Herrhausen ist kein Träumer. Kaum hat er die Biotop-Idee eingeführt, stellt er klar, dass es selbstverständlich "keinen... Konflikt zwischen Marktwirtschaft und Umweltschutz" gibt, im Gegenteil: "Effizienter Umweltschutz ist erst möglich durch den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente, die den Preismechanismus und damit das Eigeninteresse des Verursachers zur Linderung der Umweltprobleme nutzen." Auch der Vorwurf, dass die Deutsche Bank bereits einen Großteil ihrer Kredite an die Schuldnerländer abgeschrieben habe und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wolle, ficht Herrhausen nicht an: Das Wohlergehen seines Unternehmens schließt die Sorge um den Planeten nicht aus.
Herrhausen ist sich der Kritik an der eminenten Macht der Deutschen Bank jederzeit bewusst. Aber er sieht überhaupt nicht ein, sich dieser Macht zu schämen. "Ja, wir haben Macht", pflegt er zu tönen, während die Kollegen lieber "Einfluss" flüstern - das Entscheidende sei doch wohl, wie verantwortungsvoll man mit Macht umgehe. Herrhausen warnt die Deutschen davor, einen "Popanz aufzubauen"; schließlich sei sein Institut im Weltmaßstab alles andere als "omnipotent". Das stimmt - einerseits. Andererseits ist die Deutsche Bank im Inland schon damals der unangefochtene Branchenprimus. Die Vorstände und Direktoren sitzen in 400 Aufsichtsräten; die Bank selbst ist unter anderem an Daimler-Benz (28 Prozent), Klöckner (100), Holzmann (35), Karstadt, Horten (je 25), Roland Berger (75) und Südzucker (23) beteiligt.
In Berlin erzählt man sich, dass Herrhausen 1983 die Regierungserklärung von Helmut Kohl mit verfasst hat. Herrhausen selbst ist von Hybris nicht frei, rückt sich in die Nähe eines Sonnenkönigs: "Die Macht der Banken, ...das bin ich." Als Manager kalkuliert er kühl sein Gewicht: "Die Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie kompetenten Sachverstand abruft." Als Citoyen gibt er zu bedenken: "Was den rationalen Diskurs über solche Fragen so schwierig macht, ist der suggestive Charakter der Sprache. Wenn von Macht die Rede ist, klingt immer gleich der Verdacht von Machtmissbrauch durch." Sicher, sagt Herrhausen: "Man muss Macht auch wollen." Sein letztes Motiv aber, bei allem, was er tue, sei "das Bemühen, einen optimalen Sachbeitrag zu leisten".
Als die Mauer fällt, ist Herrhausen sogleich zur Stelle. Während Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) zehn Tage nach der Grenzöffnung von "zwei deutschen Staaten" spricht, die in der Europäischen Gemeinschaft aufgehen sollen, empfiehlt Herrhausen der Politik, die "Wiedervereinigung" jetzt offensiv zu wollen: "Warum hat sich das alles so ergeben in der DDR...? Weil die Menschen... ein anderes System wollen. Wenn das so ist, dann sollten wir nichts tun, was diesen Schwung erlahmen lässt." Herrhausen hat nicht den leisesten Zweifel an der Überlegenheit von Marktwirtschaft und Demokratie; die Ereignisse selbst sind ihm der Beweis dafür.
"Geschichte" hat für Herrhausen kein Ziel und kein Ende, ist nur als Prozess verstehbar, als evolutionäre Entwicklung, die sich offenbart in dem, was wir tun. Herrhausen widerspricht daher entschieden Francis Fukuyamas Steilthese vom "Ende der Geschichte" - und erfasst den Kollaps des Ostblocks blitzschnell als historische Chance, sich endlich den "wirklichen Problemen dieses Globus" zuzuwenden: "Niemals hat sich die Menschheit größeren Herausforderungen gegenüber gesehen..., die Nord-Süd-Problematik, die technologische Revolution, die ökologische Frage..., und dies alles zur gleichen Zeit. Für aktive Menschen, die etwas bewirken wollen, ist es eine Lust, zu leben."
Allein als Manager ist Herrhausen dieses Leben zuweilen eine Last, ausgerechnet, hier scheitert er, zumindest teilweise. Im Mai 1988 avanciert er zum alleinigen Vorstandssprecher der Deutschen Bank - und sieht als Chefaufseher bei Daimler tatenlos zu, wie der Kollege Edzard Reuter sich in Stuttgart einen "integrierten Technologiekonzern" zurechtzimmert. Auch im eigenen Haus, das damals in etwa so modern ist wie ein britischer Herrenclub, treibt Herrhausen die "Diversifizierung" des Geschäfts voran. Die Zahl der Privatkunden ist auf 5,5 Millionen gestiegen, die Filialen erwirtschaften 83 Prozent des Gewinns, aber das Firmengeschäft lahmt, die Entwicklung innovativer Finanzprodukte geht nur schleppend voran. Herrhausen drängt auf die Internationalisierung der Bank, ihren Einstieg ins Investmentgeschäft, ihren Umbau zum Allfinanzkonzern, kurz: Er vollendet den deutschen Ledersessel-Kapitalismus mit der Deutschen Bank als Spinne im Beteiligungsnetz - und er sucht ihn zugleich zu überwinden mit dem, was er "banking around the globe, around the clock" nennt.
Zwei Tage vor seinem Tod blitzt er mit seinen umfangreichen Renovierungsarbeiten im Vorstand ab. Herrhausen ist den Kollegen zu schnell, zu schneidend, zu selbstverliebt; sie nennen ihn "Ikarus" und "Herrgott", beklagen sich über seine Verantwortungssucht, seinen intellektuellen Stolz und seinen Hochmut, ständig darüber zu befinden, wer richtig denkt - und wer nicht. Herrhausen droht mit Rücktritt. Keiner sucht ihn zurückzuhalten. Am 30. November 1989 macht er sich, pünktlich um halb neun, wie immer, auf den Weg zur Sitzung, die über sein weiteres Berufsleben entscheidet. Schmeißt Herrhausen hin? Holt Helmut Kohl ihn nach Bonn? Zwei Minuten später zünden die Terroristen die Bombe.