Tauchsieder

Keinen Kommentar, bitte!

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Ein Meinungskartell in Deutschland?

Nur zwei Beispiele: Vor ein paar Wochen bin ich nach einem Vortrag über die Vorzüge der Freiheit und des demokratischen Wohlstandsmodells atlantischer Prägung von einer fassungslosen Zuhörerin angesprochen worden. Sie sprach von Edward Snowden und beschädigtem Vertrauen (ich nickte zustimmend), um daraus den (Kurz-)Schluss zu ziehen, dass die Mächtigen und Medien in Europa den USA blind folgen und unisono Putin verteufeln würden – und das, obwohl nicht Russland und Putin, sondern die USA und Obama am Krieg in der Ukraine schuld seien.

Tja, was soll man dazu sagen? Ich wies auf verschiedene Artikel in verschiedenen Zeitschriften hin. Auf die Tatsache, dass abweichende Meinungen hierzulande jederzeit diskutiert würden. Dass sie selbst, so unbegründet ihre Ansicht auch sei, diese Ansicht stets vorbringen und publik machen könne. Ich machte auf die gezielten Desinformationen der Kreml-gesteuerten Medien in Russland aufmerksam. Auf die Abschaltung der Meinungsfreiheit in Moskau. Ich brachte vor, dass in Demokratien Fälle wie die von Edward Snowden wenigstens publik würden... Es half alles nichts: Aus ihrer Sicht waren Heuchelei und Kriegstreiberei ganz auf Seiten „des Westens“ – und das umso mehr in der selbstheroischen Annahme, ihre (andere) „Wahrheit“ gegen das „Meinungskartell“ in Deutschland in Stellung bringen zu müssen.

Diskussion erwünscht
Um nicht missverstanden zu werden: Es gehört natürlich diskutiert, ob „der Westen“ Russland gekränkt, seinen Zugriff auf die Krim herausgefordert, seinen Internationalismus gedanklich überdehnt hat et cetera – und so geschieht es ja auch (bei uns, im Westen). Wie aber kommt jemand dazu, die Freiheit der Meinung hierzulande nicht wahrzunehmen, und über ihre Erstickung in Russland die Schulter zu zucken? Was steckt dahinter? Selbsthass? Masochismus? Wohlstandsekel?

Besonders Menschen, die sich „liberal“ und „libertär“ wähnen – Beispiel zwei - sind offenbar besonders verunsichert. Seit der organisierte Liberalismus aus dem Bundestag vertrieben wurde und die Mischung aus Brüssel-Hass und dosierter Xenophobie die AfD als nationalkonservative Linkspartei ausweist, ist die Orientierungslosigkeit umfassend: Auf den Internet-Seiten von „eigentümlich frei“ etwa war vor einigen Wochen zu lesen, dass die Sache der Freiheit viel mehr von Linken und Grünen bedroht sei als von Männern wie Vladimir Putin. Jedenfalls würde man in Moskau durchaus noch Lokale finden, in denen a) ungeniert Steaks serviert würden und b) das Rauchen erlaubt sei.

So viel zum komischen Teil der Sache. Nicht komisch ist, dass die Unterstellung vom Meinungskartell in Deutschland den autokratischen Regimen in Russland oder China, sowie den radikalen Zynikern der Hamas in die Hände spielt, die den Krieg und seine Bilder der Zerstörung als Vehikel ihrer politagitatorischen Interessen einsetzen. Russland und China zum Beispiel arbeiten mit aller Macht an einer Nivellierung des Unterschieds zwischen der freien Presse des Westens und dem zensierten Verlautbarungsjournalismus in ihren Ländern.

Beide Staaten haben ein vitales Interesse daran, das Weltgeschehen dem Versuch einer objektiven Betrachtung zu entziehen, es gleichsam aufzulösen in eine „Version“ des Weltgeschehens, die gegenüber der „Version“ der USA und Europas als gleichwertig anerkannt wird. Es ist bekannt, dass Putins Russland seine Bevölkerung mit gezielten Falschinformationen verhetzt – und dass das Regime in Peking Social-Media-Akteure bestellt, um kritische Medienberichte zu kritisieren und ein helles China-Image zu befördern.

Wer diese Praktiken marginalisiert und im selben Atemzug das „Meinungskartell“ beispielsweise in Deutschland beklagt, der arbeitet im Dienste der Ideologie am Abbau der Aufklärung und ist – mit Verlaub – nicht ernst zu nehmen. Und als solcher, ich wiederhole es, auch kein Adressat meiner Informationsbearbeitung.

Der Unterschied ist, dass die (allermeisten, freien) Medienmenschen in den USA und Deutschland die Welt grau zeichnen – und die (allermeisten, gesteuerten) Medienmenschen zum Beispiel in Russland die Welt schwarz-weiß zeichnen müssen. Alsdann, wer immer sich hier angesprochen fühlt: Gebt mir Grau, bitte – oder übt euch im Schweigen!

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