Suizid in Schmölln Schwierige Spurensuche

Ein Flüchtling stürzt sich aus dem obersten Stock seiner Unterkunft in den Tod – und Schaulustige sollen den 17-Jährigen dazu ermuntert haben. Die Polizei in Thüringen prüft diese schweren Vorwürfe.

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Nach dem tödlichen Fenstersturz eines 17-jährigen Flüchtlings ist noch immer nicht geklärt, ob ihn Anwohner tatsächlich zum Suizid ermuntert haben. Quelle: dpa

Schmölln Das Handy von Bürgermeister Sven Schrade (SPD) klingelt wieder. Nach dem tödlichen Sprung eines jungen Flüchtlings aus dem fünften Stock eines Hauses muss er ständig erklären, was in Schmölln vorgefallen ist. Er will nicht den Eindruck entstehen lassen, seine Stadt im Osten Thüringens habe etwas gegen Flüchtlinge. „Unsere Stadt wird in einem Licht dargestellt, das uns nicht gerecht wird.“ Der 31-Jährige steht am Sonntag vor dem Rathaus. Er wird immer wieder gefragt, ob Schaulustige den jungen Somalier tatsächlich mit Rufen zum Suizid ermuntert haben. „An Spekulationen will ich mich nicht beteiligen“, sagt er.

Noch am Samstag hat er in einer Pressekonferenz genau diesen Eindruck entstehen lassen: „Uns liegen auch Informationen vor, dass einige, ich nenne sie mal Schaulustige, diesem Vorfall lange beigewohnt haben, und wohl auch Rufe gefallen sein sollen wie „Spring doch““, sagte er. Er selbst habe diese Worte nicht gehört. Sie sollen von einer Mitarbeiterin der Einrichtung stammen, die sich um Flüchtlinge kümmert, die ohne Eltern und Verwandte nach Deutschland kommen. Die Polizei konnte solche Äußerungen nicht bestätigen. Sie ermittelt.

Zwölf Jugendliche leben in dem Plattenbau, der wenige Autominuten von Schrades Amtssitz entfernt liegt. Am Freitag stürzt sich der Flüchtling aus einem Fenster im fünften Stock. Zu ihm gibt es unterschiedliche Altersangaben. Die Polizei geht von Suizid aus. Er sei wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen, hieß es in einer Mitteilung. Vor dem Mehrgeschosser erinnert am Sonntag nichts an den Vorfall. Ein Anwohner zeigt auf eine kleine Pfütze. Darüber befinde sich das Fenster, aus dem der Afrikaner sprang, berichtet er. Seinen Namen will er nicht verraten. Er ist wütend.

„Es hat keine Rufe gegeben“, schnauft der Anwohner. Nach eigener Darstellung hat er den Einsatz beobachtet, weil er am Freitag eigentlich mit seinem Kind zum Reitsport wollte. Die Aussagen anderer Nachbarn sind widersprüchlich. Viele berichten vom Hören-Sagen. Eine Mutter dreier Kinder will gehört haben, dass Mitbewohner des Flüchtlings ihn zum Suizid animiert hätten. „Polizei und Feuerwehr sind öfter hier“, ruft sie von ihrem Balkon herunter. Ein leichter Wind streift um den grauen Plattenbau aus DDR-Zeiten. Blätter rieseln von Bäumen.

Von Problemen mit Ausländern weiß Carmen Zipfel nichts. „Die meisten sind doch ordentlich“, sagt sie und schiebt Zeitungen in die Briefkästen. Sie wohnt in der Nähe des Unglücksorts. „Ich finde den Vorfall fürchterlich.“ Von etwaigen Aufrufen zum Suizid sei ihr nichts zu Ohren gekommen, berichtet sie und huscht davon.

Die Meldung von den angeblichen Rufen, die den jungen Flüchtling zum Suizid ermuntert haben sollen, verbreitete sich am Wochenende rasant schnell. Es gibt viele Hass-Kommentare. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) twittert deshalb am Sonntag: „Diese Gier nach spektakulärem Geschehen lässt die Humanität auf der Strecke.“ Bürgermeister Schrade berichtet: „Auch bei Facebook gab es Bilder, die uns erschrocken machen.“

Ein 27 Jahre alter Flüchtling läuft am Sonntag um den Block und zeigt auf seinem Handy Bilder von dem Einsatz. Zu sehen ist die Feuerwehr mit einem Sprungtuch. Laut Polizei sprang der Afrikaner daneben. Er starb wenig später in einem Krankenhaus.

„Wie konnte unsere Stadt so in Verruf geraten“, schüttelt eine 78-jährige Frau mit dem Kopf. Ihren Namen will sie nicht nennen. Bürgermeister Schrade hofft, dass die Polizei den Vorfall schnell aufklären kann: „Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, wissen wir, was wirklich vorgefallen ist.“ Es gehe aber nicht darum, den Mantel des Schweigens über den Vorfall zu legen.

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