wie gerecht ist Deutschland?

Schroeder: Das hätte ich nun nicht erwartet… Aber Sie wissen ja selbst, was im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung als reich deklariert wird: 3250 Euro Nettoeinkommen. Es ist absurd, das als reich zu bezeichnen. Reichensteuer aufgrund von 250.000 Euro Jahreseinkommen zahlen 0,2 Prozent der Haushalte. Das sind also nicht viele. Wichtig ist, dass die illegalen Fluchtstrategien unterbunden werden. Sonst sind alle Pläne, auch für punktuelle Mehrbelastungen, null und nichtig.

Wagenknecht: Dem stimme ich zu. Die USA machen es vor: Finanzinstitute werden verpflichtet, Kontobewegungen ins Ausland zu melden. Ich finde, niemand darf sich seiner Pflicht für das Gemeinwesen entziehen.

Schroeder: Von den USA lernen heißt siegen lernen. Das ist gut. Können wir uns darauf einigen?

Wagenknecht: Da wäre ich vorsichtig. Ich lebte schon einmal in einem Staat, der von einem anderen siegen lernen wollte. Wir wissen heute, was daraus geworden ist.

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