Tauchsieder

Deutschland profitiert von einer Großen Koalition

Kaum ist die FDP abgewählt, sorgen sich ihre publizistischen Verteidiger um die „ökonomische Vernunft“ in Berlin. Was für ein Unsinn. Die Große Koalition ist eine Koalition der Chancen.

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Okay, liebe Politiker von Union und SPD, eine Woche Taktiererei und Selbstbeschäftigung reicht – jetzt bitte mal raus aus den Schützengräben, rein in die Große Koalition und ran an die Arbeit. Lasst Euch bloß nicht kirre machen von den BDI-Bossen und Managern, die die krachende Niederlage der so genannten Liberalen nicht verwinden können und die Zersplitterung des „bürgerlichen Lagers“ beweinen. Lasst Euch nicht beirren von leitartikelnden Eckenstehern, die deshalb das Ende der „ökonomischen Vernunft“ erschnüffeln und in den nächsten Wochen mal wieder mit gewohnt argumentationsarmer Heftigkeit einen „Linksruck“ nach dem anderen herbeihalluzinieren werden, weil sie den „Staat auf dem Vormarsch“ wähnen und den Kommunismus am Horizont aufscheinen… Es ist nämlich erstens so, dass ihr beide ganz gut miteinander könnt. Und zweitens, dass Deutschland davon keinen Schaden nimmt, im Gegenteil: dass Deutschland davon profitiert.

Ich weiß, es schickt sich nicht, Leichen zu fleddern, aber weil die FDP keine Leiche ist, sondern neue Mitglieder hinzugewinnt und in vier Jahren ganz bestimmt wieder zurück in den Bundestag kehrt, muss es an dieser Stelle noch einmal gesagt werden: Ihr vorübergehender Verlust ist nicht nur leicht verschmerzbar, sondern auch zwingend notwendig. Über die Gründe ist in dieser Kolumne mehrfach gesprochen worden, es sind, noch einmal knapp zusammengefasst, vor allem deren vier:

Die Krisen der Freien Demokraten
Retter Brüderle?Als starker Mann in der Partei gilt derzeit Fraktionschef Rainer Brüderle (hier mit dem FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler am 17.04.2013 in Berlin während eines Empfangs zum Geburtstag von Dirk Niebel). Die Aufschrei-Affäre um sein angeblich sexistisches Verhalten gegenüber einer Journalistin brachte ihn zwar zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Bedrängnis. Aber peinlich war die Indiskretion für den Spitzenkandidaten in jedem Fall. Zumal sie wohl auch die Erinnerung an seinen alten Ruf als „Weinköniginnenküsser“ beförderte. Brüderle war als rheinland-pfälzischer Wirtschaftsminister auch für den Weinbau zuständig. Und er galt seinerzeit nicht gerade als politisches Schwergewicht. Quelle: dpa
Der Riesenerfolg 2009 - und der steile Absturz danachDer damalige FDP-Bundesvorsitzende Guido Westerwelle, rechts, und der Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher, links, am 3. September 2009 beim Auftakt des bundesweiten Wahlkampfes. Es war das beste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten, das die FDP feiern konnte: 14,6 Prozent. Fünf Minister konnte sie im Koalitionsvertrag mit Angela Merkel durchsetzen. Doch schnell stürzte die FDP in den Umfragen auf Minus-Rekorde. Die Kritik an Parteichef Guido Westerwelle spitzte sich nach schwachen Landtagswahlergebnissen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg zu. Aber auch der neue Parteichef Philipp Rösler steht seither unter medialer Dauerkritik. Auch innerhalb der Partei halten ihn viele für  führungsschwach und wenig überzeugend. Quelle: AP
Die PlagiatorinDie einst von Westerwelle protegierte EU-Parlamentarierin Silvana Koch-Mehrin stürzte im Mai 2011, über ihre abgeschriebene Doktorarbeit. Schon vorher hatte sich Koch-Mehrin in Talkshows durch offensichtliche Inkompetenz und in Brüssel durch Abwesenheit bei Sitzungen diskreditiert. Hier ist sie am 16. Mai 2009 vor ihrem Wahlplakat auf dem FDP Bundesparteitag in Hannover zu sehen. Der Doktor-Titel fehlte auf keinem Plakat. Quelle: AP
Der PlagiatorAuch EU-Parlamentarier Jorgo Chatzimarkakis fiel vor allem durch häufige Talkshow-Auftritte (hier bei "Anne Will") und geschwätzige Wortmeldungen auf. Unter anderem schlug er vor, nicht mehr von „Griechenland“ zu sprechen sondern von „Hellas“, um das Image des Landes zu heben. Sein eigenes Image leidet seit Juli 2011 unter dem Entzug des Doktortitels aufgrund der zum größten Teil abgeschriebenen Doktorarbeit.    Quelle: dapd
Möllemann stürzt abJürgen Möllemann war die wohl kontroverseste Persönlichkeit der bisherigen FDP-Geschichte. Der Fallschirmjäger-Oberleutnant. Nach der „Briefbogen-Affäre“ und seinem Rücktritt als Bundeswirtschaftsminister 1993 gelang ihm als Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen 2000 ein erstaunlicher Wahlerfolg. Möllemann galt als Kopf hinter der Strategie 18. 2002 eskalierte dann ein Konflikt um seine Unterstützung für einen palästinensischen Aktivisten, der Israel einen „Vernichtungskrieg“ vorwarf. Möllemann wurde vom Zentralrat der Juden scharf angegriffen. Hildegard Hamm-Brücher trat seinetwegen aus der FDP aus.  Nach einem Flugblatt mit erneuten Vorwürfen gegen die israelische Regierung drehte sich die Stimmung innerhalb der FDP zuungunsten Möllemanns, der aus der Partei austrat. Am 5. Juni 2003 starb er bei einem Fallschirmabsturz, vermutlich wählte er den Freitod. Quelle: dpa
Projekt 18So nannte die FDP ihre Wahlkampfstrategie zur Bundestagswahl 2002, beschlossen im Mai 2001 auf dem Düsseldorfer Bundesparteitag unter wesentlicher Mitwirkung von Jürgen Möllemann (Bild). Ziel: „mit neuen Formen der Kommunikation und Darstellung … neue Wählerschichten“ für die Partei erschließen und die FDP als eigenständige und unabhängige politische Kraft außerhalb eines vorgegebenen Lagers darstellen. Der Name bezog sich auf das Ziel, den Anteil an den Wählerstimmen von 6 auf 18 Prozent zu verdreifachen. Viele empfanden die Kampagne als Inbegriff einer plakativen Spaß-Politik.
Guido im ContainerEine Aura des Unernsthaftigkeit verpasste sich die FDP-Führung spätestens zu Anfang des neuen Jahrtausends. Als Sinnbild der damals neuen politischen Spaßkultur wurde vor allem der Besuch des damaligen Generalsekretärs Westerwelle im Big-Brother-Container 2000 gesehen. Als Mitbringsel hatte er Alkoholika und Zigaretten dabei. Quelle: dpa

Erstens: Die FDP ist keine Partei des Wirtschaftsliberalismus mehr, sondern des Business-Class-Liberalismus. Ursprünglich meinte Liberalismus Wettbewerb innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens; heute meint er Protektion von globalen Konzernen, Steuerdumping , Steuerflucht – gegen den Nationalstaat. Mit der doppelten Folge, dass der Wettbewerb zugunsten der Markmächtigen verzerrt ist (Starbucks zahlt keine Steuern, das benachbarte Stadtcafé schon) – und dass autoritäre Staatskapitalismen wie etwa Singapur von der „liberalen“ Business-Class dazu beglückwünscht werden, auf völlig idiotischen „Indizes für wirtschaftliche Freiheit“ vor Deutschland zu rangieren. Wirklich Liberale wie Ralf Dahrendorf und Karl-Hermann Flach würden sich für diesen Business-Class-Liberalismus schämen. Für sie war Freiheit unteilbar, war staatsbürgerliche Freiheit nicht von wirtschaftlicher Freiheit zu trennen.

Zweitens: Die FDP wird ihrem Lieblingsgegner Staat nie verzeihen, dass er einen restlos liberalisierten Wirtschaftszweig (den Finanzsektor) vor dem Untergang gerettet und der Welt den parareligiösen Glauben geraubt hat, der Markt richte ALLES zu unserem Besten ein. Die Wahrheit ist: Keine noch so übel staatswirtschaftende Sozialdemokratie hat unsere Volkswirtschaften je in so kurzer Zeit so dramatisch in die Verschuldungsfalle getrieben wie eine kleine Clique deregulierter Bankster. Dass Teile der FDP sich nach der Metamorphose der Banken- zur Eurokrise wieder auf ihre ordnungspolitischen Grundsätze besannen, hat der Partei sehr zu Recht nicht geholfen: Ihre Invektiven gegen schlecht wirtschaftende Euro-Länder (und deutsche Politiker in Aufsichtsräten deutscher Banken) sind selten dämlich, solange nicht mindestens genauso laut gesagt wird: Die Politik schützt nicht nur sich selbst, sondern auch und vor allem die Gläubiger, die Banken, ihre Kunden, ihre Aktionäre – den internationalen Geldadel. Dass die FDP heute als ordnungspolitischer Heiler einer Krankheit auftritt, die sie als Deregulierungspartei in die Welt gebracht hat, ist und bleibt daher unglaubwürdig: Es geht in den nächsten Jahren nicht in erster Linie darum, die Freiheit der Finanzmärkte zu erhalten, sondern die Freiheit des Staates zu erhalten, die Finanzmärkte vor sich selbst (und damit uns Steuerzahler) zu schützen.

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