Tarifverhandlungen Wie viel Lohnerhöhung verträgt das Jobwunder?

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Deutschland als Modell

Nicolas Sarkozy und Mariano Rajoy Quelle: dapd

Auch die Bundesregierung möchte das Lohngefüge von unten aufrollen. Mit dem neuen Niedriglohnbereich, der durch die Hartz-IV-Reform wuchs, will sich Schwarz-Gelb nicht anfreunden, obwohl durch ihn Hunderttausende Jobs entstanden. Derzeit kungeln die CDU-Abgeordneten Details eines allgemeinverbindlichen Mindestlohnes aus. Ökonomen sind entsetzt. So mahnt Wolfgang Franz, Chef der fünf Wirtschaftsweisen, ein Mindestlohn von etwa 7,50 Euro koste mehrere Hunderttausende Arbeitsplätze. „Dann können wir die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gering Qualifizierter bald vergessen“, sagt Franz. „Hände weg vom gesetzlichen Mindestlohn.“

Über Jahre ist die sogenannte Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland nur gestiegen. Erst seit den Hartz- Reformen schrumpft sie. Allein von Anfang 2007 bis heute hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen auf knapp eine Million halbiert. Doch während Deutschland von diesen Reformen abrückt, küren europäische Partnerländer sie zum Vorbild. Ringsum sollen die Lohnstückkosten sinken.

Was die IG Metall forderte - und was sie bekam Quelle: IG Metall

Kurz vor Weihnachten etwa hatte der wahlkämpfende französische Präsident Nicolas Sarkozy Altkanzler Gerhard Schröder in den Élysée-Palast geladen, um sich die Agenda 2010 erklären zu lassen. Seitdem bastelt er am Modell „Schröder à la française“. So sollen die Unternehmen künftig Betriebsvereinbarungen schließen können, um vom Tarifvertrag abzuweichen. Selbst die 35-Stunden-Woche hält Sarkozy inzwischen für einen Fehler.

Ironie der EU-Geschichte

In Spanien hat der neue Ministerpräsident Mariano Rajoy per Dekret eine umfassende Arbeitsmarktreform in Kraft gesetzt, die Abfindungszahlungen bei Kündigungen reduziert und den Betrieben erlaubt, ihre Löhne zu senken – ohne Zustimmung der Gewerkschaften. Erst im Januar hatten sich der Arbeitgeberverband und die Dachgewerkschaften geeinigt, dass Gehälter dieses Jahr um maximal 0,5 Prozent steigen. Bei einer Inflationsrate um die zwei Prozent bedeutet das eine reale Lohnsenkung. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit ringen die Spanier schon länger. Laut EU-Kommission fallen ihre Lohnstückkosten seit 2009. Auch das krisengeschüttelte Griechenland müht sich, seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. In der Privatwirtschaft sind die Löhne nach Angaben des gewerkschaftsnahen Instituts für Arbeit 2011 um durchschnittlich 11,4 Prozent zurückgegangen, im öffentlichen Dienst gar um 20 Prozent. In der Privatwirtschaft hat die Regierung den Mindestlohn von 751 Euro um 22 Prozent herabgesetzt, für Jugendliche sogar um 32 Prozent. Auf beides hatte die EU-Troika gedrängt. Die Einschnitte sollen die Arbeitslosigkeit senken. Unter den 15- bis 24-jährigen Griechen hat fast jeder zweite keinen Job.

Lohnstückkosten in den Euro-Ländern Quelle: EU-Kommission

So ist es die Ironie der Geschichte, dass die Bundesrepublik in Europa zum Modell wird und damit zu Hause hadert. Drücken die Arbeitnehmervertreter rasante Tarifsteigerungen durch, werden die Lohnstückkosten rasch nach oben schnellen. Dann müssten viele Betriebe die Preise ihrer Produkte anheben, um ihre Gewinnspannen zu halten, und würden unweigerlich Marktanteile verlieren. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Deutschland innerhalb des Euro-Raums nach und nach an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verliert“, warnt Ralph Solveen, Ökonom der Commerzbank. Zu Panik bestehe indes kein Anlass. Die Gewerkschaften hätten schmerzhaft gelernt, „dass deutlich über die Produktivitätsentwicklung hinausgehende allgemeine Lohnsteigerungen mittel- bis langfristig Arbeitsplätze zerstören“.

Plan B

Intern arbeiten die Arbeitgeberverbände ohnehin an einem Plan B: Wenn schon die Lohnkosten steigen, dann sollte das auch für die Arbeitszeit gelten. In der Metallindustrie etwa gilt im Kern noch immer die 35-Stunden-Woche. Laut Tarifvertrag dürfen in einem Betrieb nur 18 Prozent der Belegschaft regelmäßig bis zu 40 Stunden arbeiten. Diesen Anteil möchten die Arbeitgeber erhöhen, wenn sie beim Lohn draufsatteln müssen. Die Chemiearbeitgeber wiederum wollen eine Regel kippen, nach der sich für über 55-Jährige die Arbeitszeit von 37,5 um bis zu 3,5 Stunden reduziert.

Ökonomen schlagen indes vor, die Arbeitnehmer stärker am Gewinn ihrer Betriebe zu beteiligen. „Dann wären sie automatisch an der besseren Ertragslage der betreffenden Unternehmen beteiligt, und die Gewerkschaften brauchten weniger Sorge zu haben, zu geringe Tariflohnabschlüsse getätigt zu haben“, sagt der Wirtschaftsweise Franz.

Bei Illig Maschinenbau können die Mitarbeiter nun auf einen Nachschlag hoffen. Die Geschäfte laufen gut, und das Weihnachtsgeld, das 2010 zu einem großen Teil ausgefallen war, könnte in diesem Jahr nachträglich gezahlt werden.

Vielleicht kann Ulrich Katzmaier bald wieder die Koffer packen.

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