Tarifeinheitsgesetz Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Das am Freitag verabschiedete Tarifeinheitsgesetz wird keinen Frieden in den Betrieben schaffen. Im Gegenteil: Es könnte die Konflikte sogar verschärfen.

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Protest der GDL Quelle: dpa

Für die einen stärkt es die Tarifautonomie (Arbeitsministerin Andrea Nahles) und bringt der Wirtschaft endlich Rechtssicherheit (Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer), für die anderen ist es ein „grandioser politischer Irrtum“ (Ärztegewerkschaft Marburger Bund) und führt „zur Einschränkung des Streikrechts für kleine Gewerkschaften“ (Linkspartei-Politiker Klaus Ernst). Genervte Bahnkunden hoffen, dass nun die Macht der streikwütigen Lokführergewerkschaft GDL gebrochen wird.

Doch egal, wie man zu dem heute verabschiedeten Gesetz steht: Es bedeutet noch lange nicht das Ende der Debatte, wie wir es künftig mit Gewerkschaftskonkurrenz in den Unternehmen halten. Künftig soll wieder das alte Prinzip gelten: ein Betrieb, ein Tarifvertrag. Doch zum einen ist diffus, was eigentlich der „Betrieb“ ist, auf den sich das Gesetz bezieht. Die Bahn zum Beispiel ist kein monolithisches Unternehmen, sondern besteht aus vielen Einzelbetrieben.

Zum Zweiten kommt es zu großen Umsetzungsproblemen, wenn die Gewerkschaftsmehrheit in einem Betrieb nur knapp ist. Dann kann das An- oder Abwerben weniger Mitglieder durch die Konkurrenzorganisation dazu führen, dass die Tarifführerschaft kippt - und sich damit auch der anzuwendende Tarifvertrag ändert. Die Aggressivität der Spartengewerkschaften und die Unruhe im Unternehmen könnten vor diesem Hintergrund sogar eher steigen als sinken.

Zum Dritten, und das ist das Entscheidende: Das Gesetz wird mit fast 100-prozentiger Sicherheit beim Bundesverfassungsgericht landen. Klaus Bepler etwa, bis 2012 Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, hat die Tarifeinheit in einem Gutachten für den Juristentag als verfassungswidrig bezeichnet.

Juristen halten es dabei durchaus für möglich, dass sich der juristische Streit über mehrere Jahre hinzieht. Das schafft ein unangenehmes juristisches Vakuum für die Unternehmen. Sie müssen fürchten, dass Tarifverträge mit ihrer stärksten Betriebsgewerkschaft später wieder einkassiert werden. Dann wird es heikel: Tarifverträge der unterlegenen Gewerkschaft sind ja nicht verboten worden, sie werden nur bei Überschneidungen nicht angewendet. Wenn das Verfassungsgericht den Klägern Recht gibt, könnten Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber womöglich zwingen, sie auf Grundlage des verdrängten Tarifvertrages zu bezahlen. Theoretisch könnten dann auf die Unternehmen sogar Lohnnachzahlungen zukommen, sofern die Verfassungsrichter die tarifliche Rückwirkung nicht ausschließen.

Keine Frage: Über die Tarifeinheit ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen.

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