Tarifverhandlungen Wie viel Lohnerhöhung verträgt das Jobwunder?

Die Zeit der Bescheidenheit ist vorbei: Gewerkschaften und Politiker fordern mehr Geld für alle, am Donnerstag starten die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Dumm nur, dass andere EU-Länder genau jetzt ihre Lohnstückkosten senken.

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Ein Beschäftigter eines Stahlunternehmens trägt während eines Warnstreiks eine Fahne der Gewerkschaft IG Metall Quelle: dapd

Auf die Kanaren ist Ulrich Katzmaier nur einmal geflogen. Danach kamen die Krise und die Zeit des Verzichts, es kamen Kurzarbeit und Lohneinbußen. Was nicht mehr kam, war das Urlaubsgeld. Seither fallen alle Reisen bescheiden aus.

Im vergangenen Jahr reichte es für eine Radtour an der Weser, auf den Gepäckträger schnallte Katzmaier sein Zelt. „Ich bin vorsichtiger mit dem Geldausgeben geworden“, sagt er. Er verdient nicht schlecht in der Metallindustrie, er würde niemals klagen. „Man kann davon leben“, sagt der 47-Jährige. Aber es dürfte ruhig ein bisschen mehr sein. „Als Arbeitnehmer ist man ja immer sehr angetan, wenn die Gewerkschaften höhere Löhne fordern.“

Zahlen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Arbeitslosen Quelle: Bundesagentur für Arbeit

Seit 23 Jahren arbeitet Ulrich Katzmaier bei Illig Maschinenbau in Heilbronn. Das Unternehmen produziert hochmoderne Anlagen, die Joghurtbecher oder Espressokapseln formen. Auf der ganzen Welt verkauft niemand so viele dieser Spezialmaschinen wie Illig. Die Gussteile, die man dazu braucht, beschafft Katzmaier als Sachbearbeiter im Einkauf. Seine letzte Gehaltserhöhung kam im April 2011, da schien die Krise ausgestanden, und es gab 2,7 Prozent obendrauf. Nun soll es bald viel mehr sein: Für alle Beschäftigten der Branche fordert die IG Metall ein Plus von 6,5 Prozent. „Die Arbeitnehmer haben sich eine angemessene Lohnerhöhung verdient“, hofft der Einkäufer.

Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland

Ulrich Katzmaiers Hoffnung ist nun Karl Schäubles Sorge. Schäuble ist Katzmaiers Chef und hat vorsorglich schon angefangen zu rechnen: Wenn der Illig-Geschäftsführer alle Kosten des Unternehmens addiert, dann machen die Löhne seiner Mitarbeiter satte 40 Prozent aus. Neun von zehn Maschinen liefert Illig ins Ausland – und dort ist der Konkurrenzdruck groß. „Kräftige Lohnsteigerungen können wir nicht über höhere Preise weitergeben, ohne Marktanteile zu verlieren“, sagt Schäuble. Und bei schnöden Wettbewerbsnachteilen allein wird es vielleicht nicht bleiben.

Der Geschäftsführer, der ein zurückhaltender Herr ist und im Südwesten selbst in der Arbeitgeber-Tarifkommission sitzt, denkt einen Augenblick nach. Und dann sagt er: „Bisher halten wir unsere komplette Fertigung in Deutschland, und darauf bin ich stolz. Aber wenn die Löhne zu sehr steigen, müssen wir irgendwann vielleicht die Diskussion führen, ob wir die Arbeitsplätze nicht doch ins Ausland verlegen.“

Es ist eine Debatte, wie sie das Land lange nicht gehört hat. Nach Jahren bescheidener Abschlüsse wollen die Gewerkschaften nun eine neue Ära einleiten: die Ära schwellender Löhne. Im März starten die Tarifverhandlungen in der Metallbranche und für den öffentlichen Dienst, im April legt die Chemieindustrie nach. Insgesamt geht es um sechs Millionen Beschäftigte, zwischen 6,0 und 6,5 Prozent mehr Lohn fordern die Gewerkschaften.

Lange war keine Tarifrunde mehr so aufgeheizt wie diese. Da macht es die Lage nur vertrackter, dass auch die Politik sich einmischt. Öffentlichkeitswirksam forderte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) jüngst mehr Lohn für alle. Und wenn es nach ihr geht, ist bei den tarifgebundenen Fachkräften noch längst nicht Schluss. Mit einem allgemeinen Mindestlohn will die Regierung künftig auch Niedrigstgehälter anhieven.

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