Studium Ein Plädoyer gegen den Akademisierungswahn

Die steigende Zahl von Studiengängen führt nicht zu besseren Jobchancen. Das liegt nicht nur, aber auch an zu exotischen Fächern. Nötig ist ein stärker nachfrageorientiertes System der beruflichen Bildung.

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Diese Ausbildungen versprechen das höchste Gehalt
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Kennen Sie Jacob Mincer? Der Mann gilt als Begründer der Arbeitsmarktökonomie und war einer der ersten Ökonomen, die die starke Bedeutung von Bildung für den individuellen Erfolg auf dem Arbeitsmarkt empirisch belegen konnten.

Das liegt sechs Jahrzehnte zurück, doch die sogenannten Mincer-Gleichungen gehören heute zum Standardrepertoire jeder Einführung in die Arbeitsmarktökonomie. Sie besagen, dass das Lebenseinkommen umso höher ausfällt, je mehr Zeit jemand am Beginn der Erwerbskarriere in Bildung investiert.

Obwohl in dem zugrunde liegenden Modell kein Unterschied zwischen akademischer Bildung und anderen Formen der beruflichen Bildung gemacht wird, hat sich in der Bildungspolitik die Vorstellung durchgesetzt, dass es vor allem auf akademische Bildung ankomme. Nicht zuletzt angetrieben von der OECD, haben viele Länder seit den Neunzigerjahren erhebliche Anstrengungen unternommen, ihre Akademikerquote zu erhöhen.

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Im OECD-Durchschnitt erwerben heute mehr als 40 Prozent eines Altersjahrgangs einen akademischen Abschluss. In Deutschland sind es noch deutlich weniger, die Abschlussquote lag vor 20 Jahren bei 20 Prozent, heute sind es 28 Prozent. Doch die Zahl der Hochschulen hat sich in den vergangenen 20 Jahren um ein Drittel erhöht. In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Studiengänge fast verdoppelt. Es gibt aktuell rund 18.000 Studienmöglichkeiten an deutschen Hochschulen, davon jeweils gut 8000 Bachelor- und Masterstudiengänge.

Bachelor-Abschluss: Diese Baustellen sollen behoben werden

Ein Blick auf die Liste der Studiengänge gibt allerdings zu denken. Darin finden sich illustre Bachelorabschlüsse in Alternativem Tourismus, Angewandten Kindheitswissenschaften oder Baustellenmanagement. Es darf bezweifelt werden, dass eine derartige Horizontverengung den Einstieg ins Berufsleben erleichtert.

Leidtragende dieser Entwicklung sind nicht nur junge Menschen, die orientierungslose Schleifen drehen, sondern auch das traditionelle duale Ausbildungssystem. Als seien die rückläufigen Jahrgangsstärken nicht Herausforderung genug, finden Ausbildungsbetriebe auch deshalb immer weniger geeignete Bewerber, weil sich ein wachsender Anteil junger Menschen von einer akademischen Ausbildung bessere Einkommensaussichten verspricht als von der dualen Ausbildung.

Arbeitslosigkeit nach Abschluss exotischer Studiengänge

Befürworter der Akademisierung übersehen, dass die Expansion und zunehmende Spezialisierung der akademischen Ausbildung weitgehend angebotsgetrieben sind. Die duale Ausbildung ist dagegen nachfragegetrieben. Dieser Unterschied zieht erhebliche Konsequenzen nach sich.

Insbesondere im Bereich der Industriefacharbeiter sind Ausbildungsplätze für die Betriebe eine kostenträchtige Investition. Die Firmen werden also nur aktiv, wenn sich diese Investition langfristig für sie auszahlt. Folglich geht von der Bereitstellung eines Ausbildungsplatzes ein verlässliches Marktsignal aus. Das duale Ausbildungssystem produziert relativ passgenau den im Markt benötigten Qualifikationsbedarf und reduziert für Firmen relativ zuverlässig die Einstellungsrisiken von Bewerbern am Beginn ihres Erwerbslebens.

Das ist von enormer Bedeutung für einen hoch regulierten Arbeitsmarkt wie in Deutschland. Ohne dieses Instrument hätten wir in Deutschland wahrscheinlich mit einer ähnlich hohen Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen wie Länder mit vergleichbarer Regulierungsdichte.

In einem akademisierten Bildungssystem fehlen Marktsignale weitgehend. Für die Zertifizierung eines neuen Studiengangs wird lediglich geschaut, ob das Curriculum mit den Ausbildungszielen in Einklang steht. Ob es für den Abschluss eine Nachfrage am Arbeitsmarkt gibt, ist für den Zertifizierungsprozess unerheblich. Deswegen entsteht seit Einführung des Bologna-Prozesses ein exotischer Bachelorstudiengang nach dem anderen – an deren Ende nicht selten die Arbeitslosigkeit steht.

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Nötig sind Lösungen, die das angebotsgetriebene System in ein nachfragegetriebenes verwandeln.

Mein Vorschlag: Es müsste nach Hochschule und Studiengang offen zugänglich gemacht werden, was aus den Absolventen später geworden ist. Auf diese Weise entsteht Markttransparenz: Studieninteressenten könnten die Ergebnisse bei ihrer Ausbildungsentscheidung berücksichtigen. Dadurch würde ein Marktkorrektiv geschaffen, das einen heilsamen Qualitätswettbewerb der Hochschulen in Gang setzt und junge Menschen vor Fehlentscheidungen bewahren kann.

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