Es gibt in der Politik eine Menge Wahrheiten, die lieber verschwiegen werden. Weil sie als unpopulär gelten, weil sie die Wähler verärgern könnten, weil sich Illusionen einfach besser verkaufen als steinige Realität. Nirgendwo gibt es mehr von diesen ungeliebten Wahrheiten als in der Rentenpolitik.
Die gesetzliche Altersvorsorge ist ein deutsches Sozial-Heiligtum, eine Bismarcksche Großtat, sie ist „sischer“ (Norbert Blüm) und soll bitte auch immer so bleiben: verlässlich, auskömmlich, stabil. Umso emotionaler fallen die politischen Debatten um die Rente aus, um Reformen und Prognosen. Wenn die Politiker ernst machen, mit dem was sie in den vergangenen Monaten versprochen haben, denn wird der kommende Bundestagswahlkampf einer um die Rente – so wie schon 2013.
Die Rentenversprechen - Was die Parteien vorhaben
CSU-Chef Horst Seehofer hatte die jüngste Rentendebatte angestoßen mit der Äußerung, dass die Riester-Rente gescheitert sei und die Kürzung des Rentenniveaus die Hälfte der Bevölkerung in die Sozialhilfe führen würde. Doch ist das nicht Unionslinie. Der Unionsmittelstand fordert sogar eine Stärkung der Riester-Rente. Nach allem, was man hört, könnte die Union im Wahlkampf für ein behutsames Nachsteuern beim Rentenniveau eintreten. Das Verhältnis von Einkommen zur Rente soll wohl doch nicht auf 43 Prozent sinken können, so wie derzeit bis 2030 erlaubt. Die Union will wohl auch die Eigenvorsorge stärken. Diskutiert wird, den Bürgern ein Einheitsprodukt anzubieten.
SPD-Chef Sigmar Gabriel will verhindern, dass die Renten sich zu stark vom Einkommen abkoppeln. Menschen mit kleinem Lohn dürften im Alter nicht reihenweise auf Sozialhilfe angewiesen sein. Im Wert der Rente spiegelt sich für Gabriel auch der Wert der Arbeit. Doch die Reformagenda 2010, die auch die Rente bezahlbar halten sollte, dürfte die SPD nicht komplett zurückdrehen. Die öffentlich geförderte private Zusatzvorsorge abschaffen will die SPD auch nicht. Man will sich aber mehr um das Wohl älterer Arbeitnehmer kümmern.
Um Renten armutsfest zu gestalten, soll nach dem Willen der Partei das Rentenniveau von heute 48 Prozent wieder auf das Niveau vor den Rentenreformen der vergangenen Jahre steigen - auf 53 Prozent. Niemand dürfe nach 40 Beitragsjahren mit einer Rente über Grundsicherung abgespeist werden.
Auch die Grünen wollen, dass die Rente vor Altersarmut schützt. Sie sprechen von einem Rentenniveau von nicht unter 46 Prozent. Geringe Rentenanwartschaften sollen mit einer steuerfinanzierten Garantierente aufgewertet werden. Die rund 2,3 Millionen Selbstständigen ohne obligatorische Alterssicherung sollen verpflichtend in der Rentenversicherung aufgenommen werden.
Die Liberalen wollen flexiblere Renteneintritte möglich machen und Hinzuverdienstgrenzen neben dem Rentenbezug aufheben. Sie treten dafür ein, bei der Grundsicherung im Alter einen Freibetrag für Einkommen aus privater und betrieblicher Altersvorsorge nicht anzurechnen. FDP-Chef Christian Lindner schlug die Zusammenlegung der Grundsicherung im Alter mit der Rente vor.
AfD-Parteichef Jörg Meuthen hatte eine Rente nach Schweizer Modell vorgeschlagen - dort gibt es drei Säulen: die gesetzliche Rentenversicherung, eine kapitalgedeckte Arbeitnehmerversicherung und geförderte Anlagen in private Rentenversicherungen.
Noch gibt es eine kleine Hoffnung, dass es nicht wieder milliardenteure Wünsch-Dir-was-Kampagnen werden, die die Fakten ausblenden. Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass in den Jahren zwischen 2025 und 2035 die geburtenreichsten Babyboomer-Jahrgänge in den Ruhestand gehen werden – und aus Leistungsträgern binnen weniger Jahre eine ganze Generation von Leistungsempfänger wird. Das belastet die Rentenkasse ohnehin schon schwer. Oder nehmen wir den Glücksfall, dass die Deutschen immer älter werden: In den Siebzigerjahren hatte ein Mann beim Renteneintritt im Schnitt noch weitere rund 12 Jahre zu leben, heute sind es fast 18. Das heißt nur eben auch: längerer Rentenbezug, der erstmal finanziert werden muss.
Das Forschungsinstitut Prognos arbeitet nun in einer aktuellen Studie heraus, was deshalb das Kernstück jeder verantwortlichen Rentenreform sein müsste: eine längere Lebensarbeitszeit. Die Analyse mehrerer Szenarien zeigt deutlich, wie stark das deutsche Umlagesystem (Arbeitnehmer finanzieren mit ihren Beiträgen die Rentner) davon profitiert, wenn nicht die Rente mit 63 das Maß aller Dinge ist – sondern eher der Ruhestand mit 67. Vor allem blicken die Forscher für ihre Argumentation bis ins Jahr 2040, also immerhin zehn Jahre weiter als der gegenwärtige Rentenbericht der Bundesregierung.
Rentenprognosen für 2040
Die vorliegenden Berechnungen stammen aus der Studie "Rentenperspektiven 2040" von Prognos. Die Prognosen beziehen sich jeweils auf zwei Kreise im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. Berechnet wurden jeweils die durchschnittliche Bruttorente für sechs typisierte Erwerbsbiografien. Erwerbslücken aufgrund von Kindererziehungszeiten weisen in diesem Beispiel zwei Erwerbsbiografien auf. Gerechnet wurden die Prognosewerte ohne Inflationsanpassung, das heißt nach dem Preisniveau in Euro aus dem Jahr 2015 um die Zahlen mit heutigen Werten vergleichbar zu machen. Nominal dürften die zukünftigen Renten und Einkommenshöhen 2040 entsprechend höher liegen. Der Kaufkraftvergleich steht im Zentrum der Betrachtung.
Stand: 12.11.2015
Bruttorente (€) | Bruttorentenniveau |
1678 | 38,90 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hamburg | 2726 | 2383 | 33,5 % |
Schwerin | 2291 | 2343 | 33,6 % |
Bund | 2597 | 34,0 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Halle | 2045 | 2158 | 35,8 % |
Saalekreis | 2191 | 2463 | 34,4 % |
Bund | 2324 | 36,9 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Berlin | 1451 | 1369 | 35,3 % |
München | 1452 | 1113 | 34,4 % |
Bund | 1456 | 35,4 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hildesheim LK | 1083 | 1174 | 52,0 % |
Konstanz LK | 1086 | 1026 | 50,9 % |
Bund | 1095 | 50,8 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Hohenlohekreis | 2579 | 2658 | 34,1 % |
Merzig-Wadern | 2391 | 2439 | 35,5 % |
Bund | 2366 | 33,6 % |
Kreise/Bund | Bruttorente (€) | Rentenkaufkraft (€) | Bruttorentenniveau |
Bonn | 1611 | 1506 | 42,1 % |
Köln | 1620 | 1473 | 41,8 % |
Bund | 1612 | 39,7 % |
„Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit im Sinn einer Verschiebung des tatsächlichen Renteneintrittsalters bringt spürbare Vorteile“, heißt es in der Studie. Warum das so ist, zeigen die Ergebnisse im Detail:
1. Würde die Politik von heute ohne Reformen fortgeschrieben (Renteneintritt mit etwa 65), wäre 2040 ein Beitragssatz von 23,7 Prozent vom Gehalt zu erwarten – satte fünf Prozentpunkte mehr als heute. Stiege das Renteneintrittsalter wirklich auf 67 Jahre, käme man mit immerhin 23,4 Prozent aus.
2. Das Nettorentenniveau beim Status quo betrüge 2040 noch 41,7 Prozent. Beim Rente-mit-67-Szenario wäre es mehr: 42,1 Prozent.
3. Eine konsequente Umsetzung der Rente mit 67 würde die durchschnittliche Jahresrente 2040 also um rund 200 Euro höher ausfallen lassen. Auch die Zahl der Arbeitskräfte wäre höher.
Noch deutlich günstiger für Beitragssatz, Rentenniveau und -höhe wäre es, würde ein Vorschlag des Demografie-Experten Axel Börsch-Supan umgesetzt. Hier steigt nach 2030 das Renteneintrittsalter automatisch mit der steigenden Lebenserwartung über 67 hinaus. Die Belastung für Arbeitnehmer würde dann wieder noch ein Stück geringer ausfallen, die Leistungsfähigkeit des Systems würde weiter steigen, die Auszahlungen ebenso.
Es sei, schreiben die Prognos-Forscher, „aller Mühen wert, die Voraussetzungen für ein längeres Erwerbsleben zu schaffen“. Populär ist das nicht, aber kluge, verantwortungsvolle Politik wäre es dennoch, genau dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Statt über Wahlgeschenke sollte sich die Wahlkämpfer in Berlin also darüber einmal Gedanken machen.