Das neue Buch von Byung-Chul Han, in Basel als Philosoph bekannt, in Karlsruhe als Medientheoretiker und in Berlin seit 2012 als Kulturwissenschaftler an der Universität der Künste, ist für seinen Autor und seinen neuen Verlag eine ziemliche Blamage - und für den Leser ein teures Missvergnügen.
Zunächst einmal der Preis. Zwanzig Euro für einen locker gestrickten, von den Setzern bei S. Fischer mühsam auf 113 Seiten gestreckten Zwei-Stunden-Essay - das ist, mit Verlaub, ein Statement wider die Buchpreisbindung. Zweitens der Etikettenschwindel: Ein Buch, das jeden Theorieanspruch in Form und Inhalt unterläuft, in der Verlagsreihe "Wissenschaft" anzubieten, ein Buch, in dem sich ein unbegründeter Aussagesatz an den nächsten reiht und jede aus dem Hut gezauberte Behauptung durch weitere aus dem Hut gezauberte Behauptungen verstärkt wird - das ist, mit Verlaub, gezielte Leser(ent)täuschung.
Das Buch
Byung-Chul Han, Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken, Verlag S. Fischer, 19,99 Euro
Und drittens schließlich: Ein Werk, das keinen einzigen neuen Gedanken des Autors enthält, sondern eine längst bis zur Neige ausgeschöpfte Kultur- und Kapitalismuskritik noch einmal variiert und zusammenfasst - das kündet, mit Verlaub, entweder von des Autors Hybris oder Unverschämtheit.
Han hat in den vergangenen fünf Jahren mit dunkel raunenden Zeitdiagnosen eine breite Leserschaft gewonnen. Am Anfang seiner popphilosophischen Blitzkarriere stellte er Deutschland, Europa und dem Westen das Zeugnis der "Müdigkeitsgesellschaft" aus (2010), bevor er nach einem Abstecher in die "Typologie der Gewalt" (2011) bei der algorithmisch durchsichtigen "Transparenzgesellschaft" landete (2012), deren hell-teuflische Grundzüge er in "Digitale Rationalität und das Ende des kommunikativen Handelns" (2013) mit mephistophelischer Lust ausmalte.
Ästhetik statt Gehalt
In allen, überwiegend knappen Essays, die dem Verlag Matthes&Seitz sehr hübsche Erfolge bescherten, brannte Han rhetorische Feuerwerke ab, die einem buchstäblich Sinn und Verstand raubten: Kein Satz, dessen Gehalt und Wahrheit Han nicht der aphoristischen Zuspitzung und ästhetischen Anreicherung opfern würde... Es verwundert deshalb überhaupt nicht, dass sich seine Texte einer großen Fangemeinde erfreuen.
Sie surfen auf Nietzsche-und Deleuze-Zitaten, reiten die Foucault-Agamben-Welle - und sind dabei in Ton und Inhalt so artistisch ungefähr, abenteuerlich allgemein und akrobatisch pauschal, dass sie perfekt mit dem diffusen, wilden Aktivisten-Unbehagen am Kapitalismus, am "Neoliberalismus" und an der "Macht des Geldes" korrespondieren.
Nun also "Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken", eine Ausdünnung von Hans bisherigen philosophischen Anstrengungen - für seine Anhänger wahrscheinlich eine Art Substrat, eine Opus Magnum gar. Die rhetorische Überwältigung beginnt gleich mit dem ersten Satz: "Die Freiheit wird eine Episode gewesen sein", behauptet Han, weil die "Diktatur des Kapitals" nur Knechte erzeugt - "absolute Knechte", versteht sich, die das "neoliberale Regime" seiner "totalen Kontrolle" unterwirft und hemmungslos ausbeutet. Natürlich weiß auch Han, dass derlei Befunde bereits seit mehr als anderthalb Jahrhunderten die Runde machen, weshalb es ihm hoch anzurechnen ist, dass er sie allenfalls dreißig- bis vierzigmal wiederholt.
Nur ein klapperdürrer Befund
Noch höher anzurechnen ist ihm, dass er messerscharf wie niemand zuvor erkannt hat: Der Kapitalismus ist eine evolutionäres System, dessen Macht im digitalen Zeitalter nicht mehr an Methoden der körperlichen Unterwerfung und Disziplinierung gebunden ist, sondern der freiwilligen Selbstkontrolle fröhlicher Google-Sucher, Facebook-Nutzer und Kindle-Leser unterliegt: "Das neoliberale Regime verwandelt die Fremdausbeutung in Selbstausbeutung." Die kapitalistische Moderne laufe nicht auf die horrende Negativität der totalen Überwachung und Strafe wie bei George Orwell hinaus, sondern auf die horrende Positivität der totalen Transparenz und Selbstinzuchtnahme.
Für Han ist das natürlich eine sehr einseitige, lineare Angelegenheit, eine Eskalationsgeschichte des kapitalistischen Horrors: Ein unternehmerisches Ich, das sich nicht mehr zur Klasse solidarisieren kann und mit verinnerlichtem Leistungsdruck dem nächsten Burnout entgegen taumelt, das sich lustvoll zum Sklaven der Marktlogik und des Google-Algorithmus macht, das sich seine mediokre Angestellten-Karriere erbuckelt, um sich dem Verblendungszusammenhang einer durchnormierten Produkt-, Informations- und Unterhaltungsindustrie auszuliefern - so ein unternehmerisches Ich ist natürlich, vom Schreibtisch des Philosophen oder Medientheoretikers oder Kulturwissenschaftlers aus betrachtet, ein viel größeres, weil viel subtileres, psychisch ausgebeutetes Opfer des "neoliberalen Regimes" als alle bloß roh und körperlich ausgebeuteten Arbeiter, Frauen und Kinder in den Bergwerken und Gesenkschmieden des 19. Jahrhunderts.
Eingelullte Sinne
Soweit in etwa der klapperdürre Befund von Han, den er unter Ausschluss von Argumenten Seite um Seite in immer neue Metaphern einkleidet, darunter einige brillant und zündend, andere rettungslos schräg und windschief - eine nachlässig verfugte Collage von Suggestionen und Oberflächenbeobachtungen; pseudophilosophische Lounge-Musik, die die Sinne nicht schärft, sondern einlullt, die in ihren endlosen Schleifen nichts aufs Hinhören zielt, sondern aufs Abschalten.
Dialektik der Aufklärung? Am Ende des Buches steht der Leser der Eindimensionalität von Han so willenlos und müde gegenüber, dass er gegen seine algorithmische Zurichtung von Amazon und Google nichts mehr einzuwenden hat - und sich damit ganz auf der Höhe des Autors befindet. Hat sich Han als erklärter Gegner eines "neoliberalen Regimes", das sich indirekt des "freien" Individuums bemächtigt, indem es dafür sorgt, dass das Individuum den "Herrschaftszusammenhang" in sich selbst abbildet und als Freiheit der (Konsumenten)Wahl interpretiert, sich nicht zugleich als dessen erstes Opfer inszeniert? War es der Kapitalismus, der ihm, Han, alle Ambivalenz abtrainiert hat, war es Han selbst - oder kann er es, als neoliberal fremdgesteuertes Ich-Derivat, überhaupt noch gewesen sein?
Für Han, folgt er seinen eigenen Behauptungen, steht die Antwort längst fest. Für alle anderen, die dazu noch Fragen und den Weg in die individuelle Selbstversklavung noch nicht ganz so überzeugt angetreten haben, ein Zitat von Michael Foucault aus Hans Buch und sein einsamer Höhepunkt: "I think that if one wants to analyze the genealogy of the subject in Western civilization, he has to take into account not only techniques of domination but also techniques of the self. Let's say: he has to take into account the interaction between those two types of techniques."