Studie zur Energiewende Strom aus Erneuerbaren kannibalisiert sich selbst

Der März-Orkan „Niklas“ bescherte Deutschland einen neuen Ökostromrekord. Was sich auf den ersten Blick als großes Plus für die Energiewende erweist, birgt ein großes finanzielles Risiko für Erzeuger und Verbraucher.

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Am 30.03.2015 wurde in Deutschland ein neuer Ökostromrekord erzielt – der Grund: der Orkan Niklas und eine parallel hohe Solareinspeisung. Quelle: dpa

Berlin Zur größten Hürde für die Energiewende könnte nicht der schleppende Netzausbau werden, sondern der zunehmende Wertverlust von Strom aus erneuerbaren Energien. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). In der Untersuchung mit dem Titel „The Economics of Wind and Solar Variability“, die dem Handelsblatt vorliegt, wird ein Wertverfall an der Strombörse von 25 Prozent prognostiziert, falls der Anteil von Windstrom im Netz von derzeit neun Prozent auf 30 Prozent steigt.

Bei Solarenergie fällt demnach der Verfall sogar noch stärker aus: Selbst bei einem Marktanteil von nur 15 Prozent sei hier ist ein Wertverlust von 50 Prozent zu erwarten. Sinke jedoch der Wert des Stroms, steigt die von den Verbrauchern gezahlte Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG).

Der Preisverfall sei schon jetzt an den Strombörsen Europas zu beobachten, warnt der Studienautor Lion Hirth. „Setzt sich diese Selbstkannibalisierung der Erneuerbaren in gleichem Maße fort, werden Windturbinen und Solarzellen wohl noch lange nicht wettbewerbsfähig sein“, sagte der Wissenschaftler dem Handelsblatt. Der Marktwertverlust von Wind- und Solarstrom hätte demnach zur Folge, dass diese Technologien länger gefördert werden müssen, als viele hoffen. Dies wirke sich laut Hirth auf die langfristige Förderstruktur des EEG und die Höhe der EEG-Umlage aus. „Es sind die Stromverbraucher, die den Wertverlust in Form der EEG-Umlage mitzahlen werden müssen.“

Den Prognosen für den Wertverlust des Wind- und Solarstroms liegt ein von Hirth erstelltes Modell des europäischen Strommarktsystems zugrunde. Darin wird eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt, wie etwa die Zusammensetzung des konventionellen Kraftwerksparks, die Existenz von Stromspeichern, der großflächige Netzausbau oder die Import- und Exportmöglichkeiten in Nachbarländer.

Speisen die Erneuerbaren zu einer bestimmten Stunde Strom ein, sinkt die Netto-Nachfrage und damit der Preis. Je größer die Einspeisung, desto stärker der Preisverfall.  Der Grund ist, dass die Erzeugung etwa von Sonnenenergie auf weniger Stunden im Jahr konzentriert ist. In diesen Stunden ist der Preisverfall dann besonders stark zu spüren.


Rezepte gegen den Preisverfall

Dieser Effekt ist laut Hirth schon heute zu sehen. Vor wenigen Jahren sei der Strompreis in den Mittagsstunden besonders hoch gewesen, heute sei der Preis oft gerade zu dieser Tageszeit sehr niedrig, weil mittags viel Solarstrom erzeugt wird. Bei besonders hoher Wind- oder Solareinspeisung fällt demnach der Börsenpreis regelmäßig auf null. Erneuerbarer Strom ist dann nichts wert.

Noch drastischer fielen die Zahlen nach dem Sturm „Niklas“ aus, der im März über Deutschland fegte. Durch den starken Wind und einer parallel hohen Solareinspeisung wurde ein Ökostromrekord erzielt – mit der Folge, dass der Preis an der Strombörse zweitweise in den negativen Bereich rutschte. Nach Auswertung aller Daten des Sturmtags (30.03.2015) ermittelte das Institut Agora Energiewende für 14.15 Uhr eine Wind- und Solareinspeisung von rund 44.000 Megawatt, was der Leistung von 31 Atomkraftwerken entspricht.

Wertverluste an der Strombörse können laut der Studie zwar nicht vollständig aufgehalten werden. Allerdings gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Preisverfall abzumildern: mehr Speicher, mehr Netze, flexiblere konventionelle Kraftwerke und verbesserte Windturbinen. „Insbesondere die Flexibilisierung von fossilen Kraftwerken und die Verwendung von Windturbinen mit größeren Rotoren erscheinen vielversprechend“, meint der Wissenschaftler Hirth.

Beide Optionen würden den Marktwert von erneuerbaren Energien „signifikant“ anheben, seien heute technisch verfügbar und verursachten nur moderate Kosten. „Die Politik sollte durch ein geeignetes Design des Strommarktes die ökonomischen Anreize setzen, diese Optionen weiterzuentwickeln und anzuwenden.“

Dessen ungeachtet stellt orkanartiges Wetter wie im März ein unkalkulierbares Risiko dar und kann zu ungewöhnlich starken Eingriffen der Netzbetreiber führen.

Wie die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland – Tennet,50Hertz, Amprion und TransnetBW – mitgeteilten hatte wurde durch den März-Orkan ein „unterer bis mittlerer zweistelliger Millionenbetrag“ an Kosten verursacht. Diese Kosten werden bundesweit auf die Strompreise umgelegt.

Den Angaben zufolge wurden insgesamt 20.300 Megawatt an Netzreserven (6700 MW) und zusätzlichen Kraftwerkskapazitäten (13 600MW) zur Stabilisierung der Stromversorgung in Süddeutschlandeingesetzt. Zudem seien Hunderte Windräder mit 2300 Megawatt Leistung zwangsweise abgeschaltet worden.

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