Natürlich, ein großer Name mit internationaler Reputation ist wertvoll für jede Stadt. Simon Rattle, Valery Gergiev und Andris Nelsons sind nicht nur Publikumsmagneten und kommunale Kulturbotschafter. Sie ziehen auch das Interesse der Musikindustrie auf sich und halten Sponsoren bei der Stange, die sich einem Premiumprodukt verbunden wissen wollen. Sie locken die besten Solisten und Komponisten an, sie produzieren die attraktivsten CDs, sie füllen auch bei lukrativen Auslandstourneen die Säle - was wiederum das Interesse der Musikindustrie und Sponsoren weckt…
Im günstigsten Fall, wie mit Rattle in Berlin und Chailly in Leipzig, können Dirigenten Klangkörper als Weltmarke erhalten, etablieren, weiterentwickeln - als Weltmarken, die Städte profilieren. Für jeden Euro zum Beispiel, den die Stadt Leipzig in sein Gewandhausorchester investiert, hat Intendant Andreas Schulz ausrechnen lassen, fließen 2,43 Euro nach Leipzig zurück (Übernachtungen, Restaurants).
Auch deshalb ist ein offener Umgang mit den Gehältern von Dirigenten überfällig. Jeder Berliner, Münchner und Leipziger muss wissen, was Simon Rattle, Valery Gergiev und Andris Nelsons ihn an einem Abend kosten - nur so kann er wirklich eventuell bestehende Vorurteile abbauen sich eine valide Meinung darüber bilden, ob die Maestros ihr Geld (für ihn selbst, für den Erhalt der „Kultur“, für die Stadt) tatsächlich wert sind - finanziell, aber auch künstlerisch.
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Rattle mit den Berliner Philharmonikern 74 Konzerte (zehn Opernaufführungen inklusive) bestreitet, Gergiev mit den Münchner Philharmonikern hingegen nur 45. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ein Dirigent mit einem Orchester arbeitet oder mit zweien oder dreien, ob er nebenher weitere Verpflichtungen hat - und wie viel Zeit er der Probenarbeit widmet.
Wer etwa weiß, dass, sagen wir: die Sensation eines neuen Strauss- oder Beethoven-Zyklus der Leipziger oder Berliner keine Sensation sein kann, weil den vielbeschäftigten Dirigenten gar keine Zeit zur seriösen Einstudierung des Zyklus bleibt - der wird die ordentlich bezahlten Musiker für ihre Leistung womöglich höher einschätzen als die hochbezahlten Dirigenten.
Auch unter Kulturpolitikern sollte die Einsicht reifen, dass das größte Kulturkapital der Deutschen in seiner weltweit einmaligen Orchesterlandschaft (rund 130 Klangkörper) besteht - und nicht in Dirigenten, die ihnen vorstehen. Diese haben nur deshalb zu tun, weil es es jene gibt - nicht umgekehrt. Diese können nur deshalb Kasse machen, weil die Deutschen sich mit ihrem Kulturbewusstsein jene erhalten. Höchste Zeit also, sich ehrlich zu machen. Ein Dirigent kann durchaus 50.000 subventionierte Euro am Abend wert sein. Aber seinen Wert taxieren lassen - das muss er schon.