Tauchsieder

Ein Erdbeben - mit Folgen?

Sind die Landtagswahlen ein Referendum über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung? Bleibt Merkel Kanzlerin? Stürzt die SPD von Sigmar Gabriel ab? Wie stark wird die AfD?

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Große Koalition besorgt vor den Landtagswahlen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Am Abend rumpelt und pumpelt es in Stuttgart, Mainz und Magdeburg - und natürlich auch in Berlin. Jeder fünfte Deutsche stimmt heute ab über die Wirtschafts-, Bildungs- und Sicherheitspolitik in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt - und über den Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der sogenannten Flüchtlingskrise. Werden wir Zeuge einer Art Referendum? Beurteilen die Wähler in den nächsten Stunden das politische Handeln der Kanzlerin in den vergangenen sechs Monaten? Handelt es sich bei den Landtagswahlen um einen bundespolitischen Volksentscheid auf drei Provinzbühnen? Ja und Nein.

Keine Richtungsentscheidung hat das Leben der Deutschen in den vergangenen Jahren so unmittelbar und widersprüchlich berührt wie die mit Merkels „Wir schaffen das“ verbundene Grenzöffnung: Jeder hat Fernsehbilder aus Afghanistan und dem verheerten Syrien im Kopf, von Zelten im Schlamm und Toten am Strand, von Helferhänden an Bahnhöfen und brennenden Asylbewerberheimen, von der Kölner Silvesternacht und den Pariser Anschlägen.

Viele haben persönliche Erfahrungen und Eindrücke gesammelt in den Städten und Gemeinden, im Gespräch mit Bürgermeisterinnen, Ratsherren, Flüchtlingen - und gleich nebenan angesichts der vielen hunderttausend Migranten im Wartestand, in den Ämtern, Turnhallen und Schulklassen. Und doch sind die Landtagswahlen heute Abend mehr als nur eine Abstimmung über die Politik der Großen Koalition. Sie sind auch eine Abstimmung über das Prinzip Redlichkeit in der Politik.

Über eine krachende Niederlage dürfte sich die CDU daher heute Abend nicht wundern. Keine Partei kommt in diesen Wochen windiger und wendiger daher; keine Partei hat die Deutschen in den vergangenen Wochen mehr verunsichert. Allen voran Angela Merkel, deren Willkommensrhetorik bestenfalls selbstzufrieden, schlimmstenfalls zynisch wirkt. Längst ist eingetreten, was sich seit Monaten abgezeichnet hat: Die Union kehrt schrittweise zurück zu einer Politik der scharfen Abschottung und hohen Zäune - mit dem vierfachen Unterschied allerdings, dass zwischenzeitlich mehr als eine Million Migranten teils ohne Kontrolle und Registrierung nach Deutschland eingewandert sind, dass Europa zerstritten ist wie nie, dass Ankara in Brüssel mitregiert - und dass die Rhetorik der Politik mittlerweile fast schon gewohnheitsmäßig die Grenzen der Sachlichkeit und des Anstands sprengt. Thomas de Maizière (CDU) zum Beispiel, Minister für Kaltherzigkeit und gezielte Beinah-Entgleisungen, mag in Afghanistan längst keine Fluchtursachen mehr finden - und sieht die Zeit endlich gekommen, die in Idomeni frierenden Flüchtlinge daran zu erinnern, dass die „Politik des Durchwinkens jetzt vorbei ist, auch zu Lasten Deutschlands“.

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