Tauchsieder

Der Kontrollverlust

Ist Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Aufgaben in der Flüchtlingspolitik noch gewachsen? Ein klares Nein in sechs Punkten - und ein kleines, sehr halblautes „Aber“. Eine Kolumne.

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Angela Merkel und die Flüchtlingspolitik. Quelle: dpa Picture-Alliance

Es ist genug. Seit fünf Monaten scheitert die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) hat bereits vor zwei Monaten „eine Art Staatsversagen“ diagnostiziert. Innenpolitiker Wolfgang Bosbach (CDU) stellt einen „Kontrollverlust“ der Bundesregierung fest. Und Hans-Jürgen Papier, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist im Gespräch mit dem „Handelsblatt“ schier entsetzt über das „eklatante Politikversagen“ der Kanzlerin, über die Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit, die seit 1945 nie größer gewesen sei.

Deutschland wurde seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so sprach-, plan- und hilflos regiert wie in den vergangenen Wochen. Merkel weiß nicht, wie viele Flüchtlinge und Migranten ins Land geströmt sind. Merkel legt keinen Masterplan zur Integration der Einwanderer vor. Merkel lässt kein Einwanderungsgesetz vorbereiten. Merkel versteckt sich hinter einer „europäischen Lösung“, die sie nicht findet - und zieht zur „Bekämpfung der Flüchtlingsursachen“ in einen sinnlosen Krieg.

Wo Flüchtlinge in Deutschland wohnen
Autobahnmeisterei Quelle: dpa
Deutschlands höchstgelegene Flüchtlingsunterkunft befindet sich im Alpenvorland Quelle: dpa
Container Quelle: dpa
Bischofswohnung und Priesterseminar Quelle: dpa
Eissporthalle Quelle: Screenshot
Ehemaliger Nachtclub als Flüchtlingsunterkunft Quelle: dpa
Jugendherberge Quelle: dpa

Vor allem aber bereitet Merkel die Deutschen mit keinem Wort auf einen „solidarischen Kraftakt“ vor. Sie hält keine Rede an die Nation, in der sie die Regierten auf die (sehr fernen und sehr theoretischen) Chancen der ungesteuerten Zuwanderung einschwört und zugleich die (sehr handfesten) Sorgen der Bevölkerung - wachsende Sozialausgaben, steigende Arbeitslosigkeit, größere Verteilungskämpfe, innere Unsicherheit, leitkultureller Identitätsverlust - adressiert.

Stattdessen amtiert Merkel dem Alltag der anfallenden Ereignisse wie eine schizophren gewordene Politikerin hinterher, die den Bezug zur Realität auf zweifache Weise verloren hat: Einerseits als „Wir-schaffen-das“-Kanzlerin, die Welt und Wirklichkeit mit der schieren Positivität ihrer Gutgläubigkeit überwältigen will - und andererseits als CDU-Chefin, die zur Beruhigung „besorgter Bürger“ beständig neue Signale der Versagensangst und Verunsicherung sendet: Schnellere Abschiebung! Familiennachzug begrenzen! Residenzpflicht für anerkannte Asylbewerber! Das Ergebnis: Politiklose Politik. Ist Angela Merkel ihrer Aufgabe noch gewachsen? Ein klares Nein in sechs Punkten:

Erstens: „Ich habe einen Plan“, sagte Merkel vor ein paar Wochen und: „Wir schaffen das!“ - obwohl sie weder einen Plan hat noch zuverlässige Aussagen darüber treffen kann, ob (und was) „wir“ schaffen und was nicht. Merkel deutet ihre Hilflosigkeit selbst an: Wir müssen unsere europäischen Partner mit ins Boot holen… Wir müssen mit der Türkei eine Einigung erzielen… Wir müssen die Flüchtlingsursachen in Syrien, im Irak, in Afghanistan bekämpfen… Wir müssen mehr Geld für die Entwicklungspolitik in die Hand nehmen… Wir müssen Innen- und Außenpolitik enger miteinander verzahnen…

Prominente Fußballer, die einst Flüchtlinge waren
Fatmire Alushi Quelle: imago images
Christian Benteke Quelle: REUTERS
Hasan Salihamidžić Quelle: AP
Luka Modrić Quelle: AP
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Vedad Ibišević Quelle: dpa

Nur ist diese Liste erstens nicht nur eine Liste ihrer politischen Herausforderungen, sondern auch eine Liste ihrer politischen Versäumnisse. Vor allem aber ist sie zweitens nicht Merkels Liste, weil das Gelingen „ihrer“ Politik nicht von Merkel selbst, sondern a) von der Migrations(un)willigkeit der Syrer, Afghanen und Marokkaner abhängt, b) von europäischen Staatschefs, die in ihren Heimatländern mit großen sozioökonomischen Problemen zu kämpfen haben und Merkels Flüchtlingspolitik ablehnen sowie c) von autokratischen Herrschern, von Erdogan zum Beispiel oder Putin.

Merkels "humanitärer Imperativ" ist blanker Hohn


Zweitens: Merkel spricht vom „humanitären Imperativ“ ihrer Politik. Was für ein Hohn. Nähme Merkel ihren Selbstanspruch ernst, müsste sie auf die sofortige Einrichtung eines Fährbetriebs zwischen der Türkei und den griechischen Inseln pochen - nicht zuletzt, um den Schleusern das Handwerk zu legen. Es ist zynisch, eine kurzfristig prekäre Situation im hochsommerlichen Budapest zum Notstand zu erklären, der den Umsturz der europäischen Flüchtlingspolitik rechtfertigt - und die Augen ganz fest zu verschließen vor ertrinkenden Kindern im winterkalten Mittelmeer.

Humanitär (und christlich) wäre die Organisation einer Politik, die die Ärmsten der Armen in den umkämpften Gebieten und Flüchtlingslagern vor Ort unterstützt, aufsucht und nötigenfalls nach Europa eskortiert: Frauen, Kinder, Verwundete, Versehrte, die weder die körperlichen noch die finanziellen Voraussetzungen haben, um sich auf den langen Weg nach Westen zu machen.

So viel Geld bekommen Flüchtlinge in den europäischen Ländern

Stattdessen strömen sehr viele junge Männer nach Europa und Deutschland, bei denen es sich teilweise gar nicht um Flüchtlinge handelt, weil sie sich bereits vor Monaten in Sicherheit eines grenznahen Lagers gebracht haben und die sich nun - wer will es Ihnen verdenken? - als Einwanderer in Deutschland ein besseres Leben versprechen.
Drittens: Merkel skizziert nicht mal in Ansätzen ein modernes, auf drei Säulen beruhendes Einwanderungsrecht. Wie könnte es aussehen? Erstens: Das Asylrecht braucht keine Verschärfung, keine materiellen Negativanreize (wie soeben beschlossen) - und es muss schon gar nicht abgeschafft werden. Was es braucht, ist seine strikte Auslegung. Es muss (nur) denjenigen (bedingungslos!) Schutz gewähren, die aus politischen und religiösen Gründen verfolgt werden, genauer: die persönlich Ziel von Verfolgungen sind, um Leib und Leben fürchten. Dieses Asylrecht wird aus rein humanitären Gründen gewährt, unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, in der sich Deutschland befindet.

von Gregor Peter Schmitz, Marc Etzold, Konrad Fischer, Max Haerder, Christian Ramthun, Christian Schlesiger, Cordula Tutt

Zweitens: Unterhalb des Asylrechts gelten Regeln für Menschen mit komplexen Einwanderungsgründen aus nicht-sicheren Staaten. Darunter kann man im weitesten Sinne „Bürgerkriegsopfer“ verstehen. Für diese Menschen - die Mehrheit der Migranten, die in diesen Monaten gen Europa ziehen - muss Deutschland einen Katalog unterschiedlicher (am besten: europäischer) Bleibe- und Aufenthaltstitel zur Anwendung bringen, das heißt: diese Einwanderer werden kontingentiert, verteilt, selektiert und auf Zeit untergebracht, gerne später auch nach ihrer Integrationswilligkeit und -leistung integriert - und das dürfen sie auch, denn der Maßstab ihrer Behandlung als Flüchtling kann nur die Dringlichkeit des vorübergehenden „weg“ aus der Heimat sein, nicht aber die Anziehungskraft des „hin“ in ein bevorzugtes Land, in eine bevorzugte Region.

Schließlich: Neben Asyl- und Bleibegesetzen gibt es drittens ein Einwanderungsrecht, das strikt den Interessen Deutschlands folgt: Wer aus „sicheren Drittstaaten“ einreisen will, muss sich in Konsulaten und Botschaften bewerben und hat aufgrund seiner Qualifikationen gute Chancen oder nicht.

Merkel verweigert Antworten


Viertens: Der Vormarsch des Rechtspopulismus in Deutschland geht zu einem großen Teil auf Merkels Konto. Sie hat in Deutschland einen Politikstil des mentalen Positivismus salonfähig gemacht, der Vertretern demokratischer Parteien die Räume eng gemacht hat für konstruktive Kritik.

Was Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Fraktionschef Volker Kauder und der CDU-Vorsitzende in NRW, Armin Laschet, in den vergangenen Wochen an Merkel-Exegese geleistet haben, hatte oft peinlich apostolische, ja: antiaufklärerische Züge. Wer es aus schierer Angst vor dem Eingeständnis eines aus der Not geborenen, selbstherrlich entschiedenen Kurswechsels in der europäischen Flüchtlingspolitik (eines Rechtsbruches und politischen Fehlers überdies) den xenophoben Zündlern bei der AfD überlässt, legitime Bedenken besorgter Bürger zu formulieren, vergiftet die demokratischen Quellen des Rechtsstaates.

Bewegende Momente in der Politik 2015
Markus Nierths Quelle: dpa
Ausschwitz-Überlebende reicht früherem SS-Mann die HandIm Lüneburger Auschwitz-Prozess kommt es im April zu einer ungewöhnlichen Geste: Eine Überlebende des Konzentrationslagers reicht dem angeklagten früheren SS-Mann Oskar Gröning die Hand zur Versöhnung. „Ich habe den Nazis vergeben“, sagt Eva Kor. Die 81-Jährige hat mit ihrer Zwillingsschwester grausame medizinische Experimente in Auschwitz überlebt, die übrigen Familienmitglieder starben dort. Kor sagt vor Gericht auch: „Meine Vergebung spricht die Täter nicht frei.“ Wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen wird Gröning zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Er bekennt sich zu seiner moralischen Mitschuld. In Auschwitz ermordete das nationalsozialistische Regime im Zweiten Weltkrieg mehr als eine Million Menschen, weit überwiegend Juden. Quelle: dpa
Hilfloser Lucke, lächelnde PetryRechte Stammtischparolen und Buh-Rufe machen den Parteitag der Alternative für Deutschland Anfang Juli in Essen zu einem etwas schrillen Spektakel. Parteigründer Bernd Lucke muss hilflos zusehen, wie seine Rivalin Frauke Petry kalt lächelnd an ihm vorbeizieht. Ihr neuer Lebensgefährte, der AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell, erntet stürmischen Applaus, als er sagt, die AfD sei eben auch eine „Pegida-Partei“. Zum Schluss steht kein Stein mehr auf dem anderen. Lucke und seine Mitstreiter aus dem wirtschaftsliberalen Flügel empören sich über den „Rechtsruck“ der Partei. Sie verlassen die AfD und gründen die Partei Alfa. Quelle: dpa
Merkel und das weinende FlüchtlingsmädchenBundeskanzlerin Angela Merkel erlebt Mitte Juli in Rostock, was passiert, wenn Politik auf Individuen trifft. Bei einem „Bürgerdialog“ in einer Schule trifft sie das Flüchtlingsmädchen Reem. Merkel erklärt, dass Deutschland nicht alle Asylbewerber aufnehmen kann. Daraufhin bricht die 14-Jährige in Tränen aus. „Ach komm“, sagt Merkel und will Reem trösten. Dabei wirkt Merkel unbeholfen. „Du hast das doch prima gemacht“, sagt sie, was der Moderator mit einer spitzen Bemerkung quittiert. „Ich weiß, dass das eine belastende Situation ist - aber trotzdem möchte ich sie einmal streicheln“, herrscht die Kanzlerin den Mann an. Im Netz wird die Kanzlerin als eiskalt beschimpft. Doch „streicheln“ ist ein ungewöhnliches Wort für eine Frau, die als eiskalt gilt. Quelle: dpa
Flüchtlinge dürfen kommenFlüchtlinge werden in Ungarn schlecht versorgt, sie wollen nach Österreich oder Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel befürchtet, dass es zu einer Tragödie kommt, wenn die ungarische Polizei mit den Tausenden, zum Teil verzweifelten Menschen nicht mehr zurechtkommt. Gemeinsam mit dem österreichischen Kanzler Werner Faymann entscheidet sie am 5. September: Deutschland und Österreich nehmen in Absprache mit der ungarischen Regierung über eine Ausnahmeregelung Flüchtlinge auf. Demnach dürfen sie ohne bürokratische Hürden und Kontrollen einreisen. Bei ihrer Ankunft in Deutschland werden sie von vielen Bürgern bejubelt, Freudentränen fließen. CSU-Chef Horst Seehofer fühlt sich übergangen und warnt vor Überforderung. Quelle: dpa
Eine erfundene Zeugin im NSU-ProzessNach zweieinhalb Jahren und mehr als 230 Verhandlungstagen bemerkt Ralph Willms, Nebenklage-Anwalt im Münchner NSU-Prozess, dass er Opfer einer Täuschung geworden ist. Am 2. Oktober stellt sich heraus, dass die Nebenklägerin „Meral Keskin“ erfunden ist. Das Gericht hatte sie als vermeintliches Opfer des Bombenanschlags an der Kölner Keupstraße zum NSU-Prozess zugelassen. Dass „Keskin“ tatsächlich gar nicht existiert, fiel erst auf, als das Gericht sie mehrfach vergeblich als Zeugin geladen hatte. Hauptangeklagte im NSU-Prozess ist die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr Mittäterschaft bei zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen vor. Quelle: dpa
Messerattacke gegen Henriette Reker in KölnEin Attentat schockt das Land: In Köln sticht am 17. Oktober ein 44-Jähriger die parteilose OB-Kandidatin Henriette Reker an einem Wahlkampfstand nieder. Die 58-Jährige geht mit einer schweren Verletzung am Hals zu Boden, eine Notoperation rettet ihr Leben. Am Tag nach dem wohl fremdenfeindlich motivierten Anschlag wählen die Kölner die bisherige - auch für Flüchtlingspolitik zuständige - Sozialdezernentin mit 52,7 Prozent zur Oberbürgermeisterin der viertgrößten deutschen Stadt. Reker - zunächst im künstlichen Koma - nimmt die Wahl am 22. Oktober am Krankenbett an. Am 20. November tritt sie ihr Amt an und stellt klar: Sie lässt sich nicht einschüchtern. Quelle: dpa

Wer aus purer Argumentationsnot von „moralischer Verpflichtung“, wer wider besseres Wissen von „ökonomischem Eigeninteresse“, wer aus schierer Hilflosigkeit von der „Unmöglichkeit“ spricht, seine Grenzen schützen zu können - der schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Grenzen von Moral und Eigeninteresse am Ende von Menschen mit autoritären Einstellungen und Interessen gezogen werden.
Fünftens: Gibt es eine Belastungsgrenze - und wenn ja: Wann ist sie erreicht? Angela Merkel verweigert auf diese alles entscheidende Frage bis heute eine Antwort. Es ist so leicht (und so billig), sich über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zu echauffieren, der die Zahl 200.000 in Spiel gebracht hat: 200.000 Zuwanderer pro Jahr - mehr könne Deutschland nicht verkraften.

Und was macht Seehofer mit dem ersten Flüchtling jenseits der 200.000, fragen sie schadenfroh bei Grünen, SPD und CDU? Gute Frage. Eine noch viel bessere stellen sich die naseweisen Volksvertreter leider nicht: Was gedenken sie mit weiteren 500.000 oder 600.000 Flüchtlingen in 2016 zu tun?

Das muss die Große Koalition im neuen Jahr anpacken
Flüchtlinge vor dem Lageso Quelle: dpa
Anti-Terror-Kampf: Ein Tornado der Bundeswehr Quelle: dpa
Bundeswehr: Ursula von der Leyen spricht in Berlin mit Soldaten Quelle: dpa
Ukrainische Soldaten in der Nähe von Artemivsk Quelle: AP
EU-Kommissionspräsident Juncker (l.), EU-Ratspräsident Tusk (M.) und Luxemburgs Premierminister Bettel in Brüssel Quelle: dpa
Der griechische Premierminister Alexis Tsipras während einer Parlamentsdebatte Quelle: REUTERS
Frankfurter Skyline Quelle: dpa

Es ist ein politischer Offenbarungseid, dass die „Befürworter“ von Merkels Flüchtlingspolitik nichts als moralische Ohnmachtsargumente ins Feld führen können: Wir können den Zustrom ohnehin nicht stoppen… Eine „Festung Europa“ widerspricht den westlichen Werten… Das internationale Recht verlangt die Aufnahme von Flüchtlingen… Was soll das alles? Wir müssen helfen? Nun - die Sorge für das Wohlergehen der Opfer von Gewalt schließt die Sorge um die Sorgen der eigenen Bevölkerung nicht aus.

Wir können den Zustrom ohnehin nicht stoppen? Nun - offenbar trauen wir der türkischen (auch der griechischen und spanischen) Regierung zu, wovor wir selbst kapitulieren: die Eindämmung des Flüchtlingsstroms. Das internationale Recht verlangt die Aufnahme von Flüchtlingen? Nun - das internationale Recht kennt universelle Menschenrechte - und Bürgerrechte, die an Territorien gebunden sind. Muss man wirklich daran erinnern, dass jede Gemeinschaft nur durch Grenzen existieren kann, die Menschen einschließen und ausschließen - zum Beispiel von Sozialleistungen?

Deutschkurse? Qualifikation? Fehlanzeige.


Sechstens: Die Integration der Flüchtlinge und Migranten droht zu scheitern, bevor sie begonnen hat. Menschen, denen Deutschland eine Bleibeperspektive eröffnet, brauchen sofort eine Integrationsperspektive (Sprachkurse, Schulbesuch, Berufspraktika), die sich selbstverständlich auch auf ihre Familien erstrecken muss. Merkel lässt statt dessen 700.000 bis 800.000 Männer ins Land, um ihnen sodann den Nachzug ihrer Frauen und Kinder zu verweigern - schlimmer geht’s nicht.

Eine zeitnahe Prüfung und schnelle Entscheidung der Asylverfahren? Fehlanzeige. Deutschkurse? Die Erfahrung zeigt, dass gerade mal die Hälfte aller Teilnehmer am Ende des Unterrichts über rudimentäre Kenntnisse der Sprache verfügt - Kenntnisse, die nicht ausreichen, um beruflich Fuß zu fassen. Integration in den Arbeitsmarkt? Die Flüchtlinge sind sechs Monate zum Nichtstun verdammt - danach gilt für weitere neun Monate der „nachrangige Zugang“: Eine Erlaubnis wird nur erteilt, wenn für den Arbeitsplatz kein Deutscher und kein EU-Bürger zur Verfügung steht. Ob es dabei bleiben kann - man würde es gerne erfahren.

Qualifikation? Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) rechnet mit einem Arbeitslosenplus von einer Million bis 2019. Müssen wir dafür die Steuern erhöhen - keine Silbe bisher dazu. Schule? Rund 350.000 der Asylsuchenden sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren; die Kultusministerkonferenz schätzt, dass 20.000 neue Erzieher und Lehrer gebraucht werden, um sie berufsfit zu machen. Wer das bezahlen soll - auch dazu hören wir nichts. Städtebau? Es wird eine Rückkehr zum sozialen Wohnungsbau geben müssen, auch eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes, das eine Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften vorschreibt.

Vor allem aber wird darauf zu achten sein, dass beim massiven Ausbau des Sozialstaates, beim Aufbau von Polizei-, Verwaltungs- und Lehrerstellen, bei der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum und der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt nicht der Eindruck entsteht, dass die eine Zielgruppe (Flüchtlinge) einer anderen (Niedriglöhner, Arbeitslose) vorgezogen wird. Fest steht: Merkel wird für die Integration der Flüchtlinge Geld locker machen (müssen), das sie sich für die Integration der inländischen „Ausgeschlossenen“ noch vor zwei, drei Jahren meinte ersparen zu können.

Fazit: Im Moment spricht nur noch Angela Merkel für Angela Merkel, nichts sonst. Wenn Merkel „morgen nicht mehr Kanzlerin wäre“, so der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) besorgt, „wer sollte denn ihr Rolle in Europa übernehmen?“ Gute Frage. Und wer, möchte man ergänzen, in einem Deutschland, das Merkel hinterlässt?

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