Tarifverhandlungen Wie viel Lohnerhöhung verträgt das Jobwunder?

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Gerechte Löhne

Ein Bosch-Mitarbeiter bei der Sichtkontrolle einer bearbeiteten Glasplatte Quelle: dpa

Der Produktionseinbruch schmälerte daher die Unternehmensgewinne. Von Anfang 2007 bis Anfang 2009 schrumpften die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um rund 40 Milliarden Euro. Die Gewinnquote, also der Anteil der Unternehmens- und Vermögenseinkommen am Volkseinkommen, sank von 37,4 auf 30,6 Prozent. Dagegen legten die Entgelte der Arbeitnehmer um 14 Milliarden Euro zu; ihr Anteil am Volkseinkommen, die Lohnquote, stieg von 62,6 auf 69,4 Prozent, obwohl auch die Beschäftigten Lasten trugen.

Folgen der Krise

Auch bei Illig in Heilbronn haben die Arbeitnehmer die Krise gespürt. Der Umsatz sackte auf 60 Prozent des Normalwertes ab, im Herbst 2008 folgte Kurzarbeit. Später reduzierten die Beschäftigten Arbeitszeit und Gehalt, 2010 fielen das Urlaubsgeld und Teile des Weihnachtsgeldes erst einmal aus. 750 Beschäftigte hat Illig, die Zahl gilt noch immer. „Wir konnten die ganze Mannschaft in der Krise halten“, sagt Geschäftsführer Schäuble. „Das war für uns als Unternehmen eine heftige Anstrengung, die viel Geld gekostet hat. Aber die Mitarbeiter wissen es zu schätzen.“

Ulrich Katzmaier konnte mit den Einbußen leben. „Ein sicherer Arbeitsplatz ist mehr wert, als mal eben etwas mehr Geld zu verdienen“, sagt er. Wenn es aber jetzt etwas obendrauf gäbe, wäre das nur gerecht.

Gerechter Lohn

Wo der gerechte Lohn liegt, zählt zu den umstrittensten ökonomischen Fragen. Arbeitnehmer müssen fair am Erfolg ihrer Unternehmen beteiligt werden. Klar ist auch, dass sinkende Reallöhne den Konsum schwächen – und damit einen zentralen Pfeiler des Inlandsprodukts. Doch von steigenden Bruttolöhnen kommt bei den Arbeitnehmern stets nur ein kleiner Teil an. Wenn überhaupt. Über Steuerprogression und Sozialabgaben schöpft der Staat manche Gehaltserhöhung direkt wieder ab. Bei den Unternehmen indes schlägt ein höheres Brutto voll auf die Kosten durch.

Nach der gängigen Lohnformel bemisst sich der Verteilungsspielraum aus dem Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und dem Preisanstieg. Logisch ist das nicht immer: Wenn Unternehmen Mitarbeiter entlassen, weil steigende Löhne deren Arbeitsplätze unrentabel machen, erhöht dies die gesamtwirtschaftliche Produktivität. Damit droht ein Teufelskreis: Erst verteuern die Gewerkschaften die Arbeit. Dann verschwinden Jobs. Und am Ende preisen die Gewerkschaften die so entstandenen Produktivitätsgewinne in ihre nächste Lohnforderung ein.

Hinzu kommt, dass ein großer Teil der statistisch gemessenen Inflation auf höheren Preisen für Energie und Nahrung beruht. Da sie die Unternehmensgewinne nicht erhöhen, können sie auch nicht an die Arbeitnehmer verteilt werden. Allenfalls für die Kernrate der Inflation (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise), die sich 2012 auf etwa 1,5 Prozent belaufen dürfte, können die Beschäftigten einen Ausgleich verlangen. Zusammen mit dem gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs von etwa 0,5 bis 1,0 Prozent ergibt sich der Spielraum für Lohnsteigerungen. Er liegt für den Schnitt aller Branchen so bei 2,0 bis 2,5 Prozent.

Allerdings hat sich in diesem Jahr etwas verändert. Der Fachkräftemangel verbessert die Verhandlungsposition der Gewerkschaften, weil Arbeitskraft bald zum knappsten aller Produktionsfaktoren wird. Nach einer OECD-Studie ist heute jeder zweite Deutsche zwischen 15 und 64 Jahren alt. 2035 wird es nur jeder vierte sein.

Schon heute ist der Mangel in einigen Regionen Realität. In Thüringen etwa sind viele Fachkräfte gen Tariflohn West abgewandert. Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) investiert nun eine Million Euro in Plakate und Radiospots, um das Billig-Image des Landes loszuwerden. „Thüringen braucht dich“ – lautet der Slogan. „Wir können den Lohn nicht auf einen Schlag auf das Münchner Niveau anheben“, sagt Machnig. Aber die Trendwende müsse erkennbar sein.

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