Während die Nachrichten über Abgasschwindeleien in der Autobranche nicht abreißen, hat es den Anschein, als würden sich nun die kommunalen Politiker einiger Städte bewegen. Über Dieselfahrverbote gesprochen haben grundsätzlich schon viele – sie wirklich auf den Weg gebracht oder zumindest konkrete Pläne angekündigt bislang nur wenige.
Vorreiter ist Stuttgart. Und das zu Recht: Im Ranking des Umweltbundesamtes, welches die Städte Deutschlands benennt, die den festgelegten Stickstoffdioxid-Grenzwert überschreiten, landet die baden-württembergische Hauptstadt auf dem ersten Platz. 82 Mikrogram pro Kubikmeter im Jahresmittelwert maß das Umweltbundesamt im vergangenen Jahr – der liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel.
Ab 2018 soll es in Stuttgart für Dieselautos Fahrverbote geben – allerdings primär wegen einer überhöhten Feinstaubbelastung. In Stein gemeißelt sei das ganze allerdings noch nicht, ließ der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, wissen. Können die Dieselmotoren angemessen nachgerüstet werden, sei ein solches Verbot schließlich nicht notwendig.
Münchens Oberbürgermeister bringt Diesel-Fahrverbot ins Gespräch
Ganz konkret wegen zu hoher Abgas-Messungen zeigte sich nun in dieser Woche Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in einem Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“: "So sehr ich mich freuen würde, wenn es ohne solche Verbote ginge, so wenig sehe ich, wie wir künftig weiter ohne Sperrungen auskommen werden", zitiert ihn die Zeitung. Auf vielen Straßen in der bayerischen Landeshauptstadt hätten die Abgas-Messungen erschreckende Ergebnisse gezeigt.
Die deutschen Städte mit der höchsten Stickoxid-Belastung
An mehr als jeder zweiten Messstation an stark befahrenen Straßen wurde 2016 der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel überschritten. Die Städte mit den höchsten Werten laut Umweltbundesamt (UBA).
Düsseldorf (Corneliusstraße): 58 Mikrogramm pro Kubikmeter
Hamburg (Habichtstraße): 62 Mikrogramm pro Kubikmeter
Köln (Clevischer Ring): 63 Mikrogramm pro Kubikmeter
Kiel (Theodor-Heuss-Ring): 65 Mikrogramm pro Kubikmeter
Reutlingen (Lederstraße Ost): 66 Mikrogramm pro Kubikmeter
München (Landshuter Allee): 80 Mikrogramm pro Kubikmeter
Stuttgart (Am Neckartor):82 Mikrogramm pro Kubikmeter
Nach Stuttgart wird nun auch dieses Ansinnen von der Umweltschutzorganisation Greenpeace bejubelt: „Endlich ist einem Bürgermeister die Gesundheit der Menschen wichtiger als freie Fahrt für schmutzige Diesel“, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup am Mittwoch. „Immer mehr Städte werden einsehen, dass der andauernde Abgasbetrug der Hersteller Fahrverbote unumgänglich macht.“
Schließlich haben eine ganze Reihe Städte ähnlich wie Stuttgart und München Probleme mit deutlich zu hohen Grenzwerten. Das Ranking des Umweltbundesamtes (UBA) listet deutlich mehr Städte auf, die den Stickstoffdioxid-Grenzwert überschreiten. Auch diese geraten nun mehr und mehr unter Zugzwang, etwas gegen die Luftverschmutzung zu tun.
So wird etwa auch in Städten wie Reutlingen, Kiel, Köln, Hamburg und Düsseldorf die Frage auf den Plan gerufen, ob Dieselfahrverbote nicht sinnvoll wären. In diesen Städten zeigt man sich bislang allerdings zurückhaltend, wie eine Recherche von WirtschaftsWoche Online ergab.
Reutlingen zieht Blaue Plakette in Betracht
In Reutlingen (mit 66 Mikrogramm pro Kubikmeter Platz 3 im Stickoxid-Ranking hinter München) wurde gerade Anfang Juni die Aktualisierung des Luftreinhaltungsplans diskutiert – ohne klaren Beschluss. Grundsätzliche Dieselfahrverbote scheinen öffentlich derzeit kein Thema zu sein. Dafür wird die Einführung einer Blauen Umweltzone diskutiert.
Die Blaue Plakette und die damit verbundene Blaue Umweltzone sind eine Forderung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und weiterer Umweltverbände. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks befürwortet das Konzept der Blauen Plakette, hat der Initiative die Unterstützung des Bundes bislang aber verwehrt. Die Blaue Plakette soll ein Teilschritt zum Dieselfahrverbot sein, da sie nur für Fahrzeuge mit besonders niedrigem Stickstoffdioxid- Ausstoß erhältlich ist. Das heißt, nur noch für Diesel-Fahrzeuge, die der Abgasnorm Euro 6 entsprechen sowie Benzin-Fahrzeuge mit der Norm Euro 3. „Sie gibt den Kommunen die Möglichkeit, Maßnahmen gegen die vielerorts auftretenden Stickstoffdioxid-Überschreitungen umzusetzen“, so die DUH.
Die Stadt Reutlingen habe bezüglich der Wirkung einer Blauen Umweltzone „noch weiteren Klärungsbedarf“ heißt es in der Beschlussvorlage. Neben den Neuberechnungen der Grenzwerte müsse auch die Betroffenheit von Reutlinger Dieselfahrern berücksichtigt werden. Reutlingens Oberbürgermeisterin Barbara Bosch fordert in dem Beschluss Bund- und Landesregierung dazu auf „mit der Autoindustrie schnellstmöglich eine wirksame Schadstoffreduzierung vorhandener Diesel-Fahrzeuge zu vereinbaren“.
Fragen und Antworten zu Diesel-Fahrverboten
In immer mehr Großstädten müssen Fahrer von älteren Diesel-Autos mit Fahrverboten rechnen. Nach Stuttgart und Hamburg erwägt nun auch München entsprechende Maßnahmen. Die Autoindustrie läuft gegen die Einschränkungen Sturm. Bei den Autokäufern ist die Verunsicherung bereits zu spüren, der Absatz von Diesel-Pkw ist eingebrochen.
Quelle: Reuters
Stand: 14.06.2017
In der Europäischen Union gelten seit 2010 für Feinstaub und Schadstoffe wie Stickstoffdioxid (No2) Grenzwerte zur Luftreinhaltung. Wegen hoher Luftverschmutzung kommt es laut EU-Kommission in Europa jährlich zu 400.000 vorzeitigen Todesfällen, wegen Stickoxiden seien 2003 rund 70.000 Menschen gestorben. In Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien wird das Limit von 40 Mikrogramm je Kubikmeter wiederholt überschritten. Deshalb droht die EU-Kommission den Ländern mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat auf Basis dieser Vorschriften gegen die Luftreinhaltepläne von 16 Städten vor Verwaltungsgerichten geklagt.
Die EU-Kommission listete 28 Gebiete mit Grenzwertüberschreitungen auf. Darunter sind die Ballungsräume Berlin, München, Stuttgart und Hamburg. Auch in Köln, Düsseldorf und fast allen größeren Städten in Nordrhein-Westfalen besteht das Problem. Das Umweltbundesamt hat im vergangenen Jahr in fast 50 Städten zu hohe Belastungen gemessen, häufig nur an einzelnen Plätzen und Straßen. Stuttgart ist mit seiner Kessellage besonders betroffen und plant ab 2018 Fahrverbote an Tagen mit hoher Schadstoffbelastung auf bestimmten Straßen. Für Lieferverkehr, Taxis oder Handwerker soll es Ausnahmen geben.
Nach Angaben der EU entfallen auf den Straßenverkehr 40 Prozent der Stickoxidemissionen. Rund 80 Prozent davon stoßen wiederum Dieselautos aus. Laut Umweltbundesamt sind Diesel-Pkw in Deutschland für 13 Prozent der Emissionen verantwortlich. Betroffen von Fahrverboten wären nach den Plänen in Stuttgart und München alle Dieselfahrzeuge ab Euro-5 abwärts. Das wären vier von fünf Diesel-Pkw.
Aber auch bei den neuesten Pkw mit Euro-6-Standard ergaben Messungen des Umweltbundesamtes im Realbetrieb viel zu hohe Ausstöße von Stickoxid. Die Autoindustrie hält dagegen, das werde mit den nun auf den Markt kommenden Dieselmotoren gelöst. Ab 2019 dürfen die Selbstzünder auf der Straße den vorgeschriebenen Grenzwert nur noch um das Doppelte übertreffen, zwei Jahre später um das Anderthalbfache. Der Spielraum wird eingeräumt, weil wegen Beladung, Tempo oder Steigungen eine konstante Einhaltung der Laborwerte technisch nicht möglich ist. Bis die neue Diesel-Flotte aber die Luft spürbar verbessert, dauert es nach Schätzungen des Umweltbundesamt bis etwa 2025.
Die Städte betrachten ein Fahrverbot als größten Hebel neben vielen anderen Maßnahmen der Verkehrssteuerung oder Anreizen für Bürger, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Baden-Württemberg verhandelt deshalb mit der Autoindustrie über eine Nachrüstung von Euro-5-Motoren, die rund 40 Prozent der Diesel-Fahrzeuge ausmachen. Sollte der Stickoxid-Ausstoß dadurch genauso viel wie durch Fahrverbote sinken, könnte auf die drastische Maßnahme verzichtet werden. Doch es ist unklar, wie hoch die Kosten sind und wer sie übernimmt - die Autohersteller oder auch die Verbraucher oder der Staat? Ob Dieselfahrverbote rechtlich zulässig sind, muss das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig erst entscheiden. Einen Termin dafür gibt es noch nicht.
Die Länder dringen auf eine bundesweite Klärung. In der Diskussion war die Blaue Plakette, mit der Städte allen Diesel-Autos beispielsweise unterhalb der Euro-6-Norm die Einfahrt verbieten könnten. Doch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die die Plakette selbst vorgeschlagen hatte, ist davon inzwischen abgerückt, da auch die Euro-6-Fahrzeuge zuviel ausstießen. Sie setzt auf Nachrüstungen durch die Industrie. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist gegen Fahrverbote, sieht die Verantwortung aber bei Städten und Ländern. Er argumentiert, wenn Busse, Taxen und Behördenfahrzeuge elektrisch oder mit alternativen Antrieben ausgerüstet würden, könne das Problem für Privatfahrer entschärft werden.
Köln und Kiel bleiben vorerst zurückhaltend
In Köln, wo sich im Jahresmittelwert 63 Mikrogramm pro Kubikmeter (Platz 5) messen lassen, entwickelt die zuständige Bezirksregierung gerade einen neuen Luftreinhalteplan. Auf mögliche Dieselverbote angesprochen, verweist die Bezirksregierung auf ein laufendes Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Dort wird voraussichtlich im Herbst entschieden, ob die Bundesländer für solche Verbote zuständig sind. In der Vergangenheit zeigte sich die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Rekers wenig begeistert von einem Dieselverbot. „Bei Diesel-Fahrverboten habe ich große Bedenken hinsichtlich der Praktikabilität und der Verhältnismäßigkeit“, sagte sie kürzlich.
Die Stadt Kiel, die mit 65 Mikrogramm pro Kubikmeter (Platz 4) im Jahresmittel zu kämpfen hat, war Dieselverboten in der Vergangenheit eher abgeneigt und plant auch in Zukunft keine. Sie begründet das damit, dass die Grenzwerte nur an einer einzelnen Stelle und in keiner Zone überschritten werden. Stattdessen überprüfe die Stadt mehrere Möglichkeiten, um die Belastung zu reduzieren. Dazu gehören unter anderem auch der Bau eines Tunnels oder die künstliche Durchlüftung der Straße, ebenso wie ein selektives Fahrverbot.
Düsseldorf wegen Gerichtsurteil unter Druck
In Düsseldorf (Platz 7 im UBA-Ranking mit 58 Mikrogramm pro Kubikmeter) steht die Kommunalpolitik besonders unter Druck – quasi von Gerichts wegen. Denn nach einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH), wegen zu starker Luftverschmutzung und überschrittener Grenzwerte, entschied das Düsseldorfer Verwaltungsgericht im Oktober 2015, dass die NRW-Landeshauptstadt mehr tun müsse zur Luftreinhaltung.
Die Bezirksregierung bekam eine Frist gesetzt bis Oktober 2017. Bis dahin muss der Luftreinhalteplan für die Stadt Düsseldorf so überarbeitet sein, dass die Stickstoffdioxid-Grenzwerte eingehalten werden können. Und nicht nur das. Die Richter legten der Bezirksregierung darüber hinaus nahe, Diesel-Fahrverbote in ihre Pläne aufzunehmen.
In der Düsseldorfer Kommunalpolitik traf diese Aufforderung jedoch bislang auf wenig Gegenliebe – konkrete Pläne, die Luftverschmutzung zu senken, sind bislang nicht bekannt. Und sowohl die Düsseldorfer SPD (die den Oberbürgermeister stellt) als auch die CDU sehen drängende Maßnahmen eher beim Nahverkehr. So forderten sie zuletzt vom Düsseldorfer Verkehrsunternehmen Rheinbahn die Diesel-Busse auf Elektroantrieb umzurüsten. Deren Chef lehnte ab. Außerdem verweist die Stadt darauf, dass zur Zeit über einen weiteren Ausbau der Fahrradinfrastruktur diskutiert wird. Ob es zu Dieselverboten kommt, könne derzeit noch nicht abschließen gesagt werden.
Hamburg legt neuen Luftreinhalteplan vor – ohne Dieselverbot
Auch Hamburg ist von einem Gericht aufgefordert worden einen neuen Luftreinhalteplan vorzulegen. Im November 2014 verlangte das Verwaltungsgericht Hamburg einen durchgerechneten neuen Luftreinhalteplan bis zum 30. Juni 2017. Um dem Folge zu leisten, beschloss Hamburgs Senat Anfang Mai einen entsprechenden neuen Luftreinhalteplan.
Uneingeschränkte Einfahrverbote wird es demnach allerdings nicht geben – auch nicht für Dieselautos. Lediglich an zwei kurzen Straßenabschnitten soll es in Hamburg bald Dieselverkehrsbeschränkungen geben.
Die Hamburger Zurückhaltung begründet Umweltsenator Jens Kerstan damit, dass das Problem „handhabbar“ sei. „Gründe dafür sind die erwartete Erneuerung der Dieselflotte und die Abnahme des Verkehrs im Innenstadtbereich“, so Kerstan. Hinzu käme der Trend zu alternativen Antrieben und mehr Radverkehr. Bei seinem Luftreinhalteplan setzt Hamburg deshalb auf emissionsarmen Nahverkehr und die Förderung der E-Mobilität.
Ebenso wie Reutlingens Oberbürgermeisterin sieht auch Kerstan den Bund in der Pflicht, die Autobranche in die Mangel zu nehmen: „Würden alle Autos die gesetzlichen Zulassungswerte auch auf der Straße einhalten, hätten wir schon heute nur noch an sehr wenigen Stellen in Hamburg ein Grenzwert-Problem.“
Sollten in deutschen Großstädten Dieselverbote durchgesetzt werden, hätte das weitreichende Folgen für weite Teile des innerstädtischen Verkehrs. Nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" würde das Verbot je nach zu Grunde gelegten Grenzwerten allein in München zwischen 133.000 und 170.000 Fahrzeuge betreffen.
Auch deshalb kritisieren insbesondere Wirtschaftsverbände mögliche Verbotspläne. Sie befürchten Probleme bei der Warenlieferung und für Pendler, die den öffentlichen Nahverkehr überfordern könnten.
Auch der Verband der Automobilindustrie verweist darauf, dass es intelligentere und schneller wirkende Maßnahmen als ein Verbot von Dieseln gebe. So solle stattdessen der Verkehrsfluss verbessert und Staus vermieden werden.